Möglicher Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone:Wenn die Drachme wiederkehrt

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Die Koalitionsgespräche drohen zu scheitern, die Rettungversuche ebenso - und plötzlich verliert der Austritt Griechenlands aus der Währungsunion seinen Schrecken: Europa sucht einen Plan B. Was würde der Austritt aus dem Euro kosten? Und welchen Anteil müssten die Deutschen tragen?

Catherine Hoffmann

Europa sucht einen Plan B für Griechenland. Nach den Wahlen ist das hochverschuldete Land politisch gelähmt. Zwar wollen die Griechen den Euro behalten, den strikten Sparkurs aber lehnen sie ab. Die bisherige Rettungspolitik droht zu scheitern, gleichzeitig verliert ein Austritt aus der Währungsunion seinen Schrecken. Wie soll es weitergehen? Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Hellas-Krise:

Keine Arbeit: In Griechenland sind fast 22 Prozent arbeitslos. Die Rettung des Landes ist zentraler Streitpunkt, in den Koalitionsgesprächen nach der Wahl und in der EU. (Foto: Bloomberg)

Was passiert, wenn keine neue Regierung zustande kommt?

Dann muss Griechenland neu wählen. Wahltermin wäre wohl der 17. Juni. Der Euro-Blues an den Börsen würde sich verschärfen, die Anleger sind nervös. Nichts hassen sie mehr als Unsicherheit - und was nach den Wahlen kommt, weiß keiner. Wahrscheinlich ist, dass vor allem Parteien Zulauf bekommen, die genug von dem "barbarischen Spardiktat" haben, wie es der Chef der linken Syriza-Partei nennt. Er will die Vereinbarungen mit der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds kippen.

Bekommt Athen ohne stabile Regierung die nächsten Hilfsmilliarden?

Nein. Die harten Auflagen für Griechenland sind aus Sicht der Bundesregierung nicht verhandelbar. "Griechenland entscheidet selbst, ob es in der Euro-Zone bleibt oder nicht", sagt Finanzminister Wolfgang Schäuble. Und die Troika fordert von Athen eine Garantie, dass es die Sparverpflichtungen des Kreditvertrags erfüllt. Ohne diese Zusage wollen die Geldgeber die nächste Milliarden-Hilfe nicht auszahlen. Allerdings gibt es dabei einen Ermessensspielraum, auf den die griechischen Politiker spekulieren.

Was geschieht, wenn die Kreditgeber den Geldhahn zudrehen?

Dann ist der griechische Staat binnen Tagen pleite. Spätestens im Herbst wäre die Regierung nicht mehr in der Lage, Löhne, Renten und Rechnungen zu bezahlen. Der Euro-Kurs würde abstürzen, die Aktienkurse einbrechen. Besonders hart wären die Banken betroffen. Denn das Geld der Troika fließt im Wesentlichen nicht in die Taschen armer Griechen, sondern aufs Konto der griechischen Gläubiger.

Darf Griechenland den Euro verlassen?

Juristisch ist ein Ausscheiden aus der Währungsunion nicht vorgesehen. Kein Euro-Mitglied darf eigenmächtig entscheiden, den Euro wieder abzugeben. Ein solcher Schritt wurde rechtlich ausgeschlossen, um die Stabilität der Währungsunion zu sichern. Möglich ist nur der Austritt eines Landes aus der gesamten EU. Das würde aber viel Zeit kosten, die Investoren für Spekulationen nutzen könnten, die Griechen würden wohl eilends ihr Geld von der Bank abziehen.

Vermutlich wird es nicht anders gehen, wenn Athen den Euro loswerden will. "Der EU-Vertrag sieht keinen Austritt aus der Euro-Zone ohne ein Verlassen der EU vor", stellte unlängst die EU-Kommission klar. Das klingt eindeutig. Juristen streiten allerdings darüber, ob mit etwas gutem Willen nicht alles möglich ist.

Gab es so etwas schon einmal?

Aus historischer Sicht ist es nicht ungewöhnlich, wenn sich Währungsbünde auflösen oder einzelne Mitglieder austreten. So hat der Zerfall der Sowjetunion zur Gründung neuer, unabhängiger Staaten mit eigener Währung geführt. Das Gleiche gilt für die Nachfolgestaaten Jugoslawiens und der Tschechoslowakei. Andere Erfahrungen liegen weiter zurück; so scheiterten die Lateinische und die Skandinavische Münzunion in Folge des Ersten Weltkriegs. Anfällig für Krisen sind auch Regime mit festen Wechselkursen. Das wichtigste europäische Beispiel ist der Austritt Italiens aus dem Europäischen Währungssystem im Jahr 1992, dem eine Abwertung der Lira um mehr als 30 Prozent folgte. "Die Geschichte legt nahe, dass ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion und eine nachfolgende Abwertung nicht als grundsätzlich unmöglich oder absurd betrachtet werden müssen", schreibt eine Gruppe von Wissenschaftlern in einem aktuellen Papier des Ifo-Instituts.

