Gasstreit mit Russland:Ein Hauch von Eiszeit

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Die EU-Kommission will, dass künftig mehr Gastanker im Mittelmeer anlegen - und sie sollen nicht, wie dieser, für Gazprom fahren. (Foto: AFP/Gazprom)
  • Nach dem überraschenden Aus für die South-Stream-Pipeline geht die Europäische Union auf Distanz zu Russland.
  • Die neue EU-Kommission will die Energiepolitik neu ausrichten, um die Abhängigkeit von Russland zu verringern.
  • Doch gerade osteuropäische Länder wie Bulgarien fürchten einen Bruch mit Moskau. Sie sind stark von den russischen Gaslieferungen abhängig.

Von Markus Balser und Stefan Braun, Berlin

Die Hoffnung auf eine Annäherung im Gasstreit war groß. Als der scheidende EU-Energiekommissar Günther Oettinger Anfang November in Brüssel den herbeigesehnten Kompromiss zwischen der Ukraine und Russland verkündete, machten warme Worte die Runde. "Die Versorgungssicherheit ist gewahrt", lobte Oettinger. Für die Menschen in der Ukraine und in ganz Europa sei das Winterpaket ein gutes Signal: "Niemand muss frieren."

Einen guten Monat später ist bei Brüsseler Spitzenpolitikern kaum noch Restwärme zu spüren, wenn Gespräche auf Russland kommen. In den vergangenen Tagen hat neues Frösteln eingesetzt. Angesichts des urplötzlichen Aus für die Milliardenpipeline South Stream wachsen die Sorgen vor einer Rückkehr der Krise. Man müsse sich ernsthaft fragen, ob Russland künftig für die Gas- und Ölversorgung noch eine so große Rolle spielen dürfe, sagt ein hochrangiger Brüsseler Diplomat.

EU will sich unabhängiger machen

Die Antwort der EU-Kommission fällt nun deutlich aus. Maroš Šefčovič, als neuer Kommissar für die Energieunion und als Vizepräsident der Kommission für die großen politischen Linien Brüssels verantwortlich, kündigt eine Neubewertung der Energiepolitik in ganz Europa an. "Wir müssen uns unabhängiger machen", sagt Šefčovič der Süddeutschen Zeitung. Russland werde zwar ein wichtiger Gaslieferant Europas bleiben. Aber die Gewichte könnten sich verschieben. "Unser Ziel muss es sein, Europa endgültig die Angst vor dem nächsten Winter zu nehmen."

Damit wird deutlich: Die neue Kommission geht auf Distanz zu Moskau. Irritationen hatte in Brüssel nicht das Pipeline-Aus selbst ausgelöst, sondern die Art der Ankündigung. "Alles, was wir über diese Entscheidung wissen, haben wir aus den Pressestatements von Präsident Wladimir Putin und Gazprom-Chef Alexej Miller erfahren", sagt Šefčovič. Weder die beteiligten Länder noch Firmen oder die EU seien informiert gewesen. Erst ein Gespräch mit Energieminister Nowak habe Klarheit gebracht: "Russland will das Projekt nicht mehr verfolgen."

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Deutschland gibt sich sanftmütig

Hinter den Kulissen treibt die Europäische Kommission nun die Suche nach Gas-Alternativen voran. Bereits im Januar soll eine hochrangige Arbeitsgruppe aus Ministern und Gaskonzernen ihre Arbeit aufnehmen. "Wir wollen einen Masterplan für Europas Energieversorgung entwickeln", kündigt Kommissar Šefčovič an. Die EU wolle "die Gasinfrastruktur mit neuen Flüssiggasterminals und einem weiteren Gas-Zentrum am Mittelmeer ausbauen." So könnten etwa Tunesien und Algerien wegen großer Schiefergasvorkommen künftig eine neue Rolle bei Europas Gasversorgung spielen. Brüssel plant zudem, die Kapazität der geplanten Pipeline für Gas aus Aserbaidschan auszubauen. Die TAP-Pipeline wird von 2019 an Gas aus der kaspischen Region nach Europa bringen - vorbei an Russland.

