Gipfelstürmer:Nähen für die Freiheit

Lesezeit: 4 min

Made in Freedom heißt ein Unternehmen, mit dem zwei Deutsche ehemaligen Prostituierten in Südostasien helfen wollen. Sie vertreiben die Produkte, die die Frauen nach ihrem Ausstieg in Textilwerkstätten fertigen.

Von Caspar Dohmen, Berlin

Sein Freund David Jesze brachte Armin Ruser auf die Idee, die Firma Made in Freedom zu gründen. Von ihm erfuhr Ruser von dem Hilfsprojekt in der indischen Metropole Kalkutta, das ehemaligen Prostituierten hilft, aus dem Milieu auszusteigen und sich ein neues Leben aufzubauen. Die Frauen werden als Näherinnen beschäftigt und erhalten nebenbei medizinische und soziale Hilfe. Rund 200 Frauen arbeiten bei dem Projekt in Kalkutta und die Initiatoren könnten und würden gerne noch viel mehr Frauen beschäftigen. Doch dafür brauchen sie mehr Abnehmer für ihre Waren wie T-Shirts, Schals oder Taschen, nur so kann die Initiative expandieren. Ruser will die Idee deswegen in Deutschland bekannt machen.

Gemeinsam mit Jesze gründete er im Mai 2016 eine Großhandelsfirma, die Textilien aus dem Hilfsprojekt an Einzelhändler und andere Unternehmen verkauft. Mit Marketing kennt sich der 41-Jährige aus. Im süddeutschen Weil am Rhein betreibt er die Aha Factory, eine Beratungsagentur für Verkaufsstrategien. Neun Mitarbeiter gibt es. Man findet nicht viele Menschen in der Welt des Marketings, die sich gleichermaßen für den Verkauf interessieren wie für ethische Inhalte, Ruser gehört dazu. Dass er diese Firma gründete, hat auch etwas mit seinem Lebensweg zu tun.

In Kalkutta schneidern rund 200 Frauen für die Organisation Freeset - die Arbeit eröffnet ihnen eine neue Lebensperspektive. (Foto: Freeset)

Ruser war 23 Jahre alt, als er mit dem Motorrad schwer verunglückte. Seitdem ist er gelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen. Er studierte Theologie, schrieb seine Masterarbeit über den ethischen Umgang mit Geld, begann nach seinem Abschluss in einer Freien Evangelischen Gemeinde zu arbeiten, im Bereich Mitarbeiterförderung. Nebenberuflich arbeitete er als Berater und machte sich dann 2012 endgültig selbständig. Seine Agenturmitarbeiter erledigen momentan auch Aufgaben, die bei Made in Freedom anfallen. Bislang waren die Umsätze mit 30 000 Euro noch zu bescheiden, um Leute einzustellen, was aber bei einem Start-up aus dem Bereich Textilien nicht überraschend ist.

Ruser sieht viel Potenzial für die Vertriebsfirma, will aber nur "Schritt für Schritt vorgehen". Es entspräche seinem Naturell, sich "nicht in finanzielle Abhängigkeiten zu begeben", sagt er. Vorerst beschränkt er sich auf die Rolle des Vermittlers. Kunden sind vor allem Unternehmen, die T-Shirts für ihre Mitarbeiter oder für Werbeaktionen bestellen, sowie Läden, die nachhaltige Mode vertreiben. In Zukunft sollen Verbraucher auch direkt auf der Plattform von Made-in-Freedom-Basis-Kleidung wie T-Shirts bestellen können.

Weitere Artikel aus der SZ-Serie Gipfelstürmer finden Sie hier. (Foto: SZ-Grafik)

Sein Partner David Jesze kennt Südostasien seit Langem, er war auch mehrfach in Kalkutta, hat die Bordelle im Stadtviertel Sonagachi gesehen. Angefangen hat die Blüte des Rotlichtmilieus hier zur Zeit der Ostindien-Kompanie im 17. Jahrhundert. Auf Geheiß der Kompanie wurden Bordelle für die britischen Soldaten eingerichtet. Die Besatzer zwangen Witwen zur Prostitution. Heute stammen die meisten Prostituierten aus armen ländlichen Gegenden Indiens oder aus Nachbarländern wie Bangladesch oder Nepal, manche sind erst zehn oder elf Jahre alt, noch Kinder. Einige treibt eigene Not her, andere werden von ihren Familien an Zuhälter verkauft. Rund 11 000 Prostituierte gibt es heute schätzungsweise in Sonagachi.

