Gleichberechtigung:Pflicht zur Frau

Lesezeit: 4 min

Familienministerin Barley will eine Quote für Vorstandsposten. Andere Länder in Europa sind bei der Frauenförderung progressiver, in den Vorstand greifen sie aber oft nur indirekt ein.

Von Silke Bigalke, Constanze von Bullion, Alexander Hagelüken, Leo Klimm und Ulrike Sauer

Es ist eine markige Ansage. "Ich gebe der Wirtschaft noch ein Jahr Zeit", droht Katarina Barley. Wenn die Unternehmen bis dahin nicht für mehr Frauen im obersten Management sorgen, will sie die SPD-Familienministerin per Gesetz zwingen. Die Pflicht für gut 100 große Firmen, zumindest ihre Aufsichtsräte zu 30 Prozent mit Frauen zu besetzen, dient ihr als Vorbild. Und obwohl keiner weiß, ob Barley oder die SPD in einem Jahr noch an der Macht sind: Die Diskussion um mehr Frauen in Top-Positionen ist neu eröffnet.

"Es gibt in Deutschland immer noch eine gläserne Decke für Frauen. Sie kommen oft nur in gewisse Positionen", konstatiert Lasse Pütz, der bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zum Thema forscht. Während der Frauenanteil in Aufsichtsräten von Firmen mit Pflichtquote auf 27 Prozent gestiegen ist, sieht es in Vorständen bundesweit anders aus: Da liegt der weibliche Anteil bei sechs Prozent.

Barleys Vorstoß für eine Quote auch für Vorstände provozierte aber sofort Entrüstung. Verfassungswidrig, ein massiver Eingriff in unternehmerische Freiheit, warnt der Bundesverband der Deutschen Industrie. Auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wehrt ab: "Statt die Privatwirtschaft mit pauschalen Regulierungen zu überziehen, sollte die Politik in Firmen mit öffentlicher Beteiligung die Zahl der Frauen in Führungspositionen beherzt erhöhen", so ein Sprecher.

Teilnehmerinnen einer Demonstration gegen Gewalt an Frauen in Madrid. (Foto: Javier Lopez/dpa)

Die Quote gilt unter Arbeitgebern als Ausdruck deutscher Regulierungswut. Deshalb ist interessant, wie andere Länder Europas für mehr Frauen in Führungspositionen sorgen wollen. Da zeigt sich: Deutschland liegt höchstens im Mittelfeld (siehe Grafik). Zwar gibt es viele Staaten, die sich weniger um das Thema kümmern. Skandinavische Länder, Frankreich und andere dagegen agieren progressiver als die Deutschen. Sie setzen teils schärfere Quoten für Kontrollgremien ein, die dann teils aufs Management wirken. Allerdings, und das ist für die deutsche Diskussion wichtig: In der Regel gibt es keine oder nur indirekte Vorgaben für Vorstände.

"Einige Damen an der Spitze genügen nicht."

Norwegen hat es als erstes Land in Europa mit der gesetzlichen Quote versucht. Seit 2006 gilt dort, dass 40 Prozent der Aufsichtsratsmitglieder in börsennotierten Unternehmen und einigen anderen Kapitalgesellschaften Frauen sein müssen. Das führte anfangs dazu, dass viele Firmen ihren Status änderten und bald deutlich weniger Unternehmen unter die Quote fielen. Bei den verbliebenen Firmen allerdings zeigte sich, dass sich klassische Argumente gegen das Zwangsinstrument als falsch erwiesen: Wissenschaftler wiesen nach, dass es anders als befürchtet genügend qualifizierte Kandidatinnen gab. Ebenfalls ehrgeiziger als Deutschland geht das kleine Island mit einer Quote von 40 Prozent für das Kontrollgremium vor, die sogar alle Firmen mit mehr als 50 Mitgliedern erfüllen müssen. Früher als Deutschland handelte das katholische Italien: Schon 2011 schrieb es eine Quote von einem Drittel Frauen für den Verwaltungsrat vor, der dem deutschen Aufsichtsrat ähnelt. Die quote rosa, die rosa Quote, hievte den weiblichen Anteil in fünf Jahren immerhin auf 32 Prozent. Dabei mussten die Frauen in Italien einen großen Rückstand aufholen: Bevor die Pflicht zur Frau richtig wirkte, waren bei der Hälfte der an der Mailänder Börse gelisteten Unternehmen Männer auf Sitzungen des Verwaltungsrats unter sich.

Allerdings zeigt sich in Italien wie auch in manch anderem Land: Die Quote für das Kontrollgremium wirkt sich auf das eigentliche Machtzentrum der Vorstandsposten nicht aus - oder nur mit Verzögerung. In einigen Ländern ist jedoch ein indirekter Effekt zu beobachten. Staaten wie Frankreich kennen meist keine strikte Trennung in Kontrollgremium (Aufsichtsrat) und Vorstand wie in Deutschland. Die Manager fürs Tagesgeschäft, also die Vorstände, sitzen zum Teil auch im Kontrollgremium Verwaltungsrat. Deshalb führt eine scharfe Quote für den Verwaltungsrat zuweilen dazu, auch den Frauenanteil bei Vorstandsposten zu stärken, die ja auch Teil des Verwaltungsrats sind. Und eine scharfe Regelung hat Frankreich: Das Gesetz schreibt etwa 1000 Unternehmen bis Ende dieses Jahres eine Quote von 40 Prozent vor. Damit sind deutlich mehr Firmen erfasst als in Deutschland.

Den höheren Anteil von Frauen im TopManagement erklärt das nur zum Teil. Wie in Schweden, das keine Quote für Aufsichtsräte hat, wird Frauen auch in Frankreich eine Karriere seit Langem leichter gemacht als in Deutschland. In beiden Ländern ist es selbstverständlicher, dass Frauen einen Beruf haben - und das zeigt sich in Kinderbetreuungsangeboten genauso wie in der Belastung mit Steuern.

Christina Boll, Forschungsdirektorin am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut, richtet den Blick auf das ganze Unternehmen. Nach einer Untersuchung des Peterson Institute komme es weniger auf den Frauenanteil in Spitzengremien wie Aufsichtsrat und Vorstand an, sondern stärker darauf, inwiefern sie im höheren Management repräsentiert sind. "Einige Damen an der Spitze genügen nicht", sagt Boll. "Es muss der weibliche Unterbau vorhanden sein."

Doch wie ist es mit der Pflichtquote für Vorstände? Deutsche Wirtschaftsverbände wehren sich heftig. Sie argumentieren etwa, eine Quote für Vorstände sei ein noch größerer Eingriff ins Tagesgeschäft als bei Aufsichtsräten - und damit womöglich ein Verstoß gegen die Verfassung.

Eine Annäherung zwischen Quotenfans und -gegnern könnte es vielleicht bringen, wenn es noch mehr Forschungsergebnisse gibt wie jenes der TU München und der Unternehmensberatung BCG, wonach Unternehmen mit höherem Frauenanteil innovativer sind. Entscheidend ist demnach nicht allein der Anteil von Frauen in der Belegschaft, sondern ihre Repräsentation in Führungspositionen. Erst ab einem Frauenanteil von 15 bis 20 Prozent im Management lasse sich ein deutlicher Innovationsschub feststellen, sagt BCG-Partnerin Rocío Lorenzo. "Ich würde eine Quote für Vorstände begrüßen" - als Initialzündung, um Unternehmen ein Ziel vorzugeben. "Allerdings wird sich nur dann ein positives Ergebnis einstellen, wenn die Unternehmen auch an den Erfolg von Vielfalt glauben", glaubt Lorenzo.

© SZ vom 19.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: