Kreativität am Arbeitsplatz:Daddeln für den Chef

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Kreativ wie Lionel Messi im Spiel "Fifa Soccer" sollen Mitarbeiter dank Computerspielen werden.

(Foto: EA sports)

Werden Angestellte kreativer, wenn man sie Computer spielen lässt? Deutsche Unternehmen probieren es derzeit aus. Wer zockt, muss aber aufpassen, dass er seine Familie nicht vergisst.

Von Alexandra Borchardt

Man kann die Entwicklung neuer Produkte mit heiligem Ernst betrachten. Kluge, hoch qualifizierte Menschen sinnieren darüber, wie sie einen Gebrauchsgegenstand, eine Maschine oder ein Bauteil noch leistungsfähiger, einzigartiger oder formschöner machen können. Perfektion ist das Ziel. Das entspricht dem Modell Schöpfung, der biblische Ansatz. In Wirklichkeit verläuft das Ganze jedoch oft nach dem Modell Evolution, also eher weltlich: Versuch und Irrtum, massenhafter Untergang, Zufälle und Launen der Natur führen zu etwas, das plötzlich viel besser funktioniert als das zuvor Dagewesene. Glück gehabt? Vielleicht. Aber vielleicht lässt sich diese Art von Glück auch fördern.

Zum Beispiel, wie Fachleute neuerdings glauben, indem man Menschen spielen lässt. Dies - meist mit dem englischen Wort Gamification bezeichnet - wird die Arbeitswelt im nächsten Jahrzehnt massiv verändern, so die Prognose. Unternehmen denken zunehmend darüber nach, Mitarbeiter oder Kunden mithilfe digitaler Plattformen dazu zu motivieren, Aufgaben zu lösen und Ideen zu entwickeln. Die TU München hat deshalb ein großes Forschungsprojekt aufgesetzt, das den Einsatz von solchen spielerischen Elementen im Cost-Engineering erprobt, was so viel bedeutet wie: Produkte möglichst leistungsfähig und kostengünstig zugleich zu machen. 18 deutsche Firmen beteiligen sich daran, vor allem Mittelständler.

"Die Unternehmen nutzen den Spieltrieb des Menschen als Motivationsfaktor", sagt Horst Wildemann, Vater des Projekts und Leiter des Forschungsinstitut für Unternehmensführung, Logistik und Produktion der TU München. Denn Menschen tüfteln nicht nur gerne. Sie lieben es auch, sich zu messen, und freuen sich, wenn sie sich in einer Rangliste verbessern und andere übertrumpfen können.

In Online-Puzzle die Struktur eines Aidsvirus entdeckt

Firmen, die näher dran sind am Konsumenten, machen sich dieses Bedürfnis schon länger zunutze, zum Beispiel bei Kundenbindungsprogrammen. Die sind fast immer ein Gewinn fürs Unternehmen, das dadurch günstig an Daten kommt; selten einer für die Sammler. Denn kaum jemand löst all die Punkte oder Flugmeilen jemals ein, für die er schon mal ein teureres Ticket gebucht oder einen Umweg zu einem anderen Supermarkt in Kauf genommen hat.

Einige Konsumgüter- oder Dienstleistungskonzerne gehen noch weiter. Sie stellen Spiele ins Netz, bei denen Kunden unbedarft und kostenlos ihre Ideen preisgeben, wenn sie zum Beispiel Kleider entwerfen oder Restaurants gestalten. An Mitarbeiter richtet sich die Plattform Practically Green, die von Firmen eingesetzt wird, um ihre Beschäftigen zu nachhaltigem Handeln zu motivieren. Bei Siemens können Mitarbeiter im Spiel Plantville trainieren, Industrieanlagen erfolgreich zu managen. Meist gibt es Punkte, Ranglisten und oft einen attraktiven Gewinn für den Sieger. Bei diesen Spielen profitieren die Firmen insbesondere von einem Mengenvorteil, wie er sich nur in der digitalen Welt erreichen lässt. Mitarbeiter lassen sich mühelos über alle Standorte hinweg erreichen. Und je mehr mitmachen und voneinander profitieren, desto höher ist die Trefferwahrscheinlichkeit. "Wenn ich eine Idee habe, und Sie haben eine, dann hat jeder zwei. Auf diese Weise kann man Intelligenz multiplizieren", sagt Wildemann.

