Lohnuntergrenze:Der Mindestlohn wird noch viele Arbeitsplätze kosten

Die Lohnuntergrenze funktioniert, solange es der Wirtschaft gut geht. Das wird aber nicht immer so bleiben - und dann gibt es ein riesiges Problem.

Kommentar von Marc Beise

Wir halten fest: Eine der neuesten Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft hat ihre Feuertaufe bestanden: Nicht nur gibt es seit eineinhalb Jahren einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland, ohne dass die Wirtschaft darüber zusammengebrochen wäre. Sondern die gleichzeitig gegründete Mindestlohnkommission hat sich nun, obwohl dort Vertreter unterschiedlicher Interessen vereint sind, tatsächlich geräuschlos auf eine Erhöhung des bisherigen Lohns geeinigt, und das auch noch einstimmig. Der gesetzliche Mindestlohn, der bei 8,50 Euro gestartet ist, soll in Zukunft 8,84 Euro die Stunde betragen, Donnerwetter!

Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind zufrieden, Politiker brauchen sich nicht zu streiten, und auf die üblichen marktradikalen Nörgler hört sowieso niemand mehr; es herrscht Ruhe im Land.

Darüber kann man sich freuen, schließlich haben wir andere und drängendere Probleme. Man sollte aber wissen, dass die Ruhe eine geborgte ist, sie hängt an der komfortablen wirtschaftlichen Verfassung des Landes. Deutschland steht im historischen und im internationalen Vergleich extrem gut da. Die Wirtschaft läuft mit viel Kraft, die Exporte boomen, die Nachfrage steigt, fast überall werden Arbeitskräfte gesucht, und zugleich kann der Bundesfinanzminister aufs Schuldenmachen verzichten, sogar ohne großartig sparen zu müssen.

Das Mindestlohngesetz ist eine Schönwetterveranstaltung

In diesen Zeiten den Mindestlohn um 34 Cent pro Stunde zu erhöhen, ist kein Risiko. Und es ist auch kein Wunder, dass die Zahl der Jobs zugenommen hat, obwohl doch die Gegner eines Mindestlohns die Vernichtung von Arbeitsplätzen befürchtet haben. Es geht vielen von uns einfach zu gut. Wenn aber die Konjunktur einbricht, die Arbeitslosigkeit steigt und dem Staat das Geld ausgeht, wenn Unternehmen wieder jeden Cent umdrehen müssen, dann werden selbst die 34 Cent, oder das, was in den nächsten Kommissionsrunden dazukommen mag, rasch zur Hypothek werden.

Das Mindestlohngesetz, ein Herzensanliegen der SPD, seinerzeit geprüft und genehmigt wider besseren Wissens von einer CDU-Bundeskanzlerin, der es vor allem um den Koalitionsfrieden ging, ist eine Schönwetterveranstaltung: Sie funktioniert nur, solange dringend Arbeitskräfte nachgefragt werden. Den Schöpfern des Systems aber war das egal. Ihnen ging es ums Prinzip, um ein Signal gegen die Ausbeutung: Seht her, in Deutschland geht es gerecht zu.

Die Wirtschaft ist kein Kosmos-Baukasten

Dieser sehr grundsätzliche Ansatz liegt merkwürdig quer zur Kleinteiligkeit, mit der nun diskutiert wird. Die Mindestlohnkommission soll sich am Tarifindex orientieren, also der Steigerung der durchschnittlichen tariflichen Stundenlöhne. Nimmt man die Abschlüsse seit Anfang 2015, dann kommt man auf 8,77 Euro. Aber soll man vielleicht auch die jüngeren Abschlüsse hinzunehmen, die noch nicht ausgezahlt sind? Dann kommt man auf 8,84. Oder gleich aufrunden auf 8,85? Dafür hätten die Arbeitgebervertreter Zugeständnisse anderswo verlangt, also ließ man es.

Das Ganze ist ein mechanistisches Geschacher nach der Vorstellung, man könne an der Wirtschaft rumschrauben wie bei einem Kosmos-Baukasten. Was fehlt, ist das Verständnis für das Wesen einer Marktwirtschaft, das Vertrauen in die Marktprozesse. Das Bewusstsein, dass auch Löhne Marktpreise sind und sich besser selber finden.

Noch kann die große Mehrheit der Unternehmen den gesetzlichen Mindestlohn verkraften, ohne viele Arbeitsplätze abbauen zu müssen. Und wo das nicht gelingt, da wird er still und heimlich unterschritten. Denn das weiß fast jeder Ökonom jedenfalls aus der Theorie: Wenn Arbeit zu teuer ist, wird sie weniger nachgefragt. Wenn die Wirtschaftslage schwieriger wird, dann wird der Mindestlohn zum Problem.

Und eigentlich ist diese Situation ja schon da, nur wird sie kaum beachtet: Die vielen Flüchtlinge in Deutschland bräuchten, wenn ihre Integration gelingen soll, dringend günstigere Eingangsgehälter. Aber daran mag die große Koalition nicht rühren, es passt nicht ins Weltbild der Sozialrumschrauber.

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