Demokratie im Härtetest:Das Trauma Krise

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Erst sah es so aus, als feierte der Staat in Zeiten der schlimmsten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren sein Comeback, doch das täuscht. Die Politik hat das Heft des Handelns noch nicht wieder in der Hand.

Guido Bohsem

In der Psychologie spricht man von einem Trauma, wenn der Mensch durch ein schlimmes Erlebnis aus der Bahn geworfen wird. Das sind meist Naturkatastrophen oder Verbrechen. So eine bittere Erfahrung kann auch in einer plötzlichen und bedrohlichen Änderung der sozialen Stellung liegen. Mitte der neunziger Jahre hat die politische Klasse der Bundesrepublik kollektiv so ein Erlebnis durchlitten. Auslöser war die mit Wucht einsetzende Globalisierung und das sich immer schneller drehende Roulette der Devisenhändler, Investoren und Börse. Die Politik, die sich bis dahin als entscheidende Instanz wähnte, wurde marginalisiert, in die zweite Reihe verbannt.

Entscheidungen in Berlin - wohin steuert die Politik in Zeiten der Krise? (Foto: Foto: AP)

Noch heute treibt etwa Linken-Chef Oskar Lafontaine eine Bemerkung um, die der damalige Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer 1996 auf dem Weltwirtschaftsgipfel an die Politik richtete: "Meine Herren, Sie alle sind jetzt der Kontrolle der internationalen Finanzmärkte unterworfen." Ob unter Rot-Grün oder Schwarz-Rot, die Wettbewerbfähigkeit des Standortes wurde zum zentralen Anliegen der Regierungspolitik. Mit ihr durchlebte die Gesellschaft eine beispiellose Phase der Ökonomisierung. Das Mantra der Märkte, Effizienz und Leistungsfähigkeit, machte aus Bürgern Anleger und weckte in der Mittelschicht eine vorher nicht gekannte Angst vor dem Abstieg.

Mit dem Zusammenbruch der Finanzmärkte und dem Bankrott der US-Investmentbank Lehman Brothers schienen sich die Dinge zu wenden. Es sah so aus, als feierte der Staat sein Comeback. Doch das täuscht, wie sich nun herausstellt. In Wirklichkeit hat die Politik das Heft des Handelns noch nicht wieder in der Hand . Die der Finanzkrise folgende Wirtschaftskrise zeigt allzu deutlich: Keine der führenden Parteien weiß mit dem überraschenden Bedeutungsgewinn umzugehen. Die neu gewonnene Verantwortung trifft die politische Klasse weitgehend unvorbereitet, und sie lastet schwer auf ihren Schultern. Die nun tatsächlich vom Arbeitsplatzverlust und Abstieg bedrohte Mittelschicht richtet ihre Hoffnungen auf das demokratische Führungspersonal. Doch das bleibt Antworten schuldig. Es diskutiert im Klein-Klein, über Steuersenkungen hier und Stützungsprogramme dort. Eine große Linie jedoch ist weder links noch rechts zu erkennen.

Woran liegt das? Es mag verblüffend klingen, aber das Krisenmanagement zur Rettung der Finanzmärkte war verhältnismäßig leicht zu bewerkstelligen für die Politik und insbesondere für die große Koalition in ihrer Machtfülle. Zum Rettungsplan für Banken und Versicherer gab es schlichtweg keine plausible Alternative. Kein führender Vertreter der großen Parteien hat ernsthaft in Erwägung gezogen, die Hypo Real Estate Pleite gehen zu lassen. Der Commerzbank zu helfen, stand außer Frage. So gesehen, diktierten die internationalen Finanzmärkte der Politik noch in der Stunde ihres Kollaps, was sie zu tun hatte.

Jetzt geht es um Opel. Es geht um den Zulieferer Schaeffler. Weitere Firmen werden hinzukommen im Laufe des Jahres: die Chemieindustrie und ihre Unternehmen, die Tourismusbranche, die Maschinenbauer, die Einzelhändler. Hunderttausende Jobs könnten vernichtet werden, Pessimisten sprechen von bis zu sechs Millionen Arbeitslosen.

Und diesmal ist keiner da, der der Politik vorschreibt, was sie zu tun hat. Das Problem jeder Branche, jedes Unternehmens ist anders. Es gibt zahlreiche Optionen. Jetzt erst schlägt die Stunde des Staates, jetzt ist es an der Politik, die richtigen Antworten zu geben. Im ersten Anlauf scheitert die Koalition. Sie sucht eine Antwort in technokratischen Verfahren und drückt damit die Verantwortung weg. Die langwierige Überprüfung des Opel-Geschäftsmodells - inklusive der Shuttle-Diplomatie nach Detroit, Washington und New York - mag als wenig rühmliches Beispiel dienen. Egal, ob die Kanzlerin Opel nun rettet oder fallenlässt: Keiner wird ihr glauben, dies geschehe, weil ein paar Wirtschaftsprüfer dies in einem Gutachten empfehlen oder die Bosse von General Motors zusichern, die Rüsselsheimer könnten es auch alleine schaffen.

Natürlich ist der Ansatz pragmatisch und er bringt der Kanzlerin zunächst einmal einen Zeitgewinn. Im Superkrisenjahr 2009, das zugleich ein Superwahljahr ist, reicht das aber nicht aus. Denn mit diesem Aufschiebetrick wird Merkel, wird die große Koalition der wiedergewonnenen Verantwortung der Politik nicht gerecht. In den kommenden Monaten wird nämlich die Demokratie einem Härtetest unterworfen. Im Jubiläumsjahr der Bundesrepublik steht der bislang geltende gesellschaftliche Konsens auf dem Prüfstand, der auf der Verteilung des Wohlstands beruht. Denn diesmal gibt es nichts zu verteilen.

Alle Parteien stehen in der Verantwortung, diesen Test zu meistern. Deshalb sollte es zu einem völlig anderen Wahlkampf kommen. In seinem Zentrum muss die Frage stehen, welche Rolle der Staat und die Politik künftig spielen sollen. Für das Land wäre diese Debatte ein Segen und für die politische Klasse eine Therapie, mit der sie den Schock des Bedeutungsverlustes endgültig und dauerhaft überwinden könnte.

© SZ vom 17.03.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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