Als großer Erfolg in der Gamification-Szene gilt die Plattform Foldit, eine Art Online-Puzzle, in dem es um Proteinstrukturen geht. Innerhalb von zehn Tagen wurde durch die gebündelte Kraft der Teilnehmer die Struktur eines Aidsvirus entdeckt, an der Wissenschaftler zuvor 15 Jahre lang gerätselt hatten. Das Marktforschungsunternehmen Gartner schätzt, dass schon im kommenden Jahr jede zweite mit Innovation befasste Organisation an der einen oder anderen Stelle Spiele einsetzen wird. Und eine Studie aus Finnland, die die Ergebnisse von 24 Untersuchungen zu dem Thema analysiert hat, kommt zu dem Schluss: "Gamification funktioniert."

In dem TU-Projekt geht es vor allem darum, Mitarbeiter zum Mitmachen anzustiften. Denn mit dem Mitarbeiter und der Idee ist das so eine Sache. Er mag sie haben, schließlich arbeitet er ja täglich an vorderster Linie. Und vielleicht bespricht er sie sogar mit seiner Frau oder mit dem Kollegen in der Kantine: "Wenn die mich fragen würden, würde ich ..." Aber die Idee kommt nie im Unternehmen an. Weil sich niemand traut. Weil es der Chef ja doch besser weiß. Weil das Formular zum "betrieblichen Vorschlagswesen" so komische Wörter enthält. Und weil bestimmt jemand einwendet, das habe bislang bestens anders, nämlich so wie immer funktioniert.

Über digitale Plattformen mit spielerischen Anreizen könne man im besten Fall die Weisheit der Vielen mit den Einfällen der Genialen kombinieren, glauben Experten. "Spielifizierung erlaubt eine Mehrheitsmeinung, Innovationen sind aber immer eine Minderheitsmeinung", sagt Wildemann. Aber man brauche die Mehrheit - weil die besser weiß, was praktikabel ist oder sich gut verkauft. Auf diese Weise bringe man beides zusammen.

"Sehr schnell viele gute Ideen"

Markus Huppenberger, beim Münchner Gase-Konzern Linde Senior Manager im Cost-Engineering, ist von dem Projekt begeistert. Seine Abteilung habe Mitarbeiter zuweilen schon in der realen Welt zum Spielen bewegt, auf Projekttagen außerhalb des Firmengeländes. "Das war wirklich toll. Man hatte sehr schnell viele gute Ideen von den Beteiligten, die man sonst womöglich nicht erreicht hätte", erzählt Huppenberger. Ähnliches verspricht er sich nun von digitalen Angeboten, nur mit Breitenwirkung. "Die Frage ist doch: Wie komme ich grundsätzlich auch in großen Firmen schnell und unbürokratisch an Ideen ran?"

"Das ist auch ein Manipulationsinstrument"

Johannes Lampert, Leiter der Produktentwicklung beim Filterspezialisten Mann und Hummel, ist ebenso angetan. "Brainstorming war gestern. Die Zeiten sind vorbei, in denen der Chef in einen Raum geht, ein Flipchart aufstellt und sagt: Habt mal ein paar Ideen." Mann und Hummel, Hauptsitz in Ludwigsburg, ist eines dieser Unternehmen, die für Deutschlands Wirtschaftskraft stehen. Familienbetrieb, hoch spezialisiert, 15 000 Mitarbeiter, 50 Standorte weltweit, knappe drei Milliarden Euro Umsatz - und trotzdem kaum bekannt.

