Handel:Lidl und Aldi wollen jetzt hip sein

Lesezeit: 3 min

Gucci, Prada, Lidl? Der Lebensmitteldiscounter verkauft nun Kaschmirpullover in der Hamburger Innenstadt. (Foto: Christian Charisius/dpa)
  • Was sich im Moment zwischen Aldi und Lidl abspielt, hat es so noch nicht gegeben: Das Buhlen um Aufmerksamkeit scheint keine Grenzen mehr zu kennen.
  • Lidl präsentiert eine neue Modekollektion in einer der teuersten Ecken Hamburgs.

Von Michael Kläsgen und Angelika Slavik

Der neue Wall ist eine von Hamburgs teuersten Einkaufsstraßen. Prada, Gucci, Tod's und Hermès - hier kann man in sehr kurzer Zeit sehr viel Geld loswerden. Von diesem Donnerstag an gibt es aber, gleich neben Salvatore Ferragamo, einen Laden, der aus der Reihe fällt: Hier verkauft der Lebensmitteldiscounter Lidl nun seine neue Modekollektion. Ob die Schickeria wohl schon die Kreditkarten zückt?

Bei Lidl ist man jedenfalls aufgekratzt. "Skandinavisch und puristisch" sei das Design, doziert Jan Bock, der bei dem Unternehmen Einkauf und Marketing verantwortet. Und er sagt, dass es ja heute "im Trend" sei, in unterschiedlichen Preisklassen einzukaufen. "Da kann man gerne unsere Stücke mit den Lieblingsteilen von Gucci oder Prada kombinieren, die man schon zu Hause hat."

Buhlen um Aufmerksamkeit

Die Inszenierung birgt eine gewisse Komik, aber wenn man genauer hinsieht, erkennt man sie als Teil einer Gesamtstrategie. Denn im Kampf um die Gunst der deutschen Konsumenten experimentieren die beiden großen Discounter Aldi und Lidl gerade mit ihrem Image. Beide versuchen, sich neu zu erfinden. Motto: Wir sind jetzt mal hip. Man erinnere sich. Aldi präsentierte erst im April eine eigene Jette-Joop-Kollektion. Lidl zieht nun mit "Premium"-Klamotten nach.

Die beiden Discounter haben sich schon immer beharkt. Zugespitzt ausgedrückt ist Lidl nur entstanden, um Aldi Konkurrenz zu machen. Aber was sich im Moment zwischen beiden abspielt, das hat es so noch nicht gegeben. Das Buhlen um Aufmerksamkeit scheint keine Grenzen mehr zu kennen. "Teilweise ist das nicht mehr ganz rational", sagt Wolfgang Adlwarth, Handelsexperte beim Marktforscher GfK. Es sieht so aus, als habe die Rivalität zwischen Aldi und Lidl eine Eigendynamik angenommen, die beide dazu verleitet, Dinge zu tun, die sie früher niemals getan hätten.

Von Aldi heißt es, Nord und Süd hätten sich zusammengetan, um in Kürze gemeinsam Fernsehwerbung zu machen. Werbeagenturen seien bereits beauftragt. Und zwar von einer personell aufgestockten Kommunikationsabteilung. Ja, die Rede ist von Aldi, dem Discounter, dem jahrzehntelang kein Wörtchen zu entlocken war. Die Preise allein sollten Werbung genug sein. Jetzt packt Aldi die Werbetrommel aus, so wie Lidl zuvor. Der Grund: Der Discount-Markt ist gesättigt. Und die Zahl der Menschen, die nach Qualität verlangen und dafür auch einen höheren Preis zu zahlen bereit sind, steigt. "Die Discounter müssen den Spagat wagen", sagt Adlwarth, "sie müssen neue Kunden gewinnen, ohne die alte Klientel zu verprellen."

Landwirtschaft
:Vom Aldi-Kind zur Ökobäuerin

Ohne eigenes Geld und Land bauen Anja und Janusz Hradetzky in der Uckermark einen Bio-Milch-Betrieb auf. Sie stehen für eine neue Generation von Landwirten, die gerade die Ställe erobert.