Angesichts der neuen harten Linie aus Brüssel wirkt die Energiediplomatie Berlins sanftmütig, etwa beim Treffen von Kanzlerin Angela Merkel und Bulgariens neuem Regierungschef Bojko Borissow zu Beginn der Woche. Merkel berichtete nach dem Treffen, beide hätten nicht nur ausführlich über Energie- und Pipeline-Fragen gesprochen. Sie habe ihrem Gast gesagt, dass Deutschland wirtschaftlich gute Erfahrungen mit Russland gemacht habe. Russland sei im Bereich der Wirtschaft ein verlässlicher Partner. Nun gehe es darum, die guten wirtschaftlichen Beziehungen unter Beweis zu stellen.

Zuletzt war die Kanzlerin harsch gegenüber Russland aufgetreten. Doch Merkel spürt: In Osteuropa wachsen die Sorgen um einen drohenden Bruch mit Moskau. Für Länder wie Bulgarien, die noch stärker als Deutschland von Russlands Gaslieferungen abhängen, steht viel auf dem Spiel. Bulgarien dringt auf neue Gespräche zwischen Brüssel und Moskau - und hat selbst South Stream noch nicht abgeschrieben. Hoffnungen setzt Borissow auf ein Treffen mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, angesetzt für diesen Mittwoch. Als Ouvertüre ließ er Juncker schon mal wissen, dass Sofia mittlerweile seit vier Monaten auf Energie-Botschaften aus Brüssel warte.

Gute Kunden werden schlecht behandelt

Doch eine rasche Annäherung ist nicht absehbar. Auch die Linie osteuropäischer Länder hat für Moskau einen Haken. Man wolle "auf Grundlage der bestehenden europäischen Normen" verhandeln, betonte Borissow. Das Problem: Genau die, darunter auch Transparenzpflichten, stoßen in Moskau und in der Gazprom-Zentrale auf wenig Gegenliebe. Ein Projekt dieser Größe kann nur im Einklang mit europäischem Recht gebaut werden, verlautet dagegen weiter aus der Kommission.

Auf den globalen Rohstoffmärkten bahnt sich unterdessen ein neuer Konflikt an. Denn die EU-Mitglieder sollen nach dem Willen der Kommission künftig beim Kauf von Rohstoffen ihren Einfluss weltweit bündeln. "Wir zahlen zusammen jedes Jahr 400 Milliarden Euro für Energieimporte - verlässlich und pünktlich. Wir sollten ein respektierter Kunde sein. Aber Europa erfährt nicht die Behandlung, die es verdient", klagt Šefčovič. Die Kommission wolle Möglichkeiten für mehr Zusammenarbeit ausloten und dazu Anfang des Jahres in einem Konzept für die Energie-Union konkrete Vorschläge machen.

Allerdings ist das Konzept einer "Einkaufsunion" auch innerhalb der EU-Mitglieder umstritten. Gasversorger fürchten die Verstaatlichung ihres Geschäfts. Der Druck aus Brüssel richtet sich derweil nicht mehr nur Richtung Moskau. Auch Kiew wird mit Forderungen nach Reformen konfrontiert. Die Ukraine soll nach Plänen aus Brüssel vor allem im Gastransport und im Gashandel mehr Transparenz zeigen. Offenbar werden Zweifel an den Gas-Statistiken des Landes laut. Die Kommission fordert den Bau von Messstationen, um Zu- und Abflüsse aus dem Land nachvollziehen zu können. Für die neue Brüsseler Kommission ist ohnehin längst klar: Die Gaskrise ist noch lange nicht zu Ende. "Ich gehe davon aus, dass wir die Situation bis März unter Kontrolle haben", sagt Kommissar Šefčovič. " Aber wir werden im Januar neue Gespräche über die Zeit danach aufnehmen müssen."

© SZ vom 17.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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