Arbeit und Rente:Jenseits der 60 ist seltener Schluss

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SZ-Grafik; Quelle: Deutsche Rentenversicherung (Foto: SZ-Grafik)
  • Mehr als jeder Zweite der 60- bis 64-Jährigen arbeitet noch.
  • Unter 60 Jahren in Rente zu gehen, ist inzwischen nicht mehr möglich - außer bei Krankheit.

Von Thomas Öchsner, Berlin, Berlin

"Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an", textete einst der Schlagersänger Udo Jürgens. Von der Rente mit 67 war damals, vor fast 40 Jahren, noch nicht die Rede. Und es gab auch noch keine Finanzminister wie Joe Hockey, der seinen australischen Landsleuten gerade ankündigte, das "Zeitalter der Ansprüche" beenden und die Rente mit 70 einführen zu wollen. Australien würde damit weltweit zu einem der Spitzenreiter beim Renteneintrittsalter aufsteigen. In Deutschland wird die Rente mit 70 so schnell nicht kommen. Aber die Bundesrepublik wird mehr und mehr zu einem Land der arbeitenden Älteren und Alten. In keinem anderen EU-Land ist der Anteil der Erwerbstätigen bei den 55- bis 64-Jährigen so stark gestiegen wie in Deutschland. Darauf hat jetzt die Deutsche Rentenversicherung (DRV) aufmerksam gemacht.

Die Arbeitgeberverbände sehen bereits eine "deutliche Wende" und sprechen von einem "Mentalitätswandel". Und in der Tat lassen die Zahlen, die die DRV in Berlin vorlegte, aufhorchen: Im Jahr 2000 war zum Beispiel nur etwa jeder Fünfte der 60- bis 64-Jährigen in Deutschland erwerbstätig. 2014 traf dies bereits auf mehr als jeden Zweiten zu (Grafik). Einen deutlichen Zuwachs gibt es auch bei 65- bis 70-Jährigen: 13,8 Prozent gehen inzwischen irgendeiner Arbeit nach - fast dreimal so viele wie noch zur Jahrtausendwende.

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"Es gibt mehr bezahlte Arbeit in Deutschland"

"Die älteren Arbeitsgruppen sind überproportional gewachsen", sagt Reinhold Thiede, Chef der Forschungsabteilung bei der Rentenversicherung. So nahm die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 2008 bis 2013 um sieben Prozent auf fast 30 Millionen zu. Die Gruppe der 55- bis unter 65-Jährigen ist aber um mehr als ein Drittel auf 4,8 Millionen gewachsen. Die Zahl der Beschäftigten mit mindestens 65 Jahren erhöhte sich sogar um etwa 46 Prozent. Für Thiel liegt das vor allem daran, dass der Arbeitsmarkt boomt. "Es gibt mehr bezahlte Arbeit in Deutschland", sagt er. Davon würden auch gering qualifizierte Menschen im Alter von 55 plus profitieren. Ihr Anteil an der arbeitenden Bevölkerung hat hierzulande viel stärker zugenommen als im EU-Durchschnitt.

Hinzu kommen zwei weitere Gründe: Das Renten- und Tarifrecht hat sich verändert. Siehe man einmal von denjenigen ab, die wegen einer Krankheit vorzeitig Erwerbsminderungsrente beziehen müssten, "ist ein Rentenzugang unter 60 Jahren praktisch nicht mehr möglich", sagt der Experte der DRV. Außerdem altern die Arbeitnehmer mit der Bevölkerung, die älteren Jahrgänge werden im Zuge der demografischen Entwicklung stärker.

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Wer wenig Geld hat, arbeitet eher

Mit 65, 66 oder mit gar noch reiferem Alter nicht Schluss machen - das gilt aber nach wie vor nur für wenige. Die Statistiker der Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit zählten Ende 2013 gerade einmal 178 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Das sind vor allem Arbeitnehmer, die eine Rente beziehen, aber noch arbeiten. Hinzu kommen etwa 800 000 Minijobber, die sich im Rentenalter etwas hinzuverdienen.

Die Gründe für den Unruhestand im Alter sind vielfältig. "Je niedriger die Rente ist, umso wahrscheinlicher ist eine berufliche Tätigkeit im Ruhestand. Wer dagegen eine höhere Rente bezieht und damit auch finanziell besser gestellt ist, arbeitet im Alter tendenziell seltener", heißt es in einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Diejenigen mit schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätten aber auch als Rentner seltener einen Job.

Ein Drittel der Professoren und Ärzte noch aktiv

Andererseits gibt es starke Indizien dafür, dass viele Hochqualifizierte und Gutverdiener auch im fortgeschrittenen Alter das Arbeiten nicht lassen können. Das gilt nicht nur für Professoren oder für Mediziner, von denen beinahe ein Drittel zwischen 65 und 74 Jahren noch praktiziert. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ist der Anteil der Erwerbstätigen mit Promotion oder Hochschulabschluss bei den Erwerbstätigen, die mindestens 65 sind, deutlich höher als an der Bevölkerung insgesamt. Geld dürfte bei ihnen für den Unruhestand im Ruhestandsalter eher keine große Rolle spielen.

Dass es nicht immer nur ums Geld gehen muss, zeigt auch eine Studie des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft. Sie fanden bei Paaren heraus: Arbeitet der eine im Rentenalter, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch der andere berufstätig ist. Wer als Paar zusammengeblieben ist, will offenbar den Lebensabend gemeinsam gestalten.

© SZ vom 16.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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