Gastronom Vincenzo Conticello:Der Anti-Mafia-Wirt

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Der Gastronom Vincenzo Conticello wehrte sich in Palermo gegen die Drohungen der Cosa Nostra und geriet deshalb in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Doch er hat sich wieder hochgekämpft - nun expandiert er.

Ulrike Sauer

Der rastlose Sizilianer eckte schnell an. Als Vincenzo Conticello zusammen mit seinem Bruder Fabio 2001 begann, sich um das Lokal seiner Familie zu kümmern, änderte sich einiges in der Focacceria San Francesco. Die beiden entstammen in fünfter Generation einer Dynastie von Imbiss-Betreibern im Herzen Palermos. Sie modernisieren das 1834 eröffnete Lokal und gehen an die Öffentlichkeit. Es spricht sich herum, dass ihre Mitarbeiter regulär angestellt und anständig bezahlt werden.

Vincenzo Conticello trotzt der Mafia - und kann sein Geschäft trotzdem ausbauen. (Foto: AFP)

Das ist auf Sizilien zu viel der Legalität. "Wir waren zum Störfaktor geworden", sagt Vincenzo Conticello. Die Cosa Nostra kennt kein Pardon. Die Einschüchterungskampagne nimmt ihren Lauf: Autos werden angezündet, die Scheiben der Jugendstiltüren eingeschmissen, Kunden belästigt. Das Übliche.

Conticello will da noch hoch hinaus. 2005 ist er in Peking. "Ich habe meine Speisen getestet", erzählt er. Er nimmt vor Ort Kontakt zu Unternehmern auf. Die sizilianischen Spezialitäten der Focacceria kommen gut an. Die Brötchen mit gebratener Kalbsmilz und frischem Ricottakäse. Die frittierten Reisbällchen. Die panierten Schwertfischrouladen mit Pinienkernen. Geplant ist die Eröffnung von 30 Niederlassungen in China. Dann erhält er im November 2005 "die Benachrichtigung der Mafia". Er sagt es hastig, so als wolle er das Ereignis, das sein Leben zerschnitt, schnell abhaken.

Ein Unbekannter taucht abends im Lokal auf. Es fällt der Satz, vor dem sich ein ganzes Volk von Unternehmern, Händlern, Handwerkern und Gastronomen fürchtet. Längst nicht mehr nur in Süditalien. Er lautet: "Freunde sahen, dass bei Ihnen etwas zu regeln ist. Deshalb bin ich hier, um Ihre Angelegenheit in Ordnung zu bringen." Auf die berüchtigte Formel folgen Drohungen. Conticello entgegnet, er fühle sich in Ordnung, so wie er sei. Als der Mafioso gegangen war, verständigte Conticello die Carabinieri.

Nichts ist nach diesem Tag wieder so, wie es war. Die China-Pläne werden gestoppt, eine geplante Eröffnung in Mailand drei Monate später auch. Der unter Polizeischutz lebende 51-Jährige ist heute kein freier Mann mehr. Er hat das Recht auf Geselligkeit eingebüßt, auf einen Strandtag, auf seine Unternehmensfreiheit. Den Händler Libero Grassi kostete die Weigerung, das Schutzgeld - il pizzo - zu entrichten, 1991 das Leben.

Seither hatte es niemand gewagt, sich dem Würgegriff der Clans zu entziehen. Mit der Zahlung des Pizzo beginnt in der Regel die Unterwerfung redlicher Geschäftsleute unter das organisierte Verbrechen und seine marktfeindlichen Gesetze. Oft geht der Betrieb am Ende in den Besitz der Clans über. Ihnen gehören in Italien 5000 Speiselokale mit mehr als einer Milliarde Euro Umsatz - die Mafia betreibt die größte Restaurantkette des Landes.

In der Antica Focacceria San Francesco werden Kameras und Wanzen versteckt, Telefone abgehört. Die Cosa Nostra hat das Lokal bereits infiltriert. Sie drängt langjährige Lieferanten der Focacceria heraus. Deren Aufträge übernehmen Mafiafirmen. Nach mehr als vier Monaten sind die Erpresser Conticellos überführt. Er identifiziert sie im Gerichtssaal, sagt gegen sie aus. Inzwischen sind die Mafiosi in zweiter Instanz zu zehn bis 14 Jahren Haft verurteilt.

