Internationale Haftbefehle:Strafe in Deutschland schützt nicht vor Strafe im Ausland

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Ex-Manager von Siemens machen derzeit die Erfahrung, dass man für eine Tat durchaus mehrfach belangt werden kann.

(Foto: dpa)

Zwei Mal für dieselbe Tat verfolgt werden? Dass das möglich ist, merken derzeit frühere Siemens-Manager.

Von Klaus Ott

Er hat reinen Tisch gemacht und den Ermittlern geholfen, den größten Schmiergeldfall in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte zu enthüllen. Und das soll jetzt der Dank sein? Gegen einen früheren Siemens-Manager aus München, der vor zehn Jahren zum Kronzeugen der deutschen Justiz wurde, der Richtern und Staatsanwälten den Weg wies durch den einst korrupten Konzern und der deshalb mit einer Bewährungsstrafe davonkam, liegt ein Haftbefehl vor.

Aus Griechenland, aber das genügt, um die Reisefreiheit des einstigen Siemens-Mannes einzuschränken. Als der Rentner sich neulich einige Tage in Berchtesgaden erholte, verkniff er sich einen Abstecher nach Salzburg. Der Haftbefehl gilt europaweit, nur Deutschland ist ausgenommen.

Klage gegen die Bundesrepublik

Solche Probleme haben auch andere frühere Siemensianer, die in weltweite Schmiergeldzahlungen verwickelt waren. Sie sind in Deutschland dafür längst belangt worden. Ihre Verfahren sind abgeschlossen. Und weil es den juristischen Grundsatz gibt, dass niemand wegen derselben Tat zweimal verfolgt werden darf, müssten sie im Prinzip Ruhe haben. Wären da nicht Haftbefehle aus Griechenland oder den USA, die bei Interpol vorliegen.

Einer dieser früheren Siemens-Manager, der im Saarland lebt, will sich das nicht länger gefallen lassen. Er hat beim Verwaltungsgericht Wiesbaden Klage gegen die Bundesrepublik erhoben. Das in Hessen ansässige Bundeskriminalamt (BKA) soll dafür sorgen, dass er aus den Fahndungslisten bei Interpol gestrichen wird. Es ist ein Präzedenzfall, eine Musterklage.

Dieser Siemens-Manager hatte dem Vorstand der Landesgesellschaft in Argentinien angehört. Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft München I hatte er vor etwa eineinhalb Jahrzehnten Zahlungen an Mitglieder der argentinischen Regierung "befürwortet".

Siemens bewarb sich damals um einen großen Auftrag zur Herstellung fälschungssicherer Pässe. Über Umwege flossen viele Millionen Euro an Beamte und Minister. Das war wohl eine Mischung aus Schmier- und Schutzgeld.

Der Siemens-Landesvorstand in Argentinien soll in Anspielung auf Verbrechen der ehemaligen Junta heftig bedroht worden sein. "Sie wissen, wir haben die Leute früher über dem Meer aus dem Flugzeug geworfen", soll ein Staatsbediensteter gesagt haben. Siemens zahlte, das flog später auf, und der Siemens-Mann kassierte eine Art Schuldspruch in München: Das Verfahren wurde gegen Geldauflagen eingestellt.

Die US-Justiz allerdings geht weiter gegen ihn vor. Inklusive einer "Red Notice" bei Interpol; er ist weltweit zur Fahndung ausgeschrieben. Dagegen will der frühere Siemansianer aus dem Saarland mithilfe des BKA nun vorgehen - wegen unzulässiger Doppel-Verfolgung. Doch das BKA zieht nicht mit. Beim Verwaltungsgericht in Wiesbaden geht es hin und her. Das BKA meint, der Kläger solle sich direkt an Interpol wenden.

