Künstliche Intelligenz:Schokolade und Blutwurst

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Essen auf Knopfdruck: So wie in der SciFi-Reihe Star Trek geht es in irdischen Küchen noch nicht zu - doch auch hier halten Computer Einzug. (Foto: Paramount)

Künstliche Intelligenz beim Devisenhandel - ein alter Hut. Doch nun erobert die Kombination aus großen Datenbanken und Algorithmen auch die feine Küche.

Von Kathrin Werner, Austin

Die gelbe Flüssigkeit, die Bernard Lahousse serviert, schmeckt genau wie Aprikosenkuchen. Sie ist dunkelgelb und dickflüssig und schwimmt in einem kleinen Plastikbecher. Kreiert hat sie ein Roboter - genauer gesagt: das Rezept dahinter. Dass sie wie Aprikosenkuchen schmeckt, ist fast ein wenig magisch, denn in der gelben Substanz sind weder Aprikosen noch Kuchen, sondern eine Mischung aus Ananas, Butternut-Kürbis, Vanille und Safran. "Man braucht nur 180 verschiedene Aromen", sagt Lahousse. "Aus denen kann man fast alles herstellen."

Der Belgier hat das Start-up Foodpairing gegründet, das die Aromen hinter Tausenden Lebensmitteln und ihren Inhaltsstoffen molekular analysiert. Es ist ein riesiger Berg Daten: Der Computer durchkämmt die Foodpairing-Datenbank. Wenn jemand irgendwo auf der Welt eine neue Zutat entdeckt, sortiert der Computer sie sofort ein und die Datenbank um. Mithilfe der Algorithmen schlägt Lahousse dann Profi-Köchen und Barkeepern neue Rezepte vor, sie zahlen seinem Unternehmen Geld, damit er ihnen erklärt, welche bislang unerhörten Kombinationen funktionieren. Je verwandter zwei Aromen sind, desto besser passen sie zusammen. Dunkle Schokolade passt zum Beispiel zu Sojasoße und sogar zu Blutwurst. "Die künstliche Intelligenz kann das automatisch und schnell herausfinden", sagt Lahousse. "Ein Koch würde eine lange Zeit brauchen, um neue Rezepte auszuprobieren und immer wieder zu verfeinern, bis sie stimmen."

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Ein Computer kann nicht riechen und nicht schmecken - wie soll er beim Kochen helfen?

Lahousse hat die aprikosenkuchenfreie Aprikosenkuchen-Flüssigkeit zur Technologiemesse South By Southwest (SXSW) nach Austin gebracht, weil er zeigen will, was künstliche Intelligenz leisten kann - und wie sie ändern wird, wie Menschen essen. Künstliche Intelligenz und Essen - das klingt auf Anhieb, als wären sie nicht zu vereinen. Schließlich ist Kochen auch eine Kunst und Essen etwas Persönliches und Sinnliches. Ein Computer hat keine Persönlichkeit und keine Sinne. Er kann nicht riechen und nicht schmecken. Wie soll er den Menschen da beim Kochen helfen?

Doch eine wachsende Zahl Unternehmen arbeiten an künstlicher Intelligenz für die Küche, sowohl für Profis als auch für Menschen, die nur schnell etwas auf den Tisch bringen wollen. Es gibt sogar einen jährlichen Kochwettbewerb in den USA, bei dem die Supermaschinen gegeneinander antreten: den International Computer Cooking Contest. Die Teilnehmer müssen auf Basis einer vor dem Wettbewerb festgelegten Rezeptsammlung ein Software-System entwickeln, das bei Menü-Planung und Zusammenstellung der Zutaten genauso gut ist wie die Chefköche in der Jury.

Künstliche Intelligenz kann sich anders als das gute alte Kochbuch an jeden Menschen anpassen. "Menschen schmecken ganz unterschiedliche Dinge", sagt Gregory Druck, der Forschungschef von Yummly. Sein Start-up hat eine App entwickelt, die auf jeden Nutzer persönlich zugeschnittene Rezepte vorschlägt. Die App merkt sich, wonach man sucht. Man kann Zutaten herausfiltern, die man nicht mag, bestimmte Gerichte als lecker markieren, Regionalküche suchen, Diätwünsche speichern und mitteilen, was man gerade im Kühlschrank hat, daraufhin schlägt die App neue Gerichte vor. Der Lebensmittelkonzern Unilever hat Yummly Geld gegeben. Auch der deutsche Medienkonzern Bauer ist an der Firma aus dem Silicon Valley beteiligt.