Conticello wurde zum Symbol der Addio-Pizzo-Bewegung auf Sizilien, die für die Befreiung der Wirtschaft von dem Schutzgeldterror kämpft. Sie war gegründet worden, als Studenten Palermo in einer Juninacht des Jahres 2004 mit schwarzumränderten Zetteln tapezierten. "Ein Volk, das Schutzgeld zahlt, ist ein Volk ohne Würde", las eine konsternierte Stadt an jeder Ecke.

Conticellos Rebellion stürzte das Familienunternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Der Focacceria brachen 30 Prozent des Umsatzes weg. Ein Viertel der 36 Beschäftigten wurde entlassen. Stammkunden blieben weg. Conticello erzählt, dass Palermos Unternehmer, die ihr Auskommen mit der Mafia suchen, ihm den Rücken kehrten und zu Konkurrenten gingen, die den Bossen genehm sind. Der Rückgang der Geschäftsessen und der Catering-Aufträge bei Firmenveranstaltungen machte sich bemerkbar. "Es fehlen uns die dicken Rechnungen", sagt er. Auch die Politiker zogen sich zurück. Der Wahlkampf-Umsatz fiel bei den Parlamentswahlen 2008 auf 18000 Euro. Zuvor nahm Conticello das 20-Fache ein.

Fünf Jahre später hat er sich wieder hochgekämpft. Am vergangenen Samstag steht der Wirt in blauem Nadelstreifen auf dem römischen Flughafen Fiumicino und schenkt "Charme" aus, einen Prosecco der sizilianischen Kellerei Firriato. Gerade hat er an Gate D, wo jährlich vier Millionen Passagiere aus der Schengen-Zone an- und abfliegen, eine Filiale der Focacceria eröffnet.

"Since 1834 - the Italian Street Food" steht unter den Sizilien-Schnappschüssen, die den Pavillon schmücken. Er treibt nun sein bereits abgeschriebenes Expansionsvorhaben voran. Prominente Gäste belohnen ihn dafür, dass er im Kampf gegen die Mafia nicht aufgegeben hat. Es werden Reden gehalten und köstliche Pistazien-Kroketten gereicht. Der kleine Mann steht wie immer unter Strom.

Schon Ende 2009, zum 175-jährigen Bestehen, hatte sich die Focacceria mitten in Mailand niedergelassen. Danach gewann Conticello einen starken Verbündeten im Verlag Feltrinelli, der auch Italiens größte Buchhandelskette betreibt. In Rom serviert der Sizilianer in zwei Feltrinelli-Medienkaufhäusern bereits seine Köstlichkeiten. Bis zu 30 Imbissbars der Kette sollen folgen. Den Umsatz in Palermo in Höhe von 2,5 Millionen Euro hofft Conticello mit fünf Filialen auf acht Millionen Euro anzuheben. Einfacher wird seine Lage nicht. Auch in Mailand ließ man den Wirt nicht in Ruhe. In der italienischen Finanzmetropole schickte die 'Ndrangheta aus Kalabrien ihre Schutzgeldeintreiber vorbei.

Am Gate D in Fiumicino stärkt Walter Veltroni, der frühere Bürgermeister Roms, Conticello den Rücken. "Man isst bei ihm nicht nur hervorragend. Man leistet auch seinen Beitrag dazu, dass anständige Unternehmer nicht unterliegen", wirbt Veltroni, der dem parlamentarischen Anti-Mafia-Ausschuss angehört. Ein Zeichen können bald womöglich auch die Deutschen setzen. Conticello zieht es noch immer ins Ausland. Er hat nun seine Fühler in München und Berlin ausgestreckt. Ob der Mafiagegner die Deutschen dazu bringt, nicht mehr die Augen davor zu verschließen, was vor ihrer Haustür passiert?

© SZ vom 22.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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