Bedingungsloses Grundeinkommen in der Schweiz:Sehnsucht nach einem Schlaraffenland

Truck dumps five cent coins in the centre of the Federal Square during event organised by Committee for initiative Grundeinkommen in Bern

Die Initianten der Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen haben auf dem Bundesplatz acht Millionen Fünfräppler ausgeschüttet. Am Abend soll alles, was davon übrig bleibt, wieder zusammengekehrt werden.

(Foto: REUTERS)

Womöglich können die Schweizer in ferner Zukunft die Füße hochlegen. Für immer. Zumindest, wenn sie Lust dazu haben. Denn wenn alles kommt wie geplant, dann entscheidet das Volk, ob es in dem Land ein Grundeinkommen für jeden gibt. Das soll nicht nur fürs Dasein reichen, sondern auch für die Teilnahme am öffentlichen Leben. Egal, ob er arbeitet oder nicht.

Von Larissa Holzki

In Bern wollen sie heute feiern - die Frauen und Männer, die anderthalb Jahre lang im ganzen Land Unterschriften gesammelt haben. Wenn es nach ihnen geht, soll spätestens 2050 kein Schweizer Bürger mehr arbeiten müssen. Bis dahin soll der Bund für ein bedingungsloses Grundeinkommen sorgen, das jedem ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglicht. Rund 126.000 Menschen haben diese Forderung unterschrieben. Am heutigen Freitag werden die Listen bei der Bundeskanzlei eingereicht.

Jetzt muss sich der Schweizer Bundesrat mit der Idee befassen, die das Verständnis von Arbeit und Einkommen revolutionieren könnte: Wenn alle Formalien eingehalten wurden, stimmen die Bürger in zwei oder drei Jahren über das bedingungslose Grundeinkommen ab.

Die Anhänger der Idee freuen sich schon jetzt. So wie Götz Werner. Der Gründer der Drogeriemarkt-Kette dm ist der wohl bekannteste Grundeinkommens-Fürsprecher im deutschsprachigen Raum. Er half, der Schweizer Volksinitiative den Weg zu bereiten - und hofft, dass nun dieses Thema Eingang in die öffentliche Debatte findet.

Gesellschaft wird auf den Kopf gestellt

Es ist nicht einfach sich vorzustellen, wie sich die Gesellschaft verändert, wenn jeder so viel Geld bekommt, wie er für ein bescheidenes Leben braucht. Im Gespräch sind 2500 Schweizer Franken, etwas über 2000 Euro. Und "was die Menschen nicht denken können, können sie auch nicht ins Gesetz schreiben", sagt der Unternehmer. Aber wenn es überhaupt eine Gesellschaft gebe, die dafür bereit sei - dann am ehesten die Schweizer.

Werner persönlich erwartet nicht weniger als einen Paradigmenwechsel. So wie damals, als die Menschheit erkannte, dass die Erde keine Scheibe ist. Heute gingen die Leute arbeiten, um ein Einkommen zu erhalten, sagt er. Deshalb verrichteten Menschen Arbeit, die längst Roboter übernehmen könnten. Dabei wären laut Werner genügend andere wichtige Aufgaben da. Doch für die Pflege der kranken Mutter, die Erziehung der Kinder und das Engagement im Sportverein würden höchstens Aufwandsentschädigungen gezahlt. "Mit dem Grundeinkommen werden wir plötzlich begreifen, dass wir ein Einkommen brauchen, um arbeiten zu können. Nicht andersherum", sagt Werner.

Das Thema Grundeinkommen führt auch in Deutschland zu manch erhitzten Diskussionen. Fast in jedem politischen Lager finden sich Menschen, die für die Idee brennen und andere, die sich massiv dagegen wehren. Manche Linke denken, ein Grundeinkommen für Reiche sei herausgeworfenes Geld. Bei den Liberalen kritisieren andere die Einladung in die soziale Hängematte. Andererseits käme gerade die vielen Unternehmern gelegen: Wo eine Gesellschaft die Schwachen auffängt, müssen Firmen weniger Rücksicht nehmen.

Entschiedene Gegner des Grundeinkommens sind die Gewerkschaften. Bei Verdi heißt es zum Beispiel: "Staatliche Hilfeleistungen müssen Bedürftige erhalten, nicht die gesamte Bevölkerung." Die Gewerkschafter befürchten eine "unkontrollierbare Dumpingwirkung" auf die Arbeitseinkommen.

Wie ist das Grundeinkommen finanzierbar?

Eine der schwierigsten Fragen dabei bleibt, ob und wie das Grundeinkommen zu finanzieren ist. Dazu gibt es verschiedene Modelle und jedes hat Befürworter und Gegner. Ein Teil des Geldes könnte etwa durch den Wegfall von Kindergeld, Sozialhilfe, Bafög und ähnlichen Leistungen zur Verfügung stehen. Doch das reicht bei weitem nicht aus. Und wie der Rest aufgebracht werden könnte, ist unklar. Götz Werner ficht das nicht an: "Wer will, findet Wege, wer nicht will, findet Gründe." Für ihn ist das Grundeinkommen eine Idee, die eben noch weitergedacht werden muss.

Er empfiehlt beispielsweise, künftig nur noch eine einzige Steuer zu erheben, eine Art Mehrwertsteuer. Diese würde drastisch steigen, auf etwa 50 Prozent. Andere Steuerarten könnten dafür wegfallen, Deutschland würde enorm an Verwaltungskosten sparen.

Ansonsten kommen Experten durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen, was die Finanzierung des Grundeinkommens anbelangt. Einige halten es für unbezahlbar, andere wie der Grünen-Politiker Wolfgang Strengmann-Kuhn und Wissenschaftler des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut sagen, es sei unter Umständen machbar.

In der Schweiz könnte das Grundeinkommen den Staat Schätzungen zufolge 200 Milliarden Franken kosten. Diese Summe entspräche fast einem Drittel des Bruttoinlandsprodukts. Befürworter schlagen vor, dass aus Sozialversicherungen etwa 70 Milliarden Franken eingesetzt werden könnten.

Noch ein weiter Weg zum Grundeinkommen

Welche Auswirkungen der Freifahrtschein für ein mögliches Leben auf dem Sofa hätte, ist unklar. Viele Szenarien sind denkbar. Von einer antriebslosen Gesellschaft, die international den Anschluss verpasst, bis hin zu einer Oase des blühenden bürgerschaftlichen Engagements. Erste Erfahrungen gibt es lediglich aus Pilotprojekten, wie sie beispielsweise in Brasilien und Namibia durchgeführt werden.

Bis das Grundeinkommen in der Schweiz Wirklichkeit werden könnte, sind noch einige Hürden zu nehmen - viele Kampagnen scheitern. Rund 400 Volksinitiativen wurden seit Ende des 19. Jahrhunderts gestartet. Abgestimmt haben die Schweizer am Ende nicht mal über die Hälfte von ihnen und nur 20 wurden angenommen. Die einen scheiterten an Formalien oder am notwendigen Ständemehr, also der für eine Verfassungsänderung notwendigen Mehrheit der Kantone. Anderen fehlte schlicht die Zustimmung in der Bevölkerung. Doch bisher stehen die Vorzeichen gut für die Initiatoren: Noch nie zuvor hatte eine Volksinitiative so schnell die 100.000 Unterschriften für die Abstimmung zusammen.

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