Geheimdienste:Der lange Arm des BND in die Wirtschaft

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Ostreisender Berthold Beitz, Generalbevollmächtigter der Firma Krupp. (Foto: Ingrid von Kruse)

Geheimes Privatarchiv zeigt: Der 2013 verstorbene Berthold Beitz, mächtigster Wirtschaftsführer der jungen Bundesrepublik, war lange Zeit in engstem Austausch mit dem berüchtigten Agenten Reinhard Gehlen.

Von Willi Winkler und Uwe Ritzer

Politik kann viele Formen annehmen, und sie muss keineswegs allein von Politikern betrieben werden, manchmal verständigt man sich auch im kleinen Kreis über die großen Linien. "Herr BEITZ [VON] der Firma KRUPP hat dem BND in der Vergangenheit mehrfach hervorragende Dienste geleistet", heißt es in einem als "geheim!" gestempelten Vermerk für den Staatssekretär des Kanzleramts.

Der BND ist keine Firma, sondern der Bundesnachrichtendienst, Herr Beitz auch kein x-beliebiger Handlungsreisender, der mit diesem Empfehlungsschreiben in eine andere Firma weggelobt werden müsste, sondern es geht um keinen Geringeren als Berthold Beitz, Generalbevollmächtigter jener weltbekannten Firma Krupp und seinerzeit ein überaus einflussreicher Wirtschaftsführer. 1959, als der Vermerk für Staatssekretär Hans Globke entsteht, ist Krupp allein schon aus wirtschaftlichem Interesse an einer eigenständigen Politik interessiert. Beitz betreibt sie, und der deutsche Auslandsgeheimdienst hilft, wo er nur kann.

Im Jahr zuvor hat Bundeskanzler Konrad Adenauer heftige "Zweifel an der nationalen Zuverlässigkeit" des Krupp-Managers geäußert, als der es wagte, ohne Rücksprache mit der Bonner Regierung nach Moskau und Warschau zu reisen. Diesmal geht es um ein anderes Land im Ostblock, um den zweiten deutschen Staat, der sich ebenfalls hinter dem Eisernen Vorhang befindet und deshalb nur in Anführungszeichen wahrgenommen werden darf, die "DDR". In Europa herrscht in diesen Jahren der Kalte Krieg. Wer mit den feindlichen Staaten auf der anderen Seite diplomatische Beziehungen aufnimmt, dem kündigt Bonn die Völkerfreundschaft, wer wie Beitz als Deutscher mit den Kommunisten drüben verhandelt, verstößt gegen den nationalen Konsens Westdeutschlands.

"...legt naturgemäss größten Wert darauf, daß seine Verbindung zum BND nicht bekannt wird."

Der Essener Unternehmer kann jedoch auf einen ebenso mächtigen wie unwahrscheinlichen Verbündeten zählen, auf den BND-Präsidenten Reinhard Gehlen, der den für Globke bestimmten Vermerk unterschrieben hat. Das Kanzleramt möchte Beitz die anstehende Reise untersagen, der BND dagegen befürwortet sie. "Der BND wäre dringend daran interessiert", notiert Gehlen für den Staatssekretär, "daß ein von Herrn BEITZ beabsichtigter Besuch der Leipziger Messe zur Klärung verschiedener Fragen stattfindet."

SZ-Werkstatt
:Auf sensiblem Terrain

Wirtschaftskorrespondent Uwe Ritzer gelangte an den Nachlass des ehemaligen BND-Chefs Reinhard Gehlen. Hier erzählt er, wie er und Willi Winkler das Material auswerteten.

Als er am 19. November 1974 vor dem geheimen Untersuchungsausschuss des Bundestages auch zu seiner Verbindung mit Beitz befragt wird, bestätigt der inzwischen pensionierte BND-Präsident Gehlen, dass die Kontakte zwischen ihnen sehr "intensiv" gewesen seien. Wie intensiv sie waren, zeigen die Akten aus Gehlens Nachlass, die der Süddeutschen Zeitung zugespielt worden sind (SZ vom 2./3. Dezember 2017). Geheimpolitik wurde keineswegs nur im 18. Jahrhundert betrieben, sondern auch noch in der Bundesrepublik.

Der mächtige Konzernchef Beitz, der 2013 kurz vor seinem 100. Geburtstag starb, ist eine der zahlreichen, streng geheimen "Sonderverbindungen", die Gehlen und sein Dienst mit Politikern, Journalisten und allen möglichen einfluss- oder wenigstens kenntnisreichen Personen pflegten. Im BND-Hauptquartier in Pullach wurde der jagdbegeisterte Beitz unter dem Decknamen "Falk" geführt, die Kontakte mit ihm sind auf vielen hundert Seiten dokumentiert. Zum größten Teil handelt es sich dabei um politische Einschätzungen, die Beitz von einem Journalisten für sich erstellen ließ und die sogleich nach Pullach weitergereicht wurden. Dazwischen finden sich zahlreiche Vermerke, Treffberichte, Einschätzungen, Briefe. Man kennt sich, man versteht sich bestens.