Die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz seien groß, sagt Druck. Zum Beispiel könnte Yummly speichern, was die User in einer Woche gegessen haben, den Nährwert auswerten und Rezepte vorschlagen, die Lücken füllen. "Wenn zum Beispiel Vitamin C fehlte, könnte man vorschlagen, Orangenscheiben in den Salat zu schneiden." Ziel der App ist auch, dass sich Menschen gesünder und vielseitiger ernähren. Yummly hat allerlei über die Menschen gelernt, zum Beispiel dass sie immer montags etwas Gesundes essen wollen - zum Ende der Woche ist es dann aber schon wieder vorbei mit den guten Vorsätzen.

Auch Lahousse von Foodpairing geht es um mehr als um witzige Rezepte. Sein Programm entwickelt etwa Kombinationen für Fische, die als Beifang sonst nur weggeworfen werden - eine Verschwendung, die den Fischbestand gefährdet. Oft seien sie lecker, wenn man sie richtig zubereitet. Die künstliche Intelligenz weiß wie.

"Um die Jobs der Köche mache ich mir keine Sorgen, zumindest nicht um die der guten."

Noch ersetzen die Computer keine Köche. "Sie helfen nur dabei, kreativer zu sein", sagt Lahousse. Ein Sternekoch habe ihn einmal gefragt, was er von der Kombination von Ketchup und Kaviar halte. Lahousse befragte den Computer und der fand heraus, dass sich die Aromen ähneln und das Rezept funktionieren kann. Jetzt ist Ketchup-Kaviar eine der Spezialitäten des Restaurants. "Ohne die Bestätigung hätte sich ein Sternekoch so etwas wahrscheinlich nie getraut", sagt Lahousse.

In den kommenden Jahren, glaubt er, würden Roboter einen Teil der Arbeit erledigen, die in Restaurantküchen anfallen, zum Beispiel Gemüseputzen oder andere automatisierte und eher lästige Aufgaben. Das Institut für künstliche Intelligenz (IAI) in Bremen bringt gerade Robotern Pizzabacken bei. "Um die Jobs der Köche mache ich mir aber keine Sorgen, zumindest nicht um die der guten", sagt Lahousse.

Das neue Geschäft gehört nicht nur Start-ups. Auch IBM macht mit bei der Kombination aus künstlicher Intelligenz und Essen. Watson, die KI-Software des großen IT-Konzerns, hat fast 10 000 Rezepte aus dem Magazin Bon Appétit ausgewertet und kombiniert seither Zutaten zu neuen Rezepten. Er hat analysiert, welche Zutaten zusammenpassen, wie man sie kochen muss und wann und wie Menschen sie mögen, dann spuckt er ein Rezept aus. Inzwischen hat er sogar ein eigenes Kochbuch. Watson funktioniert intern über binäre Codes, aber kann aus Sprache und Texten lernen. Er versteht Englisch und kann selber lernen; je länger er arbeitet, desto besser wird er. 2011 ist er in der Quizshow "Jeopardy" gegen zwei Menschen angetreten, die dort vorher Rekordsummen gewonnen hatten. Zwischen den menschlichen Spielern stand ein schwarzer Bildschirm, auf dem ein Ball fröhlich bunt leuchtete und in seiner Computerstimme alles beantwortete. Die Menschheit hatte keine Chance.

Seither beschäftigt sich Watson unter anderem mit Datenbanken für Ärzte - und eben mit Rezepten. Er ist immer gut, wenn es viele Daten gibt. Und Zutaten lassen sich zu einer gigantischen Zahl an Gerichten kombinieren. IBM nennt das "kognitives Kochen" und macht Vorschläge, auf die Menschen nie gekommen wären. Das Gehirn steckt eben fest in Gewohnheiten - der Computer dagegen nicht. So überlistet auch Foodpairing den Menschen mit Ananas, Butternut-Kürbis, Vanille und Safran, die zusammen wie Aprikosenkuchen schmecken.

© SZ vom 15.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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