Italienischer Reifenhersteller:Perle Pirelli geht an China

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Pirelli, exklusiver Reifenausrüster der Formel 1, geht in chinesische Hände. (Foto: dpa)
  • Pirelli-Chef Marco Tronchetti Provera gibt das Unternehmen in chinesische Hände ab. Der Chemiekonzern Chem China wird den Reifenhersteller übernehmen.
  • Nach einem frenetischen Verhandlungswochenende soll am Montag das 7,1 Milliarden Euro schwere Übernahmeangebot aus Peking vorliegen.
  • Es ist der vorläufige Höhepunkt einer chinesischen Investitionsoffensive in Italien.

Von Ulrike Sauer, Rom

Bei der Partnerwahl hatte Marco Tronchetti Provera, 67, zuletzt kein glückliches Händchen. Seit fünf Jahren geht es bei Pirelli zu wie im Taubenschlag. Auf finanzielle Hilfe angewiesen, holte der leidenschaftliche Segler 2009 die Stahlfamilie Malacalza aus Genua an Bord des Mailänder Reifenherstellers. Bald schon raufte man sich um die Kontrolle und landete vor Gericht. So rückte der Mailänder Finanzinvestor Clessidra nach und füllte die Lücke.

Für ein paar Monate. Vor einem Jahr dann angelte sich der Pirelli-Chef in Kreml-Nähe einen finanzkräftigen Aktionär: den russischen Ölkonzern Rosneft. Weitsichtig? Keine Spur. Die Krim-Krise war bereits ausgebrochen, als Rosneft mit 550 Millionen Euro in das Mailänder Traditionsunternehmen einstieg. Heute belasten die westlichen Sanktionen und der Ölpreisverfall das Bündnis mit den Russen schwer. So muss Rosneft-Chef Igor Setschin seine Auslandsinvestition teilweise rückgängig machen, und Tronchetti Provera zückt diesmal eine Karte, die eine Zäsur für den fünftgrößten Reifenhersteller der Welt bedeutet: Er gibt Mailands Industrie-Ikone in chinesische Hände ab.

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Chem China übernimmt Pirelli

Pirelli, Hersteller von Reifen der Premiumklasse und exklusiver Ausrüster der Formel-1-Teams, wird vom Chemiekonzern Chem China geschluckt. Nach einem frenetischen Verhandlungswochenende wurde am Sonntagabend der Vertrag unterschrieben. Angeblich ist den Chinesen Pirelli 7,1 Milliarden Euro wert. 15 Euro biete Chem China pro Pirelli-Aktie, heißt es. Nehmen alle Eigner die Offerte an, kontrolliert der Staatskonzern künftig 65 Prozent des 1872 gegründeten Unternehmens. Die italienischen Aktionäre um Tronchetti Provera und die Banken Intesa und Unicredit halten dann 22,6 Prozent und Rosneft 12,4 Prozent.

Erklärtes Ziel der komplexen Finanzoperation: die Firma nach fast einem Jahrhundert von der Mailänder Börse nehmen, um in Ruhe einen industriellen Umbau zu vollstrecken. Pirelli will sein Geschäft mit Lkw-Reifen ausgliedern und mit dem chinesischen Hersteller Aeolus fusionieren, einer Chem-China-Tochter.

Der Kurs der Pirelli-Aktie übersprang am Freitag den Angebotspreis und notierte auf dem höchsten Stand seit 25 Jahren. Beim eiligen Kommen und Gehen der vergangenen Jahre gab es eine Konstante: Tronchetti Proveras Macht blieb unangetastet. Trotz seines Aktienanteils von nur 5,17 Prozent und dank einer gewagten Konstruktion aus Schachtelbeteiligungen. Während seine strategischen Allianzen in rascher Folge in die Brüche gingen, hielt Tronchetti am Steuer fest, das er 1991 von seinem Schwiegervater Leopoldo Pirelli übernommen hatte.

24 Jahre führte der elegante Industriekapitän die wechselhaften Geschicke des Unternehmens. 2001 wäre die Übernahme der fünfmal größeren Telecom Italia fast zum Verhängnis geworden. Um das Abenteuer zu finanzieren, verkaufte Tronchetti Pirelli-Beteiligungen wie die Kabelsparte und lud dem Unternehmen Milliardenschulden auf. Nach dem Fiasko bei Telecom wandte er sich 2007 wieder dem Reifengeschäft zu und schob das Wachstum in den Schwellenländern kräftig an.

Auch unter chinesischer Kontrolle wird sich offenbar so schnell nichts in der Mailänder Chefetage ändern. Tronchetti Provera behält das Kommando - wohl bis 2020 sicher. Dafür aber erlebt man nun eine neue Episode der Auflösung der Italien AG. Über Jahrzehnte hielten sich die Familienunternehmen auf dem Apennin dank eines Geflechts aus Überkreuzbeteiligungen und Aktionärspakten über Wasser. Unter dem Druck der Globalisierung zerfällt das eng verbandelte Netzwerk nun. Auch die Festung Pirelli wurde am Ende friedlich gestürmt.

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Das Geld, das Italiens Unternehmen fehlt, kommt jetzt vermehrt aus dem Reich der Mitte. Für die Chinesen ist der Einstieg in den italienischen Industrie-Adel der Höhepunkt einer fulminanten Einkaufstour in dem europäischen Krisenland, das an namhaften Markenunternehmen und Technologien überaus reich ist. 2014 machte China Italien zum bevorzugten Zielland seiner Investitionen in Europa. Es gab 5,8 Milliarden für Unternehmensbeteiligungen aus. Und wurde herzlich begrüßt. Im Oktober noch stellte Regierungschef Matteo Renzi beim Empfang seines chinesischen Amtskollegen hochzufrieden fest: "In diesem Moment ist die Aufmerksamkeit der chinesischen Investoren für unser Land groß, und darüber sind wir sehr glücklich".

Nur die Gewerkschaften klagen

Auch der Verlust der Perle Pirelli änderte die Tonlage nicht. "Die Investition ausländischen Kapitals ist grundsätzlich positiv", kommentierte der stellvertretende Industrieminister Claudio De Vincenti. Nur die Gewerkschaften klagen. Gab es im Jahr 2001 nur 21 italienische Unternehmen mit chinesischer Beteiligung, so ist die Zahl rasch auf 327 Unternehmen gestiegen. Darunter sind Mittelständler wie die Modefirmen Krizia, Sixty und Caruso, Hi-Tech-Manufakturen wie der Hersteller von Luxusyachten Ferretti, Metallunternehmen und Nahrungsmittelproduzenten.

Garantieklauseln im Vertrag mit Chem China sollen sicherstellen, dass der Sitz des Herstellers und sein Know-how in Italien bleiben. Andererseits: Pirelli, das zu den ältesten Unternehmen des Landes zählt, macht eh nur noch sechs Prozent seiner 6,1 Milliarden Euro Umsatz in Italien. Und nur sechs Prozent der Produktion erfolgt noch in der Heimat.

© SZ vom 23.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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