Griechenland:"Das ist nicht die Zukunft, die wir wollen"

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Die jüngste Ministerin: Efi Achtsioglou (Foto: Mike Szymanski)

Den höchsten Preis der Griechenland-Krise zahlt die junge Generation. Und ausgerechnet die jüngste Ministerin im Kabinett muss die Sparpolitik durchsetzen.

Von Mike Szymanski

Draußen warten die Demonstranten. Vielleicht zehn, zwanzig Männer und Frauen. Junge Menschen. Wütende Menschen. Irgendwann muss Efi Achtsioglou aus ihrem Ministerium herauskommen. Einer aus der Gruppe wirft Flugblätter in die Luft. Wie Herbstlaub schweben sie zu Boden. Er brüllt: "Niemand kann von 400 Euro leben. Nehmt Eure Sparpakete und haut endlich ab." Abhauen? Efi Achtsioglou ist noch lange nicht fertig. Sie zeigt auf ihren Computer. Sie schreibt an einem Gesetzentwurf, jenen Text, der für die Leute draußen mal wieder nichts anderes bedeutet als das nächste Sparpaket.

Wieder müssen die Griechen finanziell bluten. 2019 und 2020 sollen die Renten abermals, dann zum 13. Mal seit Ausbruch der Krise, gekürzt werden. Und für Geringverdiener steigt die Steuerlast. Jetzt kann man sagen, gut, das ist ihr Job. Efi Achtsioglou ist Politikerin, Arbeits- und Sozialministerin. Ihre Regierung unter dem Linkspolitiker Alexis Tsipras hat 2015 mit den internationalen Kreditgebern vereinbart, das hoch verschuldete Land zu sanieren.

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Aber das ist eben nicht alles. Sie könnte jetzt auch draußen unter den Demonstranten stehen und würde kaum auffallen. Efi Achtsioglou ist selbst erst 32 Jahre alt. Sie ist die Jüngste in Tsipras' Kabinett. Sie meint dieselbe Zukunft wie die Demonstranten, wenn sie darüber spricht. Sie kämpfen für dieselbe Sache, die Frau drinnen und die Leute draußen. Und doch sind sie zu erbitterten Gegnern geworden.

Niemand zahlt in der Krise einen höheren Preis als die Generation von Efi Achtsioglou. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 50 Prozent. Der Mindestlohn für Berufseinsteiger - vor ein paar Jahren noch bei 700 Euro - ist auf brutto 511 Euro abgerutscht. Wenn heute Jobs entstehen, dann oft auf Mini-Lohn-Niveau von 400 Euro. Das ist die Klage der Demonstranten: Das Geld reicht nicht. Eine halbe Million Griechen haben das Land seit 2008 verlassen, weil sie in ihrer Heimat keine Zukunft mehr sehen.

Efi Achtsioglou hat sich in einen der Sessel vor ihrem Schreibtisch gesetzt und die Beine übereinandergeschlagen. Jung sein als Politikerin - was heißt das? "Für sich allein? Erst einmal nichts", sagt sie. "Aber ich kann sehr gut verstehen, was es bedeutet, heute ein junger Wissenschaftler in Griechenland zu sein. Jemand, der alle Abschlüsse macht und nicht viel Hoffnung hat. Ich kann verstehen, dass die Aussicht auf Arbeitslosigkeit ängstigt, und nachvollziehen, was es bedeutet, mit 30 noch bei den Eltern leben zu müssen, weil das Geld für eine eigene Wohnung nicht reicht."

Trotzdem muss sie weiter Sparpolitik machen. Griechenland steht kurz davor, die nächste Tranche aus dem Rettungspaket, dem mittlerweile dritten, bewilligt zu bekommen. Wie immer war es ein Kampf, bis hierhin zu kommen. Seit Monaten haben Athen und die internationalen Kreditgeber gerungen. Ein neuer Krisensommer schien bevorzustehen, so zäh ging es beim Ringen um die nächste Tranche aus dem 86 Milliarden-Euro-Programm voran. Solang die zusätzlichen Sparmaßnahmen nicht vom Parlament verabschiedet sind, voraussichtlich passiert das in der kommenden Woche, ist die Gefahr auch noch nicht gebannt. Achtsioglou hat ein Gesamtpaket geschnürt. In dem Maße, wie die Regierung Renten kürzt und Steuern erhöht, will sie an anderer Stelle gegensteuern: Zuschüsse für Medikamente geben, fürs Wohnen. Härten abfedern. Zudem steht ein höheres Ziel hinter der Vereinbarung mit den Kreditgebern: Sie mache den Weg frei, über weitere Schuldenerleichterungen zu reden.

Ihre Ernennung zur Ministerin im November vergangenen Jahres war eine große Überraschung. Arbeit, Rente, Soziales - in der Krise ist dies neben Finanzen und der Wirtschaft ein Schlüsselressort. Premier Tsipras vertraute es einer Frau an, die in der Bevölkerung bis dahin kaum einer kannte. Efi Achtsioglou, Juristin und auf Arbeitsrecht spezialisiert, war Büroleiterin des damaligen Ministers Giorgos Katrougalos. Der hatte 2016 eine Rentenreform durchgesetzt. Er versicherte, noch einmal müssten die Bezüge nicht gekürzt werden. Aber diese Aussage war bald überholt. Er ließ sich lieber von Tsipras in ein anderes Ministerium versetzen, als sein Wort zu brechen. Es sah so aus, als würde nur jemand gebraucht, um die Schmutzarbeit zu Ende bringen, eine Vollstreckerin.

