Heinrich Deichmann:"Cindy Crawford ist eine beeindruckende Frau"

Heinrich Deichmann will nicht nur "Aldi für Schuhe" sein. Der Händler über neue Kunden, Arbeitsbedingungen in Asien und seine Stil-Ikone.

M. Beise u. S. Weber

Etwa 30 Paar Schuhe hat Heinrich Deichmann, 47, im Schrank. Manchmal geht er auch fremd, um die Konkurrenz zu testen. Der Expansionsdrang des größten europäischen Schuhhändlers ist ungebrochen. In Deutschland will Deichmann in diesem Jahr 55 weitere Läden aufmachen. Die Gruppe will mehr sein als ein "Aldi für Schuhe"n.

SZ: Herr Deichmann, wir gucken mal eben unter den Tisch.

Heinrich Deichmann: Damit habe ich gerechnet. Ich trage Schuhe unserer kleineren Firmentochter Roland. Die Marke ist nicht so bekannt und darf hier gerne mal erwähnt werden. Sie sehen, ich bin vorbereitet.

SZ: Okay, andere Frage: Wie viele Paar Schuhe stehen bei Ihnen zu Hause im Schrank?

Deichmann: Das ist schwierig. Etwa 30 Paar, schätze ich.

SZ: Alle aus dem eigenen Sortiment?

Deichmann: Meistens ja, aber ich teste auch den Wettbewerb, sodass ich im wahrsten Sinne des Wortes schon einmal fremdgehe.

SZ: Niedrige Preise verführen zum Neukauf. Wie oft gönnen sich die Verbraucher in Deutschland neue Schuhe?

Deichmann: Klassische Modelle etwa von unserer Marke Gallus werden sicher zwei Jahre und länger getragen. Sehr modische Exemplare legen die Verbraucher dagegen häufig bereits nach einer Saison ab.

SZ: Könnte auch an der Qualität liegen. Ihre Schuhe gelten bei Kritikern als minderwertig.

Deichmann: Das kann nur sagen, wer uns nicht trägt. Wir haben in puncto Qualität aufgeholt. Und nicht alles, was preiswert ist, ist schlecht.

SZ: Immer wieder der Preis! Bei Deichmann ist das ein wichtiges Verkaufsargument. Auf modischen Chic pfeifen Sie?

Deichmann: Überhaupt nicht. Die Zeiten, in denen wir nur für günstig standen, sind lange vorbei. Heute ist unsere Kollektion modisch hochaktuell. Wir werden mittlerweile immer mehr als Lifestyle-Marke wahrgenommen.

SZ: Lifestyle? Wir dachten, Sie wären der Schuh-Aldi?

Deichmann: Der wollen wir nicht nur sein. Neben Qualität und und niedrigen Preisen geht es im Modebereich vor allem darum, Emotionen zu wecken.

SZ: Gewagt. Verschrecken Sie damit nicht Ihre angestammte Kundschaft?

Deichmann: Deshalb versuchen wir, "oben" anzubauen, ohne das Fundament zu vernachlässigen. Damit wollen wir neue Kundenkreise ansprechen, ohne die Stammklientel zu verprellen. Ich glaube, das gelingt uns ganz gut. Befragungen zufolge waren 70 Prozent aller Deutschen schon einmal in einer Deichmann-Filiale. Wir sind ein Familienschuhanbieter.

SZ: Wenn Sie mit dem Aufrüsten beginnen, wohin soll das führen? Müssen die Läden immer noch chicer werden, mit allen Konsequenzen? Schuhe nicht mehr im Karton präsentiert, sondern aufgebrezelt im Regal, feinstes Interieur, Läden auf den Flaniermeilen der Metropolen?

Deichmann: Wenn wir unsere niedrigen Preise beibehalten wollen, müssen wir unsere Kosten im Griff behalten. Das beste Preis-Leistungsverhältnis ist das Fundament unseres Geschäfts und soll es auch bleiben. Jeder in Deutschland soll sich von unserem Angebot angesprochen fühlen. Wir nehmen alle, vom Hartz-IV-Empfänger bis zum Millionär.

Warum Cindy Crawford eine Stil-Ikone bleibt

SZ: Ihr Vater hat anders begonnen. Was sagt er heute zu diesem Spagat?