Der Krupp-Chef Beitz kommt wiederholt zu Gehlen nach Pullach, der Chef-Spion besucht Beitz in der Kur in Bad Wiessee. In einem eher förmlichen Brief zum 50. Geburtstag lobt Gehlen die Zweckgemeinschaft. "Ich erfreue mich immer gern an unserem Gedankenaustausch über die Wirtschaftslage", schreibt er, wobei sich eine "weitgehende Gleichgestimmtheit" habe feststellen lassen. Das ist umso seltsamer, als von Gleichgestimmtheit gar nicht die Rede sein kann. Der ehemalige Generalmajor Gehlen, der seinem Oberkommandierenden Adolf Hitler bis zum April 1945 als oberster Agent der Wehrmachtsabteilung "Fremde Heere Ost" diente, konnte seine Abneigung gegen die Russen und besonders gegen den Kommunismus nie überwinden. Beitz war ebenfalls Soldat im Zweiten Weltkrieg, aber er konnte in Polen zahlreiche Juden vor der Ermordung bewahren, indem er sie für die kriegswichtige Produktion beanspruchte.

Doch der Zivilist Beitz betrieb - nicht anders als sein Kompagnon Gehlen - leidenschaftlich gern eine eigene Außenpolitik, und er scherte sich wenig um das, was von Bonn vorgeschrieben wurde. Osteuropa ist zu Beginn der Sechzigerjahre ein wichtiger Zukunftsmarkt, den es rechtzeitig zu erobern gilt. Der Ruf der Firma Krupp hat den Krieg überdauert, aber wichtiger noch ist der Markenbotschafter Beitz. Vor allem in Polen gilt er als der gute Deutsche - als der, der nicht als Eroberer kam.

Nach einem zweistündigem Gespräch mit Kanzleramtschef Ludger Westrick, dem Vertrauten von Bundeskanzler Ludwig Erhard, schickt Beitz 1964 eine "knappe Notiz", in der er dem unerschütterlichen Antikommunisten Gehlen meldet, wie sehr ihn Westricks "völlige Unversöhnlichkeit mit dem Osten, nachdrücklichste Warnungen vor der Gefährlichkeit des Kommunismus" irritieren.

Umfangreicher Reisebericht "zur Auswertung"

Gehlen muss verständnisinnig genickt haben, aber die Sonderverbindung nach Essen und damit in die Ostblockstaaten war wichtiger. Es wird daher ein eifriges Geben und Nehmen zwischen dem BND und "Falk". Nach einer Reise durch mehrere Ostblockländer liefert Beitz im Sommer 1963 einen umfangreichen Reisebericht "zur Auswertung" ab.

So vertraut ist der Umgang mit dem Auslandsgeheimdienst, dass bei einer mehrstündigen Plauderei im Sommer 1962 in Beitz' Haus in Essen auch die beruflichen Perspektiven eines gewissen "Winkler" besprochen werden können. "Falk" oder vielmehr Beitz habe sich "wie immer ausserordentlich aufgeschlossen" gezeigt, notieren die BND-Leute, er habe über seine jüngsten Projekte im Ostblock gesprochen, neue Unternehmungen in Afrika angekündigt und sich auch die Probleme seiner Besucher aus Pullach angehört. Jetzt zeigt Beitz "grosses Interesse" an einer Verwendung "Winklers" und will ihn bei Krupp als Nachfolger des "Professor H" (gemeint ist Carl Hundhausen, der legendäre Kommunikationsdirektor von Beitz) installieren.

"Winkler" ist nicht irgendwer, sondern der Deckname des BND-Residenten Adolf Wicht, der, als Verleger eines Informationsbriefes getarnt, in Hamburg den Kontakt zu den dortigen Redaktionen hält. Als BND-Mitarbeiter und Bundeswehroffizier darf Wicht nicht in Staaten des Warschauer Paktes reisen. Kein kleines Handicap für Beitz' ausgreifende Ostpolitik, aber auch das sollte sich bewältigen lassen. "Falk" weiß über diese doppelte Identität des Agenten nicht nur Bescheid, er zeigt sogar Freude am geheimdienstlichen Indianerspiel. Deshalb schlägt er vor, den bewussten Herrn einmal nach Essen in die Zentrale zu schicken. "Der Personalchef erfährt nichts von der jetzigen Tätigkeit des W."