Diverse Hilfsorganisationen unterstützen die Frauen beim Ausstieg, aber das ist auf Dauer nur erfolgreich, wenn die Frauen auch eine tragfähige wirtschaftliche Perspektive haben. Ohne ein Einkommen, das zum Leben reicht, landeten sie zu 80 Prozent wieder in der Prostitution, sagt Ruser. Umso wichtiger sei das Hilfsprojekt seiner örtlichen Partner für Aussteigerinnen aus dem Milieu: Freeset. Die Initiative entstand durch einen Zufall: Annie und Kerry Hilton, zwei Neuseeländer, kamen mit ihren vier kleinen Kindern Ende der 1990er Jahre in die Stadt, um Armen zu helfen. Sie fanden eine Wohnung, dass diese im Rotlichtviertel lag, fanden sie erst danach heraus. Doch so lernten sie die Not der Frauen aus der Nähe kennen, und das brachte sie auf die Idee für ihr Projekt. Ein Arzt half ihnen, das Vertrauen der Frauen zu gewinnen. Los ging es Anfang 2001 mit 20 Beschäftigten.

Obwohl die Produktivität geringer ist als in anderen Betrieben, werden die Frauen besser bezahlt

Es ist keine leichte Aufgabe, denn die Frauen sind oft traumatisiert, häufig krank. Gefragt sind psychologische und medizinische Hilfe genauso wie praktischer Unterricht im Nähen. Mittlerweile gibt es auch Alphabetisierungskurse, Kinderbetreuung und ein Schuldenmanagement. Es dauerte, bis die T-Shirts und Taschen die notwendige Qualität hatten, die Verbraucher in den Industriestaaten verlangen.

Armin Ruser vertreibt die Textilprodukte in Deutschland. (Foto: N/A)

Obwohl die Produktivität des Betriebs geringer ist als in konventionellen Betrieben, werden die Näherinnen besser bezahlt. Sie erhielten einen Lohn, der über dem gesetzlichen Mindestlohn liege sowie eine Altersabsicherung und freie Gesundheitsversorgung, sagt Kerry Hilton. Heute arbeiten 200 Frauen in den Werkstätten, aber Hilton würde gerne 2000 Frauen beschäftigen. Dafür fehlen noch Abnehmer.

Freeset ist ein Vorzeigeprojekt der Freedom-Business-Alliance, die Frauen unterstützt, sich aus allen Formen der Zwangsarbeit zu befreien. Meist ist das die Prostitution. Bekannt ist die Initiative vor allem im angelsächsischem Raum, inzwischen werden die Waren in 30 Ländern verkauft. Ruser - der mit Hilton bislang nur über Skype und E-Mail kommuniziert - möchte ihm helfen, die Idee auch in Deutschland bekannt zu machen. Er will Made in Freedom ganz generell zu einer Vertriebsplattform für Hersteller entwickeln, die soziale Projekte rund um das Thema Zwangsprostitution unterstützen. Schon jetzt vertreibt er auch Waren von Purnaa, einer Firma in Nepal, einem der ärmsten Länder Asiens. Hier werden Minderjährige immer wieder von ihren eigenen Verwandten an Menschenhändler verkauft, die ihnen gute Jobs im Nachbarland Indien in Aussicht stellen. Regelmäßig landen die Mädchen aber dann in der indischen Zwangsprostitution. Purnaa bietet den jungen Frauen einen Job, der sie davor schützen soll, ins Ausland verkauft zu werden.

Mittlerweile führt Ruser die Firma allein, sein Partner Jesze wollte mehr Zeit für andere Projekte haben und ist nur noch Berater. Anfang nächsten Jahres hofft Ruser die ersten Mitarbeiter bei Made in Freedom einstellen zu können. Rückblickend sieht er seinen beruflichen Wechsel vom Mitarbeiter einer Kirchengemeinde zum Sozial-Unternehmer als logische Entwicklung: Er sei eben ein Mensch, "der lieber selbst Geld spendet, als von Spenden anderer zu leben".

Zum zweiten Mal schreibt der SZ-Wirtschaftsgipfel in diesem Jahr den Gründerwettbewerb Gipfelstürmer aus. Der Gewinner wird am 18. November in Berlin gekürt. Bewerbungen und weitere Infos unter: www.sz-wirtschaftsgipfel.de/gipfelstuermer.

© SZ vom 05.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: