Deutsche Bahn beschuldigt Bombardier:Schwache Räder, schlechte Bremsen

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Defekte Züge, verspätete Lieferungen - die Bahn hat jede Menge Ärger mit ihrem Fuhrpark. Schuld daran seien die Hersteller, heißt es immer wieder beim Staatskonzern. Jetzt verklagt Bahn-Chef Grube den Zulieferer Bombardier auf Schadenersatz. Es geht um 350 Millionen Euro.

Von Klaus Ott

Mal werden neue ICE nicht rechtzeitig geliefert, mal funktionieren Regionalzüge nicht richtig, mal müssen S-Bahnen aus dem Verkehr gezogen werden. Seit Jahren hat die Deutsche Bahn (DB) Probleme mit ihrem Fuhrpark. Die Folge: Überfüllte Züge, Verspätungen, Ausfälle. Und verärgerte Fahrgäste natürlich. Die Hersteller seien schuld, sagt Bahn-Chef Rüdiger Grube schon länger und lässt immer wieder anklingen, er werde sich notfalls heftig mit der Industrie anlegen.

Jetzt macht der Bahn-Vorstand ernst. Das Staatsunternehmen DB hat beim Landgericht Berlin eine Schadensersatzklage eingereicht, in der die bislang härtesten Vorwürfe gegen einen Zughersteller enthalten sind. Der Konzern Bombardier soll bei den Lieferungen von 500 S-Bahnen für Berlin Mängel an den Rädern und beim Bremssystem verschwiegen und so die DB arglistig getäuscht haben. Von den 1,1 Milliarden Euro für die Berliner Züge will die Bahn deshalb fast 350 Millionen Euro zurückbekommen.

Bombardier weist die Anschuldigungen als "unbegründet und rufschädigend" zurück. Aus Kreisen der deutschen Eisenbahnindustrie heißt es, bei Bombardier sei man über die Bahn empört. Mit diesen heftigen Vorwürfen werde Bombardier unterstellt, "wissentlich das Leben von Fahrgästen riskiert" zu haben. Damit überschreite die Bahn eine "rote Linie" im Dauer-Streit mit den Zuglieferanten, ist aus Industriekreisen zu hören. Bombardier zählt mit Siemens und Alstom zu den großen Herstellern von Zügen in Deutschland.

Mit der Schadensersatzklage wird das große Chaos bei der Berliner S-Bahn im Jahr 2009 noch einmal juristisch aufgearbeitet. Nachdem am 1. Mai 2009 bei der Einfahrt eines Zuges in den Vorortbahnhof Kaulsdorf ein Rad gebrochen war, legte die Aufsichtsbehörde, das Eisenbahn-Bundesamt, große Teile der Hauptstadtflotte still. Später fielen auch noch Mängel am Bremssystem auf. Die Berliner mussten monatelang improvisieren und auf U- und Tram-Bahnen, Busse, Taxis und das Fahrrad ausweichen. Für die großen Schäden, die auch der Deutschen Bahn entstanden, soll jetzt Bombardier haften.

Schwachpunkt Bremsen

In der Klage sind dem Vernehmen nach die Vorwürfe im Detail aufgelistet. Die Räder der S-Bahnen seien um 50 Prozent "unterdimensioniert" gewesen. Bedingt durch diesen Mangel habe die "sichere Laufleistung" der Räder bei insgesamt 275.000 Kilometern gelegen, statt der von Bombardier und vom Unterlieferanten für die Räder angegebenen 1,2 Millionen Kilometer. Die DB behauptet, sie habe das nicht erkennen können. Die Züge der Berliner S-Bahn fahren jährlich zwischen 120.000 und 180.000 Kilometer.

Nächster Punkt: die Bremsen. Bombardier soll das Bremssystem unzureichend getestet haben, dies dann aber verschleiert haben. Auf nasser Schiene sei sogar nur eine einzige Messfahrt erfolgt, unter irrealen Bedingungen. Bombardier sei klar gewesen, dass man die vorgeschriebene Zuverlässigkeit des Bremssystems nicht nachgewiesen habe. Das gelte auch für das sogenannte Gleitschutzsystem, das Teil des Bremsapparates ist.

Der Gleitschutz soll ähnlich wie das ABS bei Autos verhindern, dass die Räder bei einem Notstopp auf feuchtem Untergrund blockieren und sich so der Bremsweg verlängert. Die DB behauptet, ihr sei erst durch einen Untersuchungsbericht deutlich geworden, dass das Bremssystem der Berliner S-Bahnen vollständig neu konstruiert werden müsse.

"Die Züge hätten nie zugelassen werden dürfen"

Und erst viele Jahre später habe sich die wahre Ursache eines Unfalls am 20. November 2006 im Bahnhof Südkreuz mit 37 Verletzten herausgestellt, als eine S-Bahn nicht rechtzeitig halten konnte und auf einen anderen Zug auffuhr. Lange Zeit habe man geglaubt, das sei ein unglücklicher Einzelfall gewesen. Bis man auf die von Bombardier arglistig verschwiegenen Systemmängel bei Rädern und Bremsen gestoßen sei. "Die Züge hätten nie zugelassen werden dürfen", heißt es in Bahn-Kreisen.

Bei Bombardier hält man die Vorwürfe für vorgeschoben, um seitens der Bahn trotz längst verjährter Ansprüche Schadensersatz geltend machen zu können. Die Gewährleistungspflicht von Bombardier für die zwischen 1996 und 2004 ausgelieferten S-Bahnen ist bereits 2007 abgelaufen. Bis dahin seien die Züge zu mehr als 98 Prozent verfügbar gewesen, eine im europäischen Vergleich "sehr gute Zahl", so Bombardier. Das Unternehmen gibt der Bahn die Schuld am Berliner Malheur und verweist auf einen von der DB selbst vorlegten Untersuchungsbericht über Mängel bei der Wartung, der Organisation und der Infrastruktur der S-Bahn. Für diese Bereiche sei die Bahn selbst zuständig gewesen. Bombardier hat aber kein Interesse an einem langwierigen Rechtsstreit und erklärt, man sei "weiterhin offen für Gespräche". Das könnte schwierig werden. Das neue Verfahren ist bereits die dritte Klage der Bahn gegen Bombardier.

© SZ vom 21.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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