Überführung des Krupp-Konzerns in eine Stiftung war von langer Hand vorbereitet worden

Krupp soll also im günstigen Fall einen BND-Mann einstellen, und der Firmenchef Beitz höchstpersönlich wäre bereit gewesen, beim Einschleusen zu helfen. Dazu kam es dann aber nicht, Wicht blieb in Hamburg, wurde vom Spiegel-Redakteur Conrad Ahlers wegen dessen Geschichte "Bedingt abwehrbereit" konsultiert und musste in der Folge sogar mehrere Tage ins Gefängnis, weil es angeblich Wicht war, der den Spiegel vor der bevorstehenden Durchsuchung gewarnt hatte.

Im Jahr 1967 wurde der Krupp-Konzern in eine Stiftung überführt. Diese Regelung war von langer Hand vorbereitet: Bereits bei dem vertraulichen Gespräch mit den BND-Abgesandten 1962 ging es Beitz darum, Arndt von Bohlen und Halbach "aus der Firmennachfolge auszuschliessen" und mit gutem Geld "erst einmal ins Ausland abzuschieben". Der einzige Sohn Alfried Krupps wurde 1967 mit einer jährlichen Apanage von zwei Millionen Mark abgefunden.

Der BND wird auch in einer dubiosen Sache bemüht. Beitz fordert die Bekannten in Pullach am 1. September 1964 zu einer "erneuten Überprüfung" auf. Es geht um Graf Ahlefeldt, der die Firma Krupp in London vertritt. Beitz will den Mitarbeiter, mit dem er beizeiten nach Ostasien gereist und in Deutschland auf die Jagd gegangen ist, offensichtlich loswerden und ihn "im Laufe der Zeit ganz ausschalten".

"Auffallend ist eine Reihe von Adressen unbekannter Personen, die, wie z. B. in Hamburg in keiner ausgesprochen guten Wohngegend wohnen"

Der BND observiert den Grafen. Praktischerweise verliert er sein Notizbuch, das eilends abfotografiert wird. Dünkelhafter Kommentar eines Insiders: "Auffallend ist eine Reihe von Adressen unbekannter Personen, die, wie z. B. in Hamburg in keiner ausgesprochen guten Wohngegend wohnen."

Doch dass man "Falk" hätte ganz und gar gewähren lassen, wäre dem BND gegen die Agentenehre gegangen. Selbstverständlich wurde Beitz seinerseits vom BND bespitzelt. In einer "Vortragsnotiz" vom 10. Juli 1961 heißt es, Beitz werde in Warschau als "Werkzeug" betrachtet, der polnischen Seite gehe es, wenig überraschend, um "langfristige Wirtschafts- und Handelsabsprachen". Gelegentlich wird Beitz sogar abgehört; in den Gehlen-Akten finden sich mehrere Telefonprotokolle. Offensichtlich sorgte man sich weniger um Krupp als um die bewährte Sonderverbindung. Als Krupp in eine Kapitalgesellschaft umgewandelt werden soll, wird ein BND-Kurier mit einem konkreten Auftrag zu Beitz geschickt: "Falk sollte gefragt werden, ob die Zusammenarbeit mit der Firma auch nach dieser Umwandlung in gleicher Form wie bisher weitergeführt werden kann."

Auf Nachfrage beim Krupp-Archiv ist von dieser ausgreifenden Nebentätigkeit von Beitz bisher nichts bekannt. Aber warum sollte er auch irgendwo festgehalten haben, dass er mit den Geheimen vom BND operierte? Bereits 1959 hatte Gehlen seinem Aufseher Globke eingeschärft: "Herr BEITZ legt naturgemäss großen Wert darauf, daß seine Verbindung zum BND nicht bekannt wird."

Misstrauisch wird beim BND Anfang 1967 das Gerücht registriert, Beitz sei mit Beginn der Großen Koalition und der Regierungsbeteiligung der SPD in diese ehemals vaterlandsverräterische Partei eingetreten. Richtig ist, dass Beitz sich seit jeher mit Politikern aller Parteien gut zu stellen wusste. Richtig ist aber auch, dass ihn der SPD-Bundeskanzler Willy Brandt einlädt, als er zu seinem Aufsehen erregenden Staatsbesuch nach Warschau aufbricht. Zwölf Jahre, nachdem Berthold Beitz auf eigene und auf Krupp-Rechnung mit der Ostpolitik begonnen hatte, kniete Willy Brandt am 7. Dezember 1970 vor dem Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos.

Der Geschäftsfreund Gehlen saß derweil in seiner Villa am Starnberger See, umgeben von den aus der Pullacher Zentrale geretteten Akten, und brütete über seinen Memoiren, in denen er die Ostpolitik Brandts verurteilte und unverdrossen davon schwadronierte, dass das deutsche Volk während des Krieges "schweren Schaden erlitten und große Opfer gebracht" habe. Berthold Beitz erhielt 1973 den Ehrentitel "Gerechter unter den Völkern" der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem.

© SZ vom 07.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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