Hugendubel-Mitarbeiter wehren sich:Bitte kein Bücher-Aldi!

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Der Buchhandelsriese Hugendubel entlässt, strukturiert um, schließt Filialen. Die Mitarbeiter wehren sich auf ihre Weise - und prangern in einem eigenen Watchblog die Missstände in den Läden an.

S. Drees

Manchmal kann die Arbeitnehmer-Frustration in poetische Bahnen gelenkt werden: "Ich war tief unten. Dann drehte ich mich um und betrat eine neue Welt." Wie leise und sensibel muten diese Zeilen an im Gegensatz zu dem, was sich in der Tradition des arbeitnehmerorientierten Lobbyismus an Protestformen etabliert hat. Trillerpfeifen und Menschen mit bunten Umhängeschildern kommen einem in den Sinn, wenn man an gewerkschaftlich organisiertes Fäusteballen denkt. Das Zitat findet sich nicht etwa in irgendeinem Liebeskummerkasten, sondern in einem Infoblog. Mitarbeiter des gescholtenen Buchhandelsriesen Hugendubel haben das hauseigene Watchblog zusammen mit Verdi initiiert. Eine "Gegenöffentlichkeit" soll hier entstehen.

Hugendubel-Mitarbeiter wollen nicht, dass ihr Laden zum Bücher-Aldi wird. (Foto: ag.afp)

2009 wurden beim Unternehmen erste Meldungen von "Umstrukturierungsmaßnahmen" laut, in Sachen Kündigungen gingen diverse Zahlen über den Äther. In Nürnberg wurde die erste Filiale geschlossen. Die Geschäftsführung teilte mit, dass es in nächster Zeit keinen weiteren Abbau geben werde. Im Interview mit der Wirtschaftswoche vermutete der Chef des Partnerunternehmens Weltbild, Carl Halff, allerdings unlängst, dass "in den kommenden fünf Jahren bis zu 40 Prozent der Buchverkaufsflächen in Deutschland verschwinden werden".

Insgesamt hat Hugendubel im letzten Jahr rund 70 Mitarbeiter entlassen. "Die endgültigen Zahlen kennen wir auch nicht", sagt Stefan Kraft, Verdi-Landessekretär für Bayern und hauptverantwortlich für den Inhalt des Blogs. "Wir wollen für mehr Transparenz in der Unternehmenspolitik sorgen und mit der Geschäftsleitung in einen Dialog kommen."

Die Redaktionsmitglieder wollen laut eigener Aussage die Entwicklung hin zu einem "Bücheraldi" dokumentieren. Schlagwörter wie "Outsourcing", "Erlebniseinkauf" und "Optimierungsfiliale" stehen in der skurrilen Blüte des neoliberalen Sprachduktus. Die Demaskierung geschieht oft polemisch, mit tiefschwarzem Gewerkschaftler-Zweckpessimismus. Oder auch sachlich, unterlegt mit gesammelten Erfahrungsberichten aus den Filialen. Mitarbeiter berichten von externen Firmen, die sowohl Packdienst als auch Empfang, Wareneingang und Inventur erledigen. Auszubildende seien nur da, um im Nonbook-Bereich Geschenkartikel zu sortieren.

Diese Protestkultur ist beweglicher als ihre älteren Geschwister. Einerseits, weil das Medium ein unmittelbares Reagieren auf Ereignisse möglich macht. Andererseits, weil sich in den verschiedenen kaleidoskopartigen Formaten ein wenig die Moralin getränkte Bitterkeit neutralisieren lässt, die oft kollektive Beschwerdeformate übersäuert. In der Rubrik "Karikaturen" etwa findet sich das gezeichnete Porträt eines Wesens, dessen rechtes Auge aus Stahl ist. Das ist das Cyber-Fortschritts-Monster "Buchhandel". Aber auch das wachsame Cyber-Auge des Gewerkschaftlers ist nicht mehr unbewaffnet.

© SZ vom 12.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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