EU-Emissionsgrenze:Autoindustrie frisiert geschickt ihre Zahlen

Neuwagen sollen von 2020 an nur noch 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen dürfen. Nun offenbart ein Papier des Automobilverbands VDA, wie die Industrie die Grenzwerte mit einem simplen Trick umgehen möchte.

Thomas Fromm

BMW baut seine Geländewagen in den USA

Die Autokonzerne kämpfen für höhere Emissionsgrenzen.DDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDD

(Foto: dpa/BMW)

Kurze, knackige Briefe zwischen wichtigen Männern sind oft um einiges aussagekräftiger als lange Sitzungsprotokolle. So sagte der Brief, den EU-Energiekommissar Günther Oettinger im Sommer an VW-Chef Martin Winterkorn schickte, eine Menge aus über das Verhältnis von Wirtschaft und Politik.

Es war im Juli, und soeben hatte die EU-Kommission einen Entwurf von Klimakommissarin Connie Hedegaard verabschiedet, wonach die Neuwagen-Flotten der Hersteller in Europa ab dem Jahr 2020 nur noch durchschnittlich 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstoßen dürfen. 2015 darf der Wert bei maximal 130 Gramm liegen. Oettinger lobt, dass die nun "verabschiedete Fassung einige nicht unwesentliche Verbesserungen" zu früher beinhalte - und beendet seinen Brief handschriftlich "mit freundlichen Grüßen von Brüssel nach Wolfsburg". Der Energiekommissar und der Automanager - der Brief damals gab interessante Einblicke in eine Interessengemeinschaft. (Hier eine Kopie des Briefs als PDF.)

Schon damals war klar: Der CO2-Kampf ist hart, hinter den Kulissen wird um Prozentpunkte und Grammwerte, strikte Abgasnormen und komplexe Mehrfachanrechnungen gerungen, gestritten und gefeilscht. Jeder bringt seine Lobbygruppen in Stellung, denn es steht viel auf dem Spiel. Umweltschützer wünschen sich noch niedrigere CO2-Grenzen; die Autokonzerne dagegen - auch dies liegt in der Natur der Sache - wollen höhere Grenzen. Oder, wenn sie die Regeln schon nicht aufweichen können, zumindest Sonderregelungen. Denn ihnen drohen Sanktionen, wenn sie das von der EU vorgegebene Ziel nicht einhalten.

Ein kaum durchschaubares Verfahren

In einer Zeit, in der vor allem die Massenhersteller unter der Euro-Krise ächzen und auch die Hersteller teurer Luxusautos nicht genau wissen, ob und wann sie die Einschläge ebenfalls treffen werden, will man sich zusätzlichen Ärger ersparen. Nach SZ-Informationen drängt die Industrie nun darauf, die geplante Höchstgrenze von 95 Gramm durch eine stärkere und zeitlich gestreckte Mehrfachanrechnung emissionsärmerer Autos zu erreichen.

Schon heute ist es für die Industrie möglich, mehr emissionsarme Autos wie Elektrofahrzeuge mit anderen Autos zu verrechnen, als tatsächlich verkauft werden. Ein Mal verkauft, mehrmals in der Bilanz berücksichtigt - Umweltschützer halten das für eine raffinierte Verwässerung des eigentlichen Ziels. Ein realistischer Weg, um ein Ziel zu erreichen, dass sich mit normalen Verbrennungsmotoren kaum erreichen lässt, heißt es in der Autoindustrie hinter vorgehaltener Hand.

Der simple Trick

Das Verfahren, um das es geht, ist kompliziert und für den normalen Bürger kaum noch durchschaubar.

Rückblick: Oettinger war im Sommer erst einmal zufrieden mit dem Lauf der Dinge. Vor allem, weil nun, wie er schrieb, "die Belastung der Industrie vermindert" werde; unter anderem durch sogenannte "Super-Credits". Genau hier liegt die Crux: Die Hersteller können sich saubere Fahrzeuge wie etwa Elektroautos auf den gesamten Flottenausstoß mehrfach emissionsmindernd anrechnen lassen. Eine seltsame Rechnung, die jeder Mathe-Schüler schnell durchschauen würde. Denn es werden am Ende mehr emissionsarme Fahrzeuge verrechnet, als tatsächlich auf der Straße fahren. Die EU-Kommission sieht einen Faktor von 1,5 im Jahr 2015 vor; von 2020 bis 2004 gilt der Faktor 1,3 bei einer Begrenzung auf 20.000 Fahrzeuge. Das heißt: Pro verkauftem emissionsarmem Fahrzeug können 1,3 Fahrzeuge auf die gesamte Flotte angerechnet werden.

Umweltschutzverbände kritisieren "Schönrechnerei"

Der deutschen Automobilindustrie ist das zu wenig. Dies geht aus einem Entwurf des Automobilverbands VDA hervor, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt und wo es unter der Überschrift "Revision Langfristziel 2020" heißt: "Die deutsche Automobilindustrie hat schwerwiegende Bedenken hinsichtlich der von der Kommission vorgenommenen Lastenverteilung." Von einer "1,3-fachen Anrechnung von Pkw unter 35 Gramm ab 2020" werde "keinerlei Anreizwirkung" ausgehen. Stattdessen schlägt der Verband eine 2,5-fache Anrechnung bis 2023 vor - die sogenannten Super-Credits sollen dann über Jahre hin angespart werden können. Im VDA-Papier ist von einer "Trennung von Anspar- und Verrechnungsphase" die Rede. Ziel: Die Gesetzgebung "zeitlich zu flexibilisieren" und den Kauf von Elektroautos ankurbeln.

Bei den Umweltschutzverbänden klingeln die Alarmglocken. "Das ist für uns ein Bilanzierungstrick, der dabei helfen soll, die Vorgabe für 2020 zu verfehlen, ohne dass Strafzahlungen fällig werden", sagt ein Kritiker. Von "Schönrechnerei" ist die Rede; das Ziel von 95 Gramm wäre so "de facto verschoben und verwässert". Sinnvoller sei es, in den kommenden Jahren sparsamere und kleinere Autos zu bauen.

Die Autobauer kontern. Das 95-Gramm-Ziel sei mit den jetzigen Fahrzeugflotten ohnehin schwer zu erreichen - gleichzeitig aber sei der Wert eine "nicht verhandelbare Pflicht". "Daher müssen wir uns fragen, ob wir nicht bei einem höheren Faktor ansetzen", heißt es. In Ländern wie den USA oder China würden die Hersteller stärker entlastet als in den Planungen der EU-Kommission. Das Dilemma der Autoindustrie: Niemand weiß derzeit, wie viele Elektroautos tatsächlich in einigen Jahren am Markt sein werden. Von dem Ziel, bis 2020 eine Million E-Fahrzeuge auf die Straßen zu bringen, haben sich Industrie und Politik längst verabschiedet.

Wie viel Abgase sind künftig erlaubt, ab wann müssen die Hersteller saftige Strafen zahlen? Insider erwarten, dass sich der Kampf hinter den Kulissen weiter verschärft. Klimakommissarin Hedegaard galt - anders als ihr Kollege Oettinger - von Anfang nicht als Freundin der Super-Credit-Rechnerei. Im Gegenteil: Wie es heißt, soll sie derzeit noch niedrigere Grenzwerte für die Zeit nach 2020 prüfen.

Der Kampf geht weiter.

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