Kippen dann die griechischen Banken?

Die Furcht vor der Rückkehr zur Drachme hätte mit großer Wahrscheinlichkeit einen Bank-Run und den Zusammenbruch des griechischen Bankensystems zur Folge. Die Bürger sind schon heute alarmiert, wie Statistiken zeigen: Seit Ausbruch der Schuldenkrise haben sie mehr als 60 Milliarden Euro von ihren Konten abgezogen. Scheidet Griechenland aus der Währungsunion aus, müsste die EZB ihre Finanzhilfen für die griechischen Banken beenden, da diese offenkundig insolvent wären, wenn auch der griechische Staat pleite ist. Die Forderungen der Kreditinstitute gegen den Staat wären so gut wie wertlos.

Kehrt Griechenland dann zur Drachme zurück?

Athen wird nichts anderes übrigbleiben. Mit dem Verlassen der Währungsgemeinschaft hätten die Hellen sofort Schwierigkeiten, an den Euro zu kommen. Es wäre schlicht kein Geld mehr da, um Renten oder öffentliche Gehälter auszuzahlen. Da liegt es nahe, eine neue Drachme einzuführen. Beispiele wie die Tschechoslowakei zeigen, dass eine rasche Währungsumstellung auch unter chaotischen Umständen (ein politischer Umbruch führte 1993 zur Aufspaltung in zwei Nationalstaaten) innerhalb weniger Wochen möglich ist. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die unbedingte Geheimhaltung in der Vorbereitungszeit, damit es nicht zu massiver Kapitalflucht kommt.

Wie stark wird dann abgewertet?

Ökonomen schätzen, dass das Land um 30 bis 50 Prozent abwerten müsste, um wieder wettbewerbsfähig zu werden. Das könnte vor allem dem Tourismus helfen, einem der größten Wirtschaftszweige des Landes, aber auch dem Export von Nahrungsmitteln und chemischen Erzeugnissen. Umgekehrt würden allerdings Einfuhren deutlich teurer.

Was geschieht mit den Schulden?

Größtes Problem Griechenlands bleiben die hohen Verbindlichkeiten des Staates und seiner Unternehmen im Ausland, die weiter bedient werden müssten - mit dem Euro. Die Konsequenz wäre wohl ein Anschwellen der Firmeninsolvenzen - und ein zweiter, viel radikalerer Schuldenschnitt für den Staat. Neue Kreditgeber wären unter diesen Bedingungen auf Jahre hinaus nicht zu finden.

Wie sehr leidet die Wirtschaft?

Die griechische Wirtschaftslage ist schon heute katastrophal, kurzfristig würde es noch schlimmer. Seit dem Beginn der Schuldenkrise ist die Wirtschaftsleistung um 15 Prozent eingebrochen, in diesem Jahr dürfte sie noch einmal um sieben Prozent schrumpfen. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit von acht Prozent Mitte 2008 auf knapp 22 im Februar 2012 wäre wohl noch lange nicht beendet. Durch die Rückkehr zur Drachme würde die Wirtschaft schwer erschüttert, das ohnehin verlorene Vertrauen der Investoren würde so schnell nicht zurückkehren. Nur langsam könnte sich das Land dank der Abwertung erholen.

Aus den Hilfsprogrammen für Griechenland und den Anleihekäufen der EZB errechnet sich für die Euro-Zone ein Verlustrisiko von 157 Milliarden Euro. Der deutsche Anteil daran beträgt 37 Milliarden. Aus dem Verrechnungssystem der Euro-Zentralbanken für den Zahlungsverkehr zwischen Banken (Target2) ergab sich Ende Januar 2012 ein Negativsaldo der griechischen Zentralbank von 107 Milliarden Euro. Das Defizit dürfte inzwischen weiter gestiegen sein. Fallen diese Forderungen aus, müsste Deutschland 27 Prozent der Verluste übernehmen. Hinzu kommen noch Forderungen europäischer Bürger und Unternehmen gegenüber griechischen Firmen.

Droht der Euro-Zone das Aus?

Es ist nicht klar, wie stark der Rest Europas in Mitleidenschaft gezogen würde. Zu befürchten ist, dass angeschlagene Länder wie Portugal und Irland durch die griechischen Turbulenzen ins Wangen geraten könnten. Die Glaubwürdigkeit des Euro würde erschüttert - und Wetten auf sein Auseinanderbrechen dürften neue Rekorde erreichen.

Ist Griechenland noch zu retten?

"Natürlich", glaubt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg-Bank. Es brauche dafür allerdings eine verantwortungsbewusste Regierung in Athen und ein gewisses Umdenken der Troika. Der Ökonom ist überzeugt: "Wird das Spar- und Reformprogramm darauf ausgerichtet, Griechenland als Investitionsstandort zu stärken, während die Sparmaßnahmen zeitlich etwas gestreckt werden, kann das Land durchaus schnell den Weg aus der Krise finden."

© SZ vom 15.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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