Internationaler Haftbefehl

Den "Internationalen Haftbefehl" gibt es eigentlich gar nicht, jedenfalls nicht im juristischen Sprachgebrauch. Sondern lediglich nationale Haftbefehle, die in einem Staat ausgestellt und in einem anderen vollstreckt werden. Man spricht, entsprechend der Interpol-Farbgebung, von Roteck-Fahndung oder "Red Notice". Grundlage können bilaterale Abkommen sein, wie zwischen Deutschland und den USA, oder auch das (über die EU hinausreichende) Europäische Auslieferungsübereinkommen von 1957. Mit vielen Staaten existieren keine Abkommen, ausgeliefert werden kann aber trotzdem.

Voraussetzung ist, dass die Straftat, die dem Gesuchten vorgeworfen wird, in beiden Staaten strafbar ist und die Höchststrafe mindestens ein Jahr beträgt, was aber bei jedem Diebstahl der Fall ist. Außerdem gilt das Gegenseitigkeitsprinzip: Wer selbst nicht ausliefert, kann dies auch von anderen nicht fordern. Zuständig ist zunächst das Amtsgericht, das sich indes nicht auf bloße Formalien beschränken darf, wie das Bundesverfassungsgericht verfügt hat. Wer allerdings der Meinung ist, er sei überhaupt zu Unrecht auf der Interpolliste gelandet, der kann bei der deutschen Justiz wenig ausrichten, sondern muss sich an die Gerichte in Ausland halten.

Deutsche Staatsbürger liefert die deutsche Justiz nicht ans Ausland aus. Einzige Ausnahme: der EU-Haftbefehl, ein vereinfachtes und sehr weitreichendes Auslieferungsverfahren, ein echter internationaler Haftbefehl auf EU-Ebene, wenn man so will. Doch auch EU-intern darf laut Verfassungsgericht nicht blind ausgeliefert werden. Droht dem Betroffenen "unmenschliche oder erniedrigende Behandlung", dann muss die Justiz die Auslieferung stoppen. Wolfgang Janisch

Oder persönlich bei den US-Behörden vorsprechen. Letzteres sei ausgeschlossen, wendet der Kläger ein, weil man ihn dann festnehmen werde. Und bei Interpol habe er bereits erfolglos die Löschung der "Red Notice" beantragt. Interpol sei ein Verein nach französischem Recht. Weder der Internationale noch der Europäische Gerichtshof könnten helfen. Das könnten nur die Mitgliedstaaten und die Mitgliedsorganisationen von Interpol. In diesem Fall also die Bundesrepublik und das BKA.

Der frühere Siemens-Manager wohnt im Saarland direkt an der Grenze. Die Bäckerei, deren Brot ihm bestens schmeckt, liegt in Frankreich. Den Lieblingsbäcker meidet der Mann. Aus Angst, bei einer eventuellen Kontrolle in Frankreich festgesetzt und in die USA ausgeliefert zu werden. Ferien in Portugal, wo er ein Häuschen besitzt, sind ebenfalls tabu. Bleibt nur die Hoffnung auf das Verwaltungsgericht in Wiesbaden. Das ist mit Asylverfahren überlastet, ein Termin im Herbst ist wohl aber nicht ganz ausgeschlossen.

Es gibt Schlimmeres, als Urlaub in Deutschland machen zu müssen. Aber in diesem Fall stellt sich die Grundsatzfrage, welche rechtsstaatlichen Prinzipien gelten. Auf die Antwort wartet auch der Münchner Siemens-Rentner, der mit seinen Aussagen den deutschen Ermittlern so geholfen hat. Auch den Strafverfolgern in Athen hat er geholfen, doch die wollen ihn nun wegen Schmiergeldzahlungen beim Verkauf von Loks und Waggons an die griechische Bahn belangen.

Obwohl die Vorgänge in Griechenland schon beim Prozess in Deutschland Thema waren. Das Oberlandesgericht München hat eine Auslieferung abgelehnt. Die Sache sei nach deutschem Recht verjährt. Der Beschluss stammt vom selben Richter, der diesen Siemens-Manager einst nicht ins Gefängnis schickte, weil er ausgepackt hatte. "Ich bin froh, dass es zu Ende ist", sagte der Ex-Manager damals. Jetzt geht es weiter.

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