EZB:Draghi ist nicht an allem schuld

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EZB-Präsident Mario Draghi (Foto: REUTERS)

Wegen der Niedrigzinsen dreschen die Versicherer auf die Europäische Zentralbank und ihren Präsidenten ein. Das ist unglaubwürdig.

Kommentar von Herbert Fromme

Die Versicherungswirtschaft ist sich einig: Die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und ihres Präsidenten Mario Draghi ist der Hauptgrund für die Probleme der Lebensversicherer. Talanx-Finanzchef Immo Querner beklagt den "Morbus Draghi". Die EZB missbrauche ihr Mandat, sagt Alexander Erdland, Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft. Munich Re-Chef Nikolaus von Bomhard zeigt sich "fassungslos und entsetzt".

An der Weisheit der EZB-Politik kann man berechtigte Zweifel haben. Aber die Versicherer dreschen mit einer solchen Vehemenz auf die Zentralbank und ihren Präsidenten ein, dass rasch klar wird: Sie suchen vor allem einen Schuldigen für das Scheitern eines Geschäftsmodells. Die Lebensversicherung beruhte lange Jahre auf der Zinsarbitrage. Die Anbieter zahlten ihren Kunden weniger aus, als sie durch das Anlegen der Kundengelder einnahmen. Als Rechtfertigung für die Differenz gaben sie ihren Kunden eine Zinsgarantie für die gesamte Laufzeit der Verträge, also im Extremfall 40 oder 50 Jahre, wenn die Kunden eine private Rentenversicherung abgeschlossen hatten.

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Von Herbert Fromme

Selbst niedrige Garantiezinsen quälen die Versicherer

Das Risiko schien überschaubar, denn der weit überwiegende Teil der Verträge lief entweder nach zwölf Jahren aus oder wurde schon vorher gekündigt, die Summe ausgezahlt, fertig. Im Kern waren das steuerlich geförderte Sparverträge. Das änderte sich erst in den Neunzigerjahren, als die Versicherer dazu übergingen, die Lebensversicherung ernsthaft als private Altersversorgung zu positionieren. Ebenfalls in den Neunzigern gaben die Versicherer ihren Kunden immer höhere Zinsgarantien. Wer zwischen Juli 1994 und Juli 2000 eine Lebensversicherung oder private Rentenversicherung abschloss, dem garantierte der Anbieter eine Verzinsung von mindestens vier Prozent für die gesamte Laufzeit des Vertrages. Bei privaten Rentenversicherungen heißt das: bis zum Tod des Kunden. Für heute abgeschlossene Verträge liegt die Garantie meistens bei 1,25 Prozent.

Vor 20 Jahren schwankten die Kapitalmarktzinsen zwischen sechs und acht Prozent. Die Garantie von vier Prozent erschien nicht besonders wagemutig. Aber heute quält sie die Versicherer. Denn viele der alten Verträge sind immer noch in Kraft, die Branche muss mehr als 150 Milliarden Euro jährlich mit vier Prozent verzinsen - bekommt aber für die Neuanlage von Geldern weniger als drei Prozent.

Allerdings zahlen die Versicherungsunternehmen die Differenz nicht aus eigener Tasche. Nicht Unternehmenseigner oder Aktionäre werden zur Kasse gebeten, sondern die übrigen Kunden mit Verträgen aus anderen Perioden, in denen niedrigere Garantien festgelegt sind.

Niemand hat die Versicherer damals gezwungen, Garantiezinsen von vier Prozent anzubieten. Die niedrigen Zinsen bringen ans Licht, dass ihr Geschäftsmodell mit lange laufenden Zinswetten gescheitert ist. Dass die Deutschen 2015 immer noch 93 Milliarden Euro für ihre Lebensversicherungsverträge einzahlten, also nur 1,1 Prozent weniger als im Vorjahr, beweist nicht das Gegenteil. Es zeigt nur, dass die Alternativen fehlen.

Tiefe Ratlosigkeit

Das Gejammere über die EZB ist Ausdruck tiefster Ratlosigkeit. Es ist nicht sehr konstruktiv und hilft auch nicht bei dem so dringenden Umbau der Branche. Weil die großen Versicherer gleichzeitig sehr ordentliche Gewinne für ihre Aktionäre melden, wirkt die Aufregung auch nicht besonders glaubwürdig.

Dabei haben die Versicherer ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht. Die Vertriebskosten sind trotz Mahnung der Politik immer noch viel zu hoch. Wirklich einfache, massenkompatible und online abschließbare Finanzprodukte haben die wenigsten Anbieter vorgelegt. Der Grund: Die meisten wissen nicht, wie sie mit ihren viel zu großen Vertriebstruppen umgehen sollen. Immer noch finanzieren die Versicherungskunden über ihre Beiträge 231 000 Vermittler, im internationalen Vergleich ist das eine Rekordzahl.

Politiker aller Parteien suchen nach dem offensichtlichen Scheitern der Riester-Rente und den Problemen der Lebensversicherung nach Alternativen für die private Altersvorsorge. Der Vorschlag einer Deutschland-Rente und die Nahles-Rente bilden erst den Anfang dieser Diskussion. Die Versicherer kennen sich gut mit Todesfall- und Langlebigkeitsrisiken aus und haben Erfahrung bei lang laufenden Kapitalanlagen. Sie wären eigentlich die idealen Gesprächspartner. Aber solange viele von ihnen glauben, eigentlich hätten sie mit ihrem alten Geschäftsmodell keine Fehler gemacht, es sei alles Draghis Schuld, werden sie in der Debatte keine Rolle spielen. Schade eigentlich.

© SZ vom 08.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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