Griechenland:Wettbewerbsfähigkeit ist der falsche Begriff

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Politiker fordern, Griechenland müsse "wieder wettbewerbsfähig werden". Dabei führt dieses Wort nur in die Irre.

Kommentar von Jan Willmroth

Um die Rhetorik der Gegenwart zu hinterfragen, helfen oft Worte aus der Vergangenheit. Worte des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton beispielsweise, der nach seinem Amtsantritt proklamierte: Jede Nation sei wie ein großer Konzern, der im weltweiten Wettbewerb steht. Das war mehr als zwei Jahrzehnte vor der schweren wirtschaftlichen Krise Griechenlands und der mit ihr verbundenen politischen Misere der EU. Damals ging es um anderes; die USA beschäftigten sich etwa mit der Frage, wie die Nation im Wirtschafts-Wettrennen mit Japan und Europa bestehen könne.

Die Diktion der "Wettbewerbsfähigkeit" von Staaten aber blieb, von Clinton bis Barack Obama, von Jacques Delors zu Beginn der europäischen Währungsunion bis zu Angela Merkel und Wolfgang Schäuble: Griechenland müsse "wieder wettbewerbsfähig werden", heißt es derzeit allenthalben. Vor etwas mehr als zehn Jahren galt Deutschland noch als der kranke Mann Europas, als zu wenig wettbewerbsfähig, obgleich deutsche Firmen hochgradig erfolgreich waren und Deutschland Exportweltmeister war. Politiker verwenden den Begriff ebenso wie Wissenschaftler und Kommentatoren, er steht in Debattenbeiträgen, Redemanuskripten und Forschungsarbeiten. Nicht nur die griechische Krise ist durchzogen von diesem unscharfen Salonwort, das herhalten muss, wenn es um wirtschaftspolitische Entscheidungen geht, die unangenehme Folgen haben könnten.

Konzerne stehen im direkten Wettbewerb, nicht aber Länder

Dabei führt es fundamental in die Irre, Wettbewerbsfähigkeit als politischen Begriff zu verwenden - jedenfalls bezogen auf einen Staat, ein Land, eine Nation. Oft dient er als argumentative Wand, hinter der sich alle möglichen schwer zu erklärenden ökonomischen Zusammenhänge verstecken lassen. Martin Wolf, Chefökonom der Financial Times, fasste es einmal so zusammen: "Die Idee, Länder stünden im direkten Wettbewerb miteinander, so wie Unternehmen, ist Unsinn."

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Bei Unternehmen ist eindeutig, wann sie wettbewerbsfähig sind, bei Ländern nicht. Ein Unternehmen, das Löhne und Gehälter nicht zahlen und seine laufenden Kosten über einen längeren Zeitraum nicht decken kann, wird entweder übernommen oder stellt seinen Betrieb ein: Es kann im Wettbewerb mit Konkurrenten nicht mithalten. Ein Land, das längere Zeit mehr ausgibt, als es einnimmt, hört nicht einfach auf zu existieren.

Eigentlich ist Produktivität gemeint

Konzerne stehen im direkten Wettbewerb, sie kämpfen darum, mehr Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen als die Konkurrenz. Bei Ländern ist das anders. Der internationale Handel macht stets nur einen Teil der Wirtschaftsleistung aus, im Fall von Griechenland sind es etwas mehr als dreißig Prozent Exportanteil. Reine Exportnationen gibt es nicht. Gemäß der Theorie der komparativen Vorteile, die der Ökonom David Ricardo entwickelt hat, ist das Verhältnis zwischen Ländern weniger ein kompetitives, sondern ein komplementäres: Wenn Volkswirtschaften sich spezialisieren, ist der Handel für alle lohnender. Wenn China boomt, profitiert Deutschland mehr, als dass es bedroht ist.

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Wettbewerb zwischen Ländern ist aber nicht nur begrifflich schwierig - die Metapher von Nationen als global agierenden Konzernen verändert auch die Politik. Der Deregulierungswettbewerb, der aus New York und London unkontrollierbare Finanzzentren machte, verdeutlicht das ebenso wie der schädliche Steuerwettbewerb, in dem sich Staaten mit Steuersenkungen für Unternehmen unterbieten, bis am Ende kein Land mehr profitiert.

Was könnten all jene meinen, die von der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands sprechen? Zumeist meinen sie die Produktivität, also die Produktion von Gütern und Dienstleistungen pro Zeit. Vereinfacht könnte man sagen: In Griechenland waren die Löhne jahrelang zu hoch. Sie könnten aber auch das Handelsbilanzdefizit meinen, die Investitionen im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung, die Qualifikation der Arbeitskräfte oder das Exportwachstum. Die beste Alternative zur Wettbewerbs-Metapher wäre: gesamtwirtschaftliche Leistung; die Wirtschaft eines Landes soll aus sich heraus funktionieren und wachsen können. Wettbewerbsfähigkeit verkommt als politische Vokabel zu einer beliebigen Kategorie, mit der sich gut die eigene Ratlosigkeit verschleiern lässt. Es ist an der Zeit, den Begriff nicht mehr leichtfertig zu verwenden, sondern stets konkret zu benennen, worauf es ankommt.

© SZ vom 17.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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