"Produktentwicklung bei uns, das müssen Sie sich vorstellen wie einen Lego-Baukasten", sagt Lampert. Da gebe es verschiedene Bauteile, aus denen unterschiedliche Filter gefertigt würden, 1700 Typen habe man derzeit im Programm. Die Aufgabe eines Spiels könnte nun zum Beispiel sein, einen Filter mit speziellen Anforderungen zu entwickeln. "Der besteht vielleicht aus vier, fünf Bauteilen. Aber vielleicht kriegt es auch jemand hin, das mit drei bis vier Teilen zu bauen, wenn man ein Teil davon etwas anders gestaltet."

Vor allem junge Mitarbeiter lassen sich durch Spiele motivieren, ist die Erfahrung der Manager, das gelte für Männer und Frauen zugleich. Schließlich hätten die Jungen ohnehin immer ein Smartphone dabei und bewegten sich mühelos durch die digitale Welt. Ein Arbeitgeber, der das berücksichtige und sogar fördere, mache sich attraktiv.

Das ist auch wichtig für kleine Unternehmen wie zum Beispiel den Lüftungsspezialisten Möhlenhoff aus Salzgitter, ebenfalls an dem von der TU München aufgesetzten Projekt beteiligt. Mit seinen gerade mal 200 Mitarbeitern sei Möhlenhoff gar nicht in der Lage, sich um solche Trends alleine zu kümmern, sagt Geschäftsführer Frank Geburek. Trotzdem möchte man natürlich im Kampf um Talente bestehen. "Das ist der neue Zeitgeist. Dass man den Mitarbeitern Möglichkeiten geben möchte, sich zu entfalten", sagt Geburek. Er wartet gespannt auf einen Prototypen aus dem Forschungsprojekt, der sich für einen kleinen Mittelständler ohne großen Aufwand adaptieren lassen sollte. Ziel ist es, so etwas bis Jahresende zu entwickeln.

Christian von Duisburg ist freier Spieleentwickler und berät Wildemann und sein Team. Gebraucht werde eine Plattform, die die Leute locker genug mache. "Die müssen auf eine Gartenparty-Ebene kommen", sagt von Duisburg. Am Arbeitsplatz sei das natürlich schwer. Auf jeden Fall müsse man die Mitarbeiter-Vorgesetzten-Situation aushebeln. Deshalb funktioniere so etwas in großen Gruppen besser, wo man auch anonym spielen könne. Denn keinesfalls dürften sich die Leute gegängelt fühlen. Zwang? Bloß nicht.

Auch Linde-Manager Huppenberger findet das wichtig. Man müsse auch ein Spielmuffel sein dürfen, ohne dass Chef oder Chefin dies nachverfolgen. "Das wäre der falsche Ansatz zu sagen, wer nicht spielen will, hat in der Industrie 4.0 nichts mehr zu suchen." Sobald Kontrolle ins Spiel komme, könne man alles vergessen. Was vermutlich jeder Betriebsrat unterschreiben würde.

Es kommt also auf das richtige Design an. Und das zu finden, ist gar nicht so leicht. "Es gibt bisher wenige empirische Ergebnisse auf hohem Forschungsniveau", sagt Isabell Welpe, Inhaberin des Lehrstuhls Strategie und Organisation der TU München und Projektpartner. Im Bildungsbereich habe man zum Beispiel festgestellt, dass die Spiele in den Unternehmen einerseits Motivation und Engagement erhöhen, andererseits aber auch die Konkurrenz zwischen den Lernenden fördern. Wildemann, der Vater des Forschungsprojekts an der TU, sieht noch ein anderes Problem. "Das ist auch ein Manipulationsinstrument, das darf man nicht verkennen", sagt er. Zum Beispiel spielten viele Mitarbeiter über die Arbeitszeit hinaus weiter. Das kann für Firmen gut sein, für Familien ist es dies womöglich nicht. Spielen könne sich zum Zeitfresser entwickeln - und letztlich süchtig machen.

Berater von Duisburg glaubt ohnehin, dass Gamification am besten funktioniert, wenn es punktuell und vorübergehend eingesetzt wird. "Wenn es sehr lange läuft, läuft es sich auch ein bisschen tot." Ziel sei es, Euphorie zu entfachen. Und diese dann in das traditionelle Arbeitsumfeld mitzunehmen.

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