Debatte um Mindestlohn:Verdächtig großzügig

Die Diskussion um den Mindestlohn treibt Blüten: Ausgerechnet die arbeitgebernahe Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft spricht sich für flächendeckende Mindestlöhne aus, heißt es in einer Pressemitteilung. Doch die war gefälscht.

Sibylle Haas

Manchmal ist der Wunsch nicht nur Vater des Gedankens, sondern auch der Tat. Zu der schritten die Befürworter des gesetzlichen Mindestlohns am Sonntagnachmittag: Sie verschickten eine Pressemeldung mit dem Titel "INSM spricht sich für Mindestlöhne aus". Hinter diesem Kürzel steckt die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft - keine Organisation, die bisher nach dem Gesetzgeber gerufen oder gar flächendeckende Mindestlöhne gefordert hat.

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Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft: "Richtig ist, dass die INSM Mindestlöhnen aus ordnungspolitischer Sicht unverändert kritisch gegenübersteht."

(Foto: dpa)

Nun, so steht es in der Pressemitteilung, habe "ein Umdenken stattgefunden". Der Geschäftsführer Hubertus Pellengahr wird mit den Worten zitiert: "Der gesetzliche Mindestlohn schützt Arbeitgeber, die anständige Löhne zahlen, vor unlauterer Konkurrenz." Welch ein Satz: Denn hinter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft stehen die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie. Und die lehnen Mindestlöhne seit langem und mit Nachdruck ab. Im jüngsten Jahresbericht von Gesamtmetall heißt es klipp und klar: "Gesamtmetall setzt sich auch weiterhin für den Vorrang der Tarifautonomie vor staatlicher Lohnfestsetzung ein." Bei gesetzlichen Mindestlöhnen drohe die Lohnfindung zum Spielball parteipolitischer und wahltaktischer Überlegungen zu werden.

Der angebliche Sinneswandel sorgte für einigen Wirbel in der Georgenstraße am Sitz der INSM in Berlin. Am Montagmorgen verschickte diese eine - diesmal eigene - Pressemeldung mit dem Dementi: Die von dem Absender insm.initiative-neue-soziale-marktwirtschaft@web.de verschickte Pressemeldung mit dem INSM-Briefkopf und der Kontaktanschrift zum Mindestlohn sei eine Fälschung. "Richtig ist, dass die INSM Mindestlöhnen aus ordnungspolitischer Sicht unverändert kritisch gegenübersteht." Gegen den Urheber der Fälschung würden rechtliche Schritte geprüft. "Hinter der Fälschung steckt kein Amateur. Das Vorgehen ist kriminell, gegen das man sich vorher nicht schützen kann", sagte ISNM-Geschäftsführer Pellengahr. Der Urheber sei allerdings nicht bekannt und schwer zu ermitteln.

Der Vorfall zeigt, wie einfach sich Informationen im Internet verbreiten lassen und wie gefährlich das sein kann, wenn Falschinformationen professionell verpackt sind. Die besagte Fälschung enthält nämlich auch einige Echtheiten. Sie benennt etwa eine neue Studie der US-Universität Berkeley, die zu dem Ergebnis kam, dass Mindestlöhne keine Jobs vernichtet haben. Und sie zitiert den Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, Joachim Möller, der diese Studie tatsächlich für "wegweisend" hält.

IAB-Direktor Möller plädiert schon länger für einen "mit Augenmaß festgesetzten Mindestlohn". Von Mai an erhalten Arbeitnehmer aus den 2004 zur EU hinzugekommenen Länder freien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Darunter sind Polen und die baltischen Länder. Ohne Mindestlöhne drohe eine "Lohn-Abwärtsspirale", warnt Möller.

Die Stimmung schlägt zugunsten von Mindestlöhnen um. Der Discounter Lidl macht sich für gesetzliche Mindestlöhne stark. Und der Einzelhandelsverband HDE führt Gespräche mit der Gewerkschaft Verdi über eine Lohnuntergrenze im Handel. Insgesamt befürwortet die Mehrheit der Deutschen gesetzliche Mindestlöhne, ergab eine Umfrage von Infratest dimap. Auch daraus haben die Verfasser der gefälschten Meldung zitiert.

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