Interne Ermittlungen bei EnBW:Codename "Katharina"

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Geheime Gas-Deals, obskure Verschleierungen und dubiose Nukleargeschäfte: Wenn die internen Prüfungen der EnBW richtig liegen, dann könnte es sich um eine völlig neue Dimension schwarzer Kassen in Deutschland handeln. Millionen sollen Atommanager jahrelang nach Russland verschoben haben - für äußerst ungewöhnliche Projekte.

Markus Balser und Uwe Ritzer

Das Mautsystem Toll-Collect gilt nicht gerade als Beweis für deutsche Innovationskraft. Erst nach jahrelanger Verzögerung konnte das System 2005 eingeführt werden, mit dem seither auf deutschen Autobahnen die Lkw-Maut eingetrieben wird.

Auch unter der Ägide des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der EnBW, Hans-Peter Villis, soll Geld geflossen sein. (Foto: dpa)

Einige russische und deutsche Manager der Atomindustrie ließen die Schwierigkeiten aber offenbar unbeeindruckt. Denn fast zeitgleich verfolgten sie den Plan, ein solches System auch in Russland aufzuziehen. Mit einem kleinen Unterschied. Es sollte nicht nur Maut kassieren. Es ging um mehr: Die geheime Kontrolle von Nuklearmaterial.

Das Projekt galt nach Informationen der Süddeutschen Zeitung als so brisant, dass es bei den Beteiligten in Deutschland und Russland unter dem Codewort "Katharina" lief. Die geplanten Autobahnbrücken in Russland sollten nicht nur Nummernschilder filmen. "Easy Toll" sollte zum Maut- und Sicherheitssystem werden, mit dem der Weg von Nuklearmaterial grenzübergreifend verfolgt werden sollte. Wie Flughafenschleusen für Passanten, sollten die geheimnisvollen Straßenschleusen melden, wenn Fahrzeuge strahlendes Material an Bord hatten. So jedenfalls geht es aus internen Dokumenten von EnBW hervor.

Trübe Suppe in der Karlsruher Zentrale

Denn Deutschlands drittgrößter Energiekonzern mischte bei dem Projekt kräftig mit - als Partner russischer Geschäftsleute. Sicher scheint allerdings bei dem Projekt nur eins: Es löste gewaltige Probleme aus. Denn sieben Jahre später stellt sich die Frage, wie ernst dem Energiekonzern die Easy-Toll-Pläne überhaupt waren. Ob das Projekt jemals eine Chance auf Realisierung hatte oder nur ein Luftschloss war, das in Wirklichkeit einem mutmaßlich illegalen Zweck diente: Zweifelhafte Millionen-Zahlungen an den russischen Lobbyisten und Geschäftsmann Andrey Bykow zu tarnen.

Es ist eine trübe Suppe, die da in der Konzernzentrale in Karlsruhe gärt. In zig Prozessen und Schiedsgerichtsverfahren streiten sich die EnBW und Bykow um etwa 120 Millionen Euro, die der Konzern für das Projekt "Katharina" und andere mit Bykow geplante Vorhaben gezahlt hat. Angeblich für dessen Leistungen in Zusammenhang mit Nukleargeschäften. So erklärt es der Energiekonzern.

Bykow behauptet etwas ganz anderes. In Wirklichkeit habe er dem Konzern in Russland Gas heimlich besorgen sollen. Heimlich, weil der damalige französische EnBW-Großaktionär EdF nichts mitbekommen sollte, da er strikt dagegen gewesen sei.

Dem Handelsblatt sagte Bykow nun, EnBW habe ihm insgesamt sogar 200 Millionen Euro zugeschanzt. "Zur Klimapflege", wie er das nennt. Die Hälfte der Summe habe er behalten, die andere sei in wohltätige Zwecke wie die Restaurierung russischer Kirchen, Denkmäler oder etwa Schachschulen geflossen. Dies habe einzig und allein einem Zweck gedient habe: Die russische Seite für die EnBW-Pläne gewogen zu stimmen.

Beobachter lässt die wüste Geschichte kopfschüttelnd zurück. Ein deutscher Milliardenkonzern zahlt einen dreistelligen Millionenbetrag, um Schachschulen und Kirchen in Russland zu finanzieren, um letztlich an Gas zu kommen? Zudem ohne irgendwelche Sicherheiten? Das Geld, so Bykow weiter, sei in den Amtszeiten der EnBW-Chefs Gerhard Goll, Utz Claassen und Hans-Peter Villis geflossen.

Wenn das stimmt, könnte die russische Angelegenheit enorme Sprengkraft bei dem Energiekonzern entfalten. Drei Vorstandschefs, die von einem System der schwarzen Kassen gewusst haben - das wäre eine gänzlich neue Dimension in Deutschland. Wenn es stimmt.

Denn Insider verfolgen die Einlassungen von Andrey Bykow bezüglich ihres vollen Wahrheitsgehalts mit Skepsis. Der Anwalt Claassens weist die Vorwürfe zurück: "Herr Claassen hat sich als Vorstandsvorsitzender der EnBW jederzeit korrekt, professionell und rechtskonform verhalten." Die in Umlauf gebrachten Schaudergeschichten seien an Absurdität nicht zu überbieten. Die EnBW wollte die Vorwürfe am Dienstag nicht kommentieren.

Kontakte seit den neunziger Jahren

EnBW-internen Unterlagen zufolge, die der SZ vorliegen, reichen die Kontakte des Konzerns zu Bykow zurück bis in die neunziger Jahre. Spätestens, als die rot-grüne Bundesregierung 2000 den Atomausstieg beschloss, wurden daraus Geschäftsbeziehungen. EnBW begann demnach, sich um Zugang zu russischem Gas zu bemühen.

Bykow bot sich als Vermittler an. Wirtschaftsprüfer der Gesellschaft KPMG, die 2009 im Auftrag des Konzernvorstands die Geschäfte mit Bykow und dessen Firmen genauer unter die Lupe nahmen, stießen auf eine ganze Reihe Geschäfte in den Jahren 2000 bis 2008, bei denen der Russe und die EnBW zusammenarbeiteten. Führende Manager des Energiekonzerns sollen dabei ihre Kompetenzen massiv überschritten und ihre Pflichten als Geschäftsführer verletzt haben. Dadurch sei EnBW ein hoher Millionenschaden entstanden.

Aufsichtsgremien umgangen

Untersuchungen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG zufolge sollen die Manager eigenmächtig Millionen an Bykow-Firmen überwiesen haben - oft das Vielfache jener Summen, die nach internen Compliance-Regeln für selbständige Zahlungen erlaubt waren. Aufsichtsgremien seien umgangen oder erst im Nachhinein informiert worden. Zuständige Fachabteilungen bei EnBW wurden gar nicht erst gefragt. Die hohen Zahlungen hätten in keinem Verhältnis zu den Leistungen Bykows gestanden.

So wurde 2007 eine angebliche Studie zur Endlagerung von Atommüll in Deutschland und Russland mit 4,5 Millionen Euro finanziert. Tatsächlich sei das Papier nicht mehr gewesen als eine Zusammenfassung gesetzlicher Vorschriften und eine Dokumentation von Fachaufsätzen.

Bykows wohltätige Stiftung in Russland hob am Dienstag auf ihrer Internetseite demonstrativ und in großen Lettern die vielen Millionen hervor, die bislang von EnBW nach Russland flossen: "Wir danken den Aktionären, dem Aufsichtsrat, dem Vorstand, dem Management und allen Mitarbeitern der Energie Baden-Württemberg AG für ihre 11 Jahre lange Unterstützung unserer Arbeit."

© SZ vom 13.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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