Italienischer Finanzminister:"Europa ist an einem Scheideweg angekommen"

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Italiens Finanzminister Pier Carlo Padoan drängt auf schnelle Hilfe für die schwache Wirtschaft. (Foto: dpa)
  • Der italienische Finanzminister Pier Carlo Padoan bezeichnet den Investitionsplan von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker als "guten, ersten Schritt". Es seien aber noch einschneidende Reformen nötig, um die privaten Mittel in Europa "locker zu machen".
  • Die empfindlichen Beziehungsstörungen zwischen Italienern und Deutschen führt er auf die verschlechterten Lebensbedinungen in Europa zurück - man hätte das gegenseitige Vertrauen verloren.

Von Ulrike Sauer, Rom

An seinem wuchtigen Holzschreibtisch, einem Meisterwerk italienischer Schnitzkunst, behält Pier Carlo Padoan die Entwicklung der Zinsdifferenz zwischen italienischen und deutschen Staatsanleihen im Auge. Noch heute, mehr als drei Jahre nach dem Höhepunkt der europäischen Schuldenkrise, ist der Bildschirm immer an. Auch jetzt, da der Finanzminister Bilanz der zu Ende gehenden italienischen EU-Ratspräsidentschaft ziehen will.

Im Juli hatte der turnusmäßige Vorsitz der Italiener unter großen Erwartungen begonnen. Regierungschef Matteo Renzi, der sich in Rom an einer Radikalerneuerung Italiens versucht, kündigte auch Europa einen Kurswechsel an. Nun läuft das Halbjahr ausgerechnet mit einem alarmierenden Anstieg der Zinsen auf griechische Staatsanleihen aus. Die Eurokrise flackert wieder auf, wo sie einst begonnen hat. In Italien denkt man mit Schrecken an 2011 zurück, als das Land in wenigen Monaten in den Sog der Krise geriet.

Besteht nun erneut Gefahr? "Nein, 2011 beruhte die Ansteckung auf einer diffusen Schwäche der anderen Länder", sagt Padoan in einem Interview mit fünf führenden europäischen Blättern, darunter der Süddeutschen Zeitung. Klar, ihn sorgt die heikle politische Lage in Griechenland. "Die Situation in Europa ist heute aber eine ganz andere als 2011. Man habe Fortschritte bei der Stabilisierung der Staatsfinanzen erzielt und das Finanzsystem durch die Bankenunion gestärkt. Damit sei ein wichtiger Übertragungsweg ausgeschaltet worden, sagt der frühere Chefökonom der Industrieländerorganisation OECD.

Was fehlt, sind konkrete Lösungen

Der 64-jährige Römer sitzt aufgeräumt und gelassen unter den Deckenfresken seines ballsaalgroßen Büros im Ministerium hinter den antiken Diokletianthermen. Auf die Arbeit, die Italiens Regierung in Brüssel geleistet hat, ist er stolz. "Wachstum, Investitionen und Arbeitslosigkeit sind heute in Europa die zentralen Themen, viel stärker als vor sechs Monaten", sagt er. Damit habe Italien sein selbst gestecktes Ziel erreicht.

Was fehlt, sind nun konkrete wirtschaftspolitische Lösungen. Der Schwenk in der Brüsseler Krisenpolitik ging einher mit einer nachsichtigeren Interpretation der Vorgaben zum Abbau von Defizit und Schulden. Insbesondere Frankreich und Italien profitierten davon im November unter dem neuen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Befördert wurde die Wende durch die wachsende Unzufriedenheit der Bürger mit den europäischen Institutionen und durch den Aufstieg anti-europäischer Parteien, meint Padoan.

Er stelle mittlerweile unter seinen Kollegen eine starke Bereitschaft fest, den Unmut mit einer gewandelten Politik zu bekämpfen. Auch in Italien haben die populistischen Eurogegner starken Zulauf. Der aufstrebende Chef der rechten Lega Nord, Matteo Salvini, poltert neuerdings: "Europa ist nicht reformierbar, wir müssen es niederreißen." Doch es ist wohl noch mehr die desolate wirtschaftliche Lage in der Währungsunion, die Padoan schnelles Handeln fordern lässt. "Europa ist an einem Scheideweg angekommen. Eine Straße führt in die Stagnation, die andere führt zum Wachstum, das wir dringend brauchen." Der Abstand zu den USA weite sich zusehends aus. In Italien sackte die Industrieproduktion im Oktober weiter ab. Auch bei den Nachbarn zieht die Konjunktur kaum an, doch kein anderes Land sitzt in einer so hartnäckigen Rezession fest wie Italien.

Greift da der europäische 315-Milliarden-Euro-Investitionsplan von Juncker nicht zu kurz? "Er ist ein guter erster Schritt", sagt Padoan diplomatisch. Doch es wird rasch klar, dass für den Italiener viel zu tun bleibt. Er drängt zur Eile, wogegen Juncker erst im Sommer loslegen will. "Wir müssen uns sputen. Juni ist für die Wirtschaft weit weg", nörgelt Padoan. In der Zwischenzeit ließen sich Mittel der Europäischen Investitionsbank mobilisieren. "Die Bank muss aktiver sein", fordert er. Ob es gelingt, der komatösen Wirtschaft in Europa einen Schubs zu geben, hängt für den parteilosen Ökonomen nicht nur von öffentlichen Geldern ab. Wichtig sei eine zielsichere Politik, mit der sich private Mittel aktivieren ließen. "Wir brauchen einschneidende Reformen, um diese Mittel locker zu machen", sagt er.

Viele Menschen gäben Europa die Schuld daran, dass es ihnen dreckig gehe

Die Verabschiedung des italienischen "Jobs Act" sei ein gutes Beispiel dafür, findet Padoan. Sie bezeuge die Fähigkeit der römischen Regierung, Reformen durchzusetzen. Dass die Gewerkschaften das Land am Freitag mit einem achtstündigen Generalstreik gegen die Arbeitsmarktreform lahmlegten, scheint die Stimmung des Ministers zu heben. Mit der Parole "So nicht" demonstrierten die Menschen in 54 Städten gegen die Renzi-Regierung. "Mir zeigt der Generalstreik, dass einige Gewerkschaften die Reform diesmal als eine ernsthafte Veränderung des Arbeitsmarktes wahrnehmen", sagt Padoan erfreut.

Für die empfindlichen Beziehungsstörungen zwischen Deutschen und Italienern macht Padoan die verschlechterten Lebensbedingungen in Europa verantwortlich. Viele Menschen gäben Europa und einzelnen Staaten die Schuld daran, dass es ihnen dreckig gehe. "Wir haben leider das gegenseitige Vertrauen verloren", beklagt er. Es sei mühsam, sich angesichts des gegenseitigen Misstrauens und der Rezession auf eine gemeinsame Wirtschaftspolitik zu verständigen. "Aber eine Zunahme der Distanz, also eine Desintegration, wäre für alle eine Katastrophe", warnt der Minister.

© SZ vom 13.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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