Volkswagen:Die gute alte Zeit ist vorbei

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Volkswagen: Szene von der VW-Hauptversammlung in Hannover (Foto: dpa)

Mit Piëchs Weggang ist bei VW ein Machtvakuum entstanden. Wenn die Wolfsburger weiter oben mitspielen wollen, brauchen sie eine neue Strategie, die nicht bloß auf PS und Verbrennungsmotor setzt.

Kommentar von Caspar Busse

Vor einigen Jahren machte Martin Winterkorn einmal einen interessanten Vergleich zwischen Wirtschaft und Fußball auf. "Das ist wie in der Bundesliga: Oben zu bleiben, ist noch schwieriger, als nach oben zu kommen", sagte der Volkswagen-Chef.

Damit hat der Mann, dessen große Leidenschaft der Fußball ist, noch immer recht. Denn oben bleibt nur derjenige, der sich immer wieder fragt: Habe ich die richtigen Leute? Und habe ich die richtige Strategie? Das gilt im Fußball, aber auch in einem Unternehmen. Vor allem dann, wenn sich die Welt ringsum rasant verändert, wie es gerade die Autoindustrie erlebt: durch das vernetzte Fahren, durch das E-Auto, durch neue Mobilitätskonzepte. Kurzum: durch die digitale Revolution.

VW investiert viele Milliarden, die wegweisenden Projekte kommen aber von anderen

Derzeit befindet sich Volkswagen ohne Zweifel ziemlich weit oben. Der Zwölf-Marken-Konzern aus Wolfsburg rangelt mit Toyota und General Motors um die Position des größten Autoherstellers der Welt, beschäftigt in 118 Werken knapp 600 000 Mitarbeiter und erwirtschaftete im vergangenen Jahr einen Nettogewinn von fast elf Milliarden Euro, so viel wie kein anderes deutsches Unternehmen.

Doch kann Volkswagen in der Zukunft auch da oben bleiben?

Nach dem beispiellosen Machtkampf sind die VW-Oberen, Martin Winterkorn und der kommissarisch amtierende Aufsichtsratsvorsitzende Berthold Huber, bemüht, Normalität zu demonstrieren. Auf der Hauptversammlung in Hannover sagte der VW-Chef, man sei nun "in ruhigerem Fahrwasser unterwegs" und konzentriere sich wieder auf das Geschäft. Aber das sind kaum mehr als Beruhigungspillen für gutgläubige Aktionäre und die Öffentlichkeit. Denn die Wirklichkeit ist eine völlig andere. Entscheidende Fragen sind nach wie vor ungeklärt, die Unruhe ist maximal, genauso wie der Imageschaden und der Vertrauensverlust.

Volkswagen muss den Zeitpunkt für einen Neuanfang, für den notwendigen Generations- und Kulturwandel nutzen. Der Konzern braucht nicht nur schnell einen unabhängigen starken Chefaufseher, er braucht bald auch einen neuen Vorstandsvorsitzenden, der VW auf neue Wege führen kann. Die Lage ist umso gefährlicher, weil auch die Autoindustrie vor einem grundlegenden Wandel stehen könnte. Die gute, alte Zeit, als es vor allem um Pferdestärken und glänzende Karossen ging, ist bald vorbei. Für die junge Generation von heute ist das Auto kein Statussymbol mehr. Sie verlangt nach neuen, individuellen Mobilitätskonzepten, nach alternativen Antrieben, nach neuen Autos. Wo ist da eigentlich die Rolle von VW?

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Piëch ist weg - und bei der VW-Hauptversammlung tun Konzernchef Winterkorn und alle anderen so, als kehre wieder Normalität ein. Doch der Weggang des Patriarchen bleibt eine offene Wunde.

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Die Wolfsburger investieren zwar jedes Jahr viele Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. Die anderen sind aber weiter: Der kalifornische Hersteller Tesla baut schnittige E-Rennautos, Konkurrent BMW hat ein neues E-Fahrzeug mit Namen i3 entwickelt. Daimler hat in vielen Großstädten das Carsharing-Projekt Car2Go etabliert, auch andere Hersteller arbeiten intensiv an solchen Konzepten. Toyota wiederum setzt auf Hybrid-Fahrzeuge, also die Kombination von Elektro- und herkömmlichen Motoren. Auch wenn der wirtschaftliche Erfolg solcher Projekte noch keinesfalls ausgemacht ist, besteht die Gefahr, dass VW hier abgehängt wird.

Natürlich sind die Wolfsburger zu Recht für ihre Qualität bekannt. Winterkorn und Piëch, beide Ingenieure, gefielen sich in der Rolle des obersten Fahrzeugtesters. Aber über das Ziel, um jeden Preis größter Autoproduzent der Welt zu werden, haben sie offenbar viele andere Entwicklungen aus den Augen verloren. Das könnte sich bald rächen.

Mit dem Abgang von Piëch, der den Konzern jahrzehntelang - im Positiven wie im Negativen - geprägt hatte, ist ein Machtvakuum entstanden. Wer soll diese Lücke füllen? Weder Winterkorn noch Piëch haben je einen Nachfolger aufgebaut, das war fahrlässig. Dazu kommen die verwickelten Eigentümerstrukturen: Auf der einen Seite stehen die zerstrittenen Eigentümerfamilien Porsche und Piëch, die sich gegenseitig nicht über den Weg trauen. Auf der anderen Seite versuchen die ohnehin zu mächtigen Arbeitnehmervertreter, ihren Einfluss weiter auszubauen. Dazwischen stehen das Land Niedersachsen und die freien Aktionäre.

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Auf der VW-Hauptversammlung blickt Vorstandschef Winterkorn vor allem in die Zukunft: "Volkswagen ist ein kerngesundes, gut aufgestelltes Unternehmen". Der Machtkampf an der Konzernspitze scheint vergessen, Normalität soll einziehen. Aber kann das gelingen?

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Es kommt viel Arbeit auf Volkswagen zu, die Zeit drängt. Denn wenn die Wolfsburger oben bleiben wollen, dann wird das sehr viel Energie erfordern. Und eine neue Strategie für das digitale Zeitalter - eine Strategie, die nicht bloß auf PS und den Verbrennungsmotor setzt.

© SZ vom 06.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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