Das Oppositionslager schmäht Achtsioglou als ein "In-vitro-Kind" aus dem Labor von Tsipras' Linkspartei Syriza. Doch Efi Achtsioglou ist für Tsipras auch eine der letzten Brücken zu den Jungen in der Gesellschaft. Die jungen Griechen waren es, die ihn 2015 an die Macht gebracht hatten - in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Tatsächlich werden sie es nicht mehr, vielleicht nie mehr, so gut haben wie ihre Eltern und Großeltern. In ihren eigenen Familien können sie sich davon überzeugen: Trotz der Sparrunden bekommen die Älteren im Durchschnitt zwischen 800 und 1000 Euro an Rente. So viel verdienen ihre Kinder nicht, die studiert haben und in Vollzeit arbeiten. Verkehrte Welt? "Das ist nicht die Zukunft, die wir wollten und wollen", sagt die Ministerin. Sie bemüht sich gar nicht, die von Brüssel diktierten neuen Sparvorgaben zu verteidigen, sie hält sie für falsch. "Sie waren nicht nötig. Wir hatten aber keine Wahl."

Die Realität heute in Griechenland: "Der Staat unterstützt Dich nicht."

Ob das noch ankommt bei den Menschen? 20 Minuten zu Fuß von ihrem Ministerium herrscht Chaos, ein Kellergeschoss ist zum Ort wüster Zerstörung geworden. Jemand hat mit einer Eisenstange auf eine Waschmaschine eingedroschen. Das Gerät sieht so verformt aus, man mag sich nicht vorstellen, was der Person durch den Kopf gegangen sein muss, als sie sich daran abgearbeitet hat. Das interessiert Elena Driva, 25, und ihren Partner im Geschäft wie im Leben, Spyros Trikaliotis, 28, auch gar nicht. Hauptsache sie fühlt sich jetzt besser. Und sie verdienen daran.

Die beiden ehemaligen Sportstudenten sind jetzt Unternehmer. Am Neujahrstag haben sie mitten im Ausgehviertel einen "Rage-Room" eröffnet, einen Platz, an dem die Kunden ihre Wut herauslassen können. Kleine Wut, kleines Programm: Zehn Flaschen zerdeppern. Kostet zehn Euro. Das Programm "Chaos" ist schon etwas für die ausdauernden Wütenden: 80 Flaschen, vier Fernseher, 15 Teller gibt es zu zerstören. Nachnehmen erlaubt. Danach sieht ihr "Rage-Room" auch wirklich wie die Hölle aus. An manchen Tagen reservieren die Leute. So gut läuft das Geschäft.

Wut. Ist dies das Gefühl ihrer Generation? Nein, sagen die beiden. Aber da möchten sie nur für sich sprechen. Was sie sich wünschen, ist sogar mehr Antrieb, mehr Energie. "Es ist, als würden viele aus unserer Generation vor einer unsichtbaren Mauer stehen. Sie kommen nicht weiter." Die Realität heute in Griechenland sei diese: "Der Staat unterstützt dich nicht. Du kannst nichts erwarten. Aber das kann nicht die Ausrede sein, nichts mehr aus dem Leben zu machen", sagt Elena Driva. Sie hat kein Vertrauen mehr in die Politik. Sie glaubt auch nicht, dass wählen zu gehen noch etwas ändert. "Viele haben geglaubt, dass Syriza die letzte Hoffnung ist." Sie gehörte nicht dazu. Was die Politik angeht, war sie vorher schon desillusioniert.

Die Ärmsten zu beschützen heißt für Tsipras, ihnen weniger wehzutun

Ministerin Efi Achtsioglou spürt auch, dass das Vertrauen in die Politik weg ist. Es überrascht sie auch nicht. Wie soll jemand Vertrauen in das Rentensystem entwickeln, wenn die Bezüge ein Dutzend Mal gekürzt werden? Die nationale Grundrente - ein Ergebnis der 2016er-Reform - beläuft sich auf 384 Euro. Und wer garantiert schon, dass es dabei bleibt? Die Sozialversicherungsbeiträge sind jetzt schon erdrückend hoch. Doch Achtsioglou sagt auch: "Trotz aller Schwierigkeiten denke ich, dass diese Generation Vertrauen in den Staat haben kann. Das wäre umso mehr der Fall, wenn unsere Regierung täte, was sie versprochen hat."

Ganz vorne, ganz klar, stand das Versprechen, die Sparpolitik zu beenden. Wunden heilen. Umverteilen. Von einem fairen Wachstum war die Rede, Efi Achtsioglou nennt das immer noch ihr Ziel. Aber noch wächst nicht viel in Griechenland. Jeder Überschuss ist schmerzhaft erkauft, durch höhere Steuern, weniger Ausgaben. Die Ärmsten zu beschützen heißt für Tsipras, ihnen weniger wehzutun.

Efi Achtsioglou verbirgt ihre Enttäuschung nicht. Das Verhältnis zur EU habe sich verändert, gerade, was ihre Generation angeht, sagt sie. "Es geht nur noch um finanzpolitische Ziele, die erreicht werden müssen, egal um welchen Preis. Es muss Wachstum geben, egal wie groß das Leiden ist. Dieses Europa inspiriert nicht."

Im Sommer 2018 läuft das Rettungspaket aus. "Unser Hauptziel ist es, aus der Aufsicht herauszukommen. Danach kommt der Zeitpunkt, an dem die Leute diese Regierung fair beurteilen können. Nicht im Moment. Nicht in den nächsten Wochen. Am Ende unserer vier Jahre als Regierung. Dann können sie uns vergleichen", sagt die Ministerin. Zwei Jahre noch. Wird es das letzte Mal sein, dass sie eine solche Sparpolitik umsetzen müssen? "Ja", sagt Efi Achtsioglou. "Das hoffen wir." Sie korrigiert sich. "Das glauben wir."

© SZ vom 13.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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