Von Hans von der Hagen

Lidl weiß um dieses Risiko. "Natürlich ist uns klar, dass wir mit dem Store keine riesigen Umsätze machen", sagt Bock. Es gehe ja auch um etwas anderes: "Wir versuchen, Aufmerksamkeit zu generieren. Und wir wollen die Menschen, die bislang nicht bei uns einkaufen, vielleicht mal zum Nachdenken bringen." Es dauere lange, bis Menschen ihre Konsumgewohnheiten änderten, möglicherweise könne die Überraschung über Kaschmirpullover, Haremshosen und Blazer von Lidl dafür ein erster Schritt sein.

Der Laden in Hamburg ist ein sogenannter Pop-up-Store, nach gut zehn Tagen Verkaufsaktion wird das Discounter-Logo also wieder verschwinden und der Textil-Lidl einer italienischen Modefirma Platz machen. Die Grundidee aber wird bleiben: Das Image der Discounter völlig umzudrehen, um besser zum paradoxen Kaufverhalten der Konsumenten zu passen.

Günstig kann heute auch hip sein. In Großbritannien ist Aldi der Imagewandel geglückt. Wie? Mit einem Pop-up-Store. Zur Londoner Wein-Woche im Mai verwöhnten mehrere Sommeliers und sogar einer von den weltweit nur sehr seltenen Masters of Wine die Aldi-Kunden mit den edelsten Tropfen. Aldi hatte hier einen Ruf zu verteidigen. Kurz zuvor hatten die Briten Aldi zum besten Weinhändler der Insel gekürt. Ja, die Rede ist immer noch vom deutschen Billigheimer aus dem Ruhrpott. An einer Geschmacksverirrung der Briten allein kann es nicht liegen. Die Discounter machen Ernst in Sachen Qualität.

Die Briten küren Aldi zum besten Weinhändler der Insel

Aldi und Lidl polieren ihr Image und lassen sich das Milliarden kosten. Alle Filialen in Deutschland werden modernisiert. Schickes Design, warmes Licht, Kundentoiletten, Kaffeeautomaten, Wickelecken. All das, was früher verpönt, weil viel zu teuer war, hält jetzt Einzug in die Läden. So als wollten die Discounter zeigen: Wir können auch Supermarkt. Die Fachleute sprechen von Trading-up, von einer Nivellierung der Qualität, aber auch der Preise nach oben. Andere Discounter wie Netto (Edeka) und Penny (Rewe) können sich dem Trend kaum entziehen. Sie machen mit, zögerlich und punktuell. Manche fragen sich schon, ob sich bald eine Lücke auftut, in die ein Hard-Discounter alter Prägung stoßen könnte. Wäre das vielleicht Norma, Deutschland fünftgrößter Discounter, der sich dem neuen Chic verweigert?

Noch reklamieren Aldi und Lidl die günstigsten Preise für sich. Erst verteilte Aldi in seinen Läden Handzettel, die priesen, wie günstig es doch sei, hier einzukaufen. Und in diesen Tagen läuft im Werbefernsehen eine Kampagne von Lidl, die man getrost als aggressiv bezeichnen kann: Unter dem Motto "Du hast die Wahl" vergleicht die Kette darin immer die Preise eines Produkts der Eigenmarke mit dem eines Markenprodukts - das aber ebenfalls bei Lidl im Sortiment ist. Coca-Cola gegen die selbst produzierte Freeway Cola, Iglo Fischstäbchen gegen Ocean See, Kerrygold Butter gegen Milbona Golden Hills. Unnötig zu erwähnen, dass zumindest beim reinen Preisvergleich die Eigenmarken aus Konsumentensicht weitaus besser wegkommen. Wie finden die Hersteller der Markenartikel das? "Wir bekommen viele positive Reaktionen", sagt Einkaufschef Bock. Nachsatz: "Gut, nicht von allen." Im Kampf um die Kunden gibt es für die Sensibilitäten der Markenhersteller eben keinen Platz mehr.

© SZ vom 08.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: