Entsorgung:Was von dem Abfall in Deutschland übrig bleibt

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SZ-Grafik; Quelle: Statistisches Bundesamt (Foto: sz)

Zu Besuch in einer Müllverwertungsanlage bei Hamburg.

Von Thomas Hahn

Der Betriebsleiter Hartwig Söth macht ein Gesicht, das wohl wie eine Entschuldigung aussehen soll. Denn Rosenduft ist das nicht, was den Schredderraum im Müllbunker der Hamburger Müllverwertungsanlage Borsigstraße (MVB) durchzieht. Die Luft hier erinnert an das Aroma ausgeleerter Abfalltonnen. "Ich rieche das ja nicht mehr so", sagt Söth vergnügt. Und dann schreitet er strammen Schrittes durchs graue, dröhnende Kesselhaus um zu zeigen, wie sein Unternehmen Dreck verschwinden lässt.

Wo kommt der Müll hin? Diese Frage verdrängt der Normalbürger gerne, wenn er etwa vor einer Recycling-Station am Bahnhof steht, nicht so genau weiß, was Verpackung und was Restmüll ist, und am Ende seinen Abfall einfach irgendwo reinschmeißt. Oder wenn er in einem Wohnblock lebt, in dem es keine Wertstofftonnen gibt. Alles in eine Tonne, wird schon werden. Aber was wird daraus?

Die Wiederverwertung des Verbrauchten wirkt wie die Verheißung eines neuen, von Menschenhand erschaffenen Lebenskreislaufs, in dem das Weggeworfene als neues Produkt wiederaufersteht. Und wenn nicht, dann soll sich der Müll bitte rückstandslos in Luft auflösen. Dass es in der Wegwerfgesellschaft ein Problem mit der Masse an Müll geben könnte, das ahnt wohl jeder. Laut Umweltbundesamt produzierten die Deutschen 2013 fast 50 Millionen Tonnen Hausmüll, hinzu kommen Bau- und Gewerbemüll. Allein in Hamburg fallen jährlich 800 000 Tonnen Abfälle an. Unter den Müllbergen zu ersticken, gehört zu den Urängsten der Konsumweltbürger.

Ein Besuch bei Hartwig Söth bringt in dieser Hinsicht Erleichterung. Die Borsigstraße in Hamburg-Billbrook zählt nicht zu den Schönheiten der Hansestadt, sie ist eine trostlose Landschaft aus Schloten und Industrie-Höfen. Aber der Traum von einem Müll, der sich in Luft auflöst, scheint hier greifbar zu werden. Private Firmen für Recycling und Sondermüllverbrennung sind an der Borsigstraße sesshaft - und die Müllverwertungsanlage MVB mit Betriebsleiter Söth, seit 1994 in Betrieb, seit zwei Jahren in Besitz der Stadtreinigung Hamburg und ein Beispiel dafür, wie energetische Müllverwertung funktioniert. 320 000 Tonnen Hausmüll verbrennt die Anlage jedes Jahr und erzeugt dabei Energie in Form von Dampf, die der Hansestadt zugutekommt. 700 000 Megawattstunden Wärme speist die MVB laut Söth jährlich ins Fernwärmenetz des Energiekonzerns Vattenfall ein. Damit können alle Haushalte, die ans Hamburger Fernwärmenetz angeschlossen sind, zumindest im Sommer fast ihren gesamten Wärmebedarf (inklusive Warmwasser) decken.

Söth steht auf der Brücke des Kranführers und schaut durch eine Glaswand in den mächtigen Bunker der Anlage, der für 10 000 Tonnen Material ausgerichtet ist. Ein mächtiger Stahl-Greifer wühlt im Müll, damit dieser möglichst gut durchmischt in den Brennkessel kommt. Man erkennt vergammelte Mandarinen, Müsli-Kartons, Plastiktüten, den Stamm einer Zimmerpflanze, eben alles, was Hamburger unsortiert in die Restmülltonnen werfen. Diese ganze bunte stinkende Masse wird nach und nach in den 1000 Grad heißen Feuerraum gekippt. "Der Müll hat einen Heizwert wie Braunkohle", sagt Söth.

Wenig später schaut er durch die Scheibe des Kontrollzentrums, in dem Mitarbeiter vor Überwachungsmonitoren sitzen. Einer der Monitore überträgt live das Inferno aus dem Feuerraum. Aus der Ferne wirkt es fast heimelig, wie ein Fernseh-Kaminfeuer. Aber so harmlos ist es nicht. Dass der Müll im Feuer restlos verschwindet, ist eine Illusion. Etwa 22 Prozent des Mülls bleibt als Schlacke zurück, die im erkalteten Zustand eine aschgraue, starre Masse ist und die metallischen Müllbestandteile bindet. Die Schlacke wird gewaschen, gebrochen und zu Material für den Straßenbau verarbeitet. Das Metall wird aussortiert und weiterverwendet. "Das heißt", sagt Söth, "die Konservendose, die Sie in den Müll werfen, wird hier sauber gebrannt, in der Schlackenaufbereitung raussortiert und geht dann als Wertstoff ans Stahlwerk."

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Und der Rauch? Der durchläuft verschiedene Filter- und Reinigungsprozesse. Dabei entstehen einerseits Abfallprodukte, die man in der Industrie weiterverwenden kann: Rohsäure bei der Nasswäsche der Halogenwasserstoffverbindungen, Gips bei der Schwefelwäsche. Andererseits entsteht aber auch Abfall, vor dem man die Menschheit schützen muss. Von den 320 000 Tonnen Müll, welche die MVB jährlich verbrennt, bleiben 8000 Tonnen Giftmüll zurück, vor allem dioxinhaltiger Flugstaub. "Der wird unter Tage deponiert", sagt Söth. In alten Salzbergwerken, wasserdicht eingemauert für die Ewigkeit.

Müllverwertung ist die Kunst, das Nützliche im Verbrauchten zu sehen. Der Müll wird zum Rohstoff, selbst unscheinbare Partikel können noch etwas wert sein, wenn man sie richtig behandelt. Für Hartwig Söth sind Anlagen wie die seine Schaubühnen der Nachhaltigkeit, auch wenn das Wegzaubern aller Schadstoffe selbst in seinem Haus nicht ganz gelingt. Die Statistik der Emissionswerte weist aber weit unterschrittene Grenzwerte aus. Dass das Geschäft mit dem Müll für sein Unternehmen sonderlich einträglich wäre bei mehr als sechs Millionen Euro jährlichen Instandhaltungskosten, kann Hartwig Söth nicht sagen. "Aber für die Umwelt ist das sehr gut." Und vom Gestank im Schredderraum kriegt man an den meisten Stellen der Anlage gar nichts mit.

© SZ vom 29.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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