Deichmann: Mein Vater war immer offen für Neuerungen und ist froh, dass es weitergeht.

SZ: In der Werbung setzten Sie stark auf Prominente wie die Sugababes, die Pussycat Dolls und jetzt Cindy Crawford - nehmen Ihnen die Kundinnen ab, dass diese Showgirls wirklich bei Deichmann kaufen?

Deichmann: Unsere Werbepartner sind absolut glaubwürdig. Es geht immer um aktuelle Trends in der Schuhmode. Und da sind wir stets vorne dabei. Auch bei Modellen für junge Mädchen.

SZ: Cindy Crawford ist ja kein Idol mehr für junge Mädchen. Ein Supermodel von gestern. Wären da nicht die Stars von Sex and the City geeigneter?

Deichmann: Cindy Crawford ist eine Stil-Ikone. Sie soll uns helfen, mit der qualitätsbewussten Frau ab 30 besser ins Geschäft zu kommen. Ich habe Cindy kennengelernt, sie ist eine beeindruckende Frau. Klug, interessant, wunderschön. Sie verkörpert Stil, Eleganz, Qualität, Werthaltigkeit. Mit Sex and the City nicht zu vergleichen.

SZ: Die Deichmann-Gruppe arbeitet ohne Fremdkapital. Sie halten nicht viel von Krediten, oder?

Deichmann: Wir geben nicht mehr Geld aus, als wir verdient haben. Damit sind wir immer gut gefahren. Sicher hätten wir durch fremdfinanzierte Großakquisitionen schneller wachsen können. Aber ich vermisse nichts. Wir sind auch mit unserer eher konservativen Einstellung zum Marktführer in Deutschland und Europa geworden.

SZ: In Deutschland kämen Sie schon gerne schneller voran. Aber Sie finden nicht genügend gute Standorte für neue Läden. Haben Sie vielleicht zu hohe Ansprüche?

Deichmann: Wir suchen bezahlbare Standorte in guten Lagen. In diesem Jahr eröffnen wir etwa 55 neue Geschäfte und werden etwa jeden zehnten unserer 1200 Läden umbauen oder an bessere Standorte verlegen. Europaweit sollen es 240 neue Läden werden. Dass es nicht mehr sind, liegt auch daran, dass einige zunächst geplante Objekte von Immobilieninvestoren nicht gebaut werden, weil die Finanzierung nicht gesichert ist.

SZ: Ihre Familie ist bekannt für ihr großes soziales Engagement und für einen engen Kontakt zu den Mitarbeitern. Wie lässt sich das durchhalten, wenn das Unternehmen immer größer wird?

Deichmann: Der persönliche Kontakt zu den Mitarbeitern löst sich mit zunehmender Größe des Unternehmens, das ist klar. Mein Vater hat lange Zeit jedes unserer Geschäfte zweimal im Jahr besucht. Später war er einmal pro Jahr vor Ort. Ich schaffe es kaum, alle zwölf Monate jedes Land, in dem wir aktiv sind, einmal zu besuchen. Dennoch bemühen wir uns, das Leitbild der großen Deichmann-Familie lebendig zu erhalten.

SZ: Wie geht das?

Deichmann: Beispielsweise mit Aktionen, wie sie mein Vater im vergangenen Jahr durchgeführt hat, als er mit allen Jubilaren eine Fahrt auf dem Rhein veranstaltete. Außerdem bietet unser Unternehmen materielle Leistungen, die in vielen Firmen nicht mehr selbstverständlich sind, wie eine Unterstützungskasse, eine Betriebsrente und Gesundheitswochen.

Deichmann und der Glaube

SZ: Sie fördern die Fitness der Mitarbeiter?

Deichmann: Jeder Mitarbeiter kann für ihn kostenfrei einmal pro Jahr eine Woche Urlaub in der Schweiz machen. Dort lernt er viel über gesunde Lebensführung. Voraussetzung ist natürlich, dass er dafür Urlaubstage einsetzt.

SZ: Sie reden von Werten, aber handeln anders. Als finanzstarker Filialist treibt die Deichmann-Gruppe die Auslese im Schuh-Einzelhandel voran. Sie tragen dazu bei, dass kleine inhabergeführte Läden aufgeben.

Deichmann: Das stimmt so nicht, man muss das differenziert sehen. Zum einen gehört zur marktwirtschaftlichen Ordnung Wettbewerb, der dem Kunden zugute kommt. Zum anderen schließen inhabergeführte Geschäfte nicht immer aus wirtschaftlichen Gründen. Oft gibt es auch keinen Nachfolger. Und es ist auch nicht so, dass kleine Schuhgeschäfte, die oft Mitglied eines Einkaufsverbundes sind, keine Überlebenschance hätten. Sie dürfen nur nicht ausschließlich über den Preis verkaufen wollen, denn in diesem Punkt können sie mit den Filialisten meist nicht mithalten.

SZ: Passt zu Ihrem Sozialengagement, dass Sie ausschließlich in Asien produzieren?

Deichmann: Wir kaufen weltweit in 40 Ländern ein, zirka 70 Prozent der Ware kommt tatsächlich aus Asien. Das machen alle größeren Schuhhändler so, es geht nicht anders. Schuhproduktion ist zu einem großen Teil Handarbeit, und die lässt sich in Deutschland nicht mehr bezahlen. Kein Kunde wäre bereit, so viel höhere Preise zu akzeptieren.

SZ: Die Arbeitsbedingungen in vielen asiatischen Textil- und Schuhfabriken sind nicht gut, berichten Menschenrechtsorganisationen ...

Deichmann: Es ist uns sehr wichtig, dass die Menschen, die für uns arbeiten, anständig behandelt werden. Um das sicherzustellen, arbeiten wir eng mit unabhängigen Instituten zusammen, die die Arbeitsbedingungen in den Betrieben gemäß unserem Verhaltenskodex prüfen. Deshalb kann ich sagen: Die Situation in den Fabriken, die für Deichmann arbeiten, ist weit besser als üblicherweise in den Betrieben dieser Länder. Damit helfen wir auch mit, die Sozialstandards in der Branche anzuheben.

SZ: Sie sind überzeugter Christ. Ihre Familie gehört einer freikirchlichen Gemeinde an. Wie stark prägt der Glaube Ihre Tätigkeit als Unternehmer?

Deichmann: Wir empfinden Verantwortung für Menschen in Not. Mein Vater hat vor mehr als 30 Jahren die christliche Hilfsorganisation Wort und Tat gegründet. Sie unterstützt heute mehr als 100.000 Menschen, vornehmlich in Indien, Afrika und Moldawien. Meist geht es darum, Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen, damit sie dem Kreislauf der Armut entrinnen, und den Armen Zugang zu kostenloser medizinischer Behandlung zu ermöglichen.

SZ: Und in der täglichen Arbeit?

Deichmann: Mein Vater und ich halten mit unserem Glauben nicht hinterm Berg. Wenn mein Vater spricht, können Reden schon einmal zu Predigten werden.

Mehr als der Schuh-Aldi: Die Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Kemper's Jones Lang La Salle haben genau hingeschaut: Die Schuhbranche zählt nach dem Textilhandel und gleichauf mit Telekommunikationsanbietern zu den am häufigsten vertretenen Branchen in Deutschlands Einkaufsstraßen. Immer mit dabei ist das Essener Familienunternehmen Deichmann - mit knapp 1200 Filialen der Branchenprimus. Auch in Europa gibt es niemanden, der über ein vergleichbar dichtes Ladennetz verfügt. Deichmann betreibt in 18 Ländern etwa 2800 Geschäfte und beschäftigt 28.000 Mitarbeiter. Im vergangenen Jahr verkaufte die Gruppe 138 Millionen Paar Schuhe, so viele wie noch nie in der Firmengeschichte. Das waren keineswegs nur Billigtreter, denn Deichmann will nicht nur der Schuh-Aldi, sondern auch ein Anbieter hochwertiger Marken sein. So gehören beispielsweise die Traditionsmarken Elefanten und Gallus seit 2005 zum Sortiment. Von denen gibt es auch ,,Bio-Modelle'', also eine Produktlinie, die besonders strenge ökologische Standards erfüllt. Seit kurzem ist zudem eine sogenannte 5th-Avenue-Kollektion auf dem Markt, die in Zusammenarbeit mit dem US-Model Cindy Crawford entwickelt wurde. Diese Marke war bereits 2009 stark gefragt und trug stark zum Umsatz von insgesamt 3,4 Milliarden Euro bei. (stw)

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