Altersvorsorge:Die fünf großen Irrtümer in der Rentendebatte

Regierung rechnet mit starkem Rentenplus bis 2024

Die Menschen werden Älter und die jungen Beitragszahler weniger: Wie soll das finanziert werden?

(Foto: picture alliance / dpa)

Wie können wir die Altersvorsorge in Zukunft finanzieren? Es ist endlich Zeit für eine nüchterne Betrachtung. Denn selbst Experten verbreiten gravierende Denkfehler.

Gastbeitrag von Axel Börsch-Supan und Friedrich Breyer

Nur zwei Jahre, nachdem die große Koalition mit der Mütterrente und der abschlagsfreien Rente mit 63 zwei üppige Ausweitungen der Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung in Kraft gesetzt hat, die über die nächsten Jahrzehnte insgesamt zu Mehrausgaben von etwa 300 Milliarden Euro führen, beginnt im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 schon wieder eine neue Debatte darüber, mit welchen Wohltaten man die alternde deutsche Bevölkerung noch beglücken könnte, um sich die Gunst der Wähler zu sichern. Die langfristige Perspektive, also die Frage, wie man das vorgeschlagene Leistungsniveau auch in 20 oder 30 Jahren noch finanzieren kann, wird von Politikern, die nur bis zum nächsten Wahltag blicken, souverän ausgeblendet.

Die Wähler - vor allem die jungen - sollten sich aber nicht täuschen lassen: Die Rechnung für die heute versprochenen Leistungssteigerungen kommt bestimmt - zu einer Zeit, in der auch die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung deutlich höher sein werden als heute. Die Frage sollte also nicht lauten: Womit können ältere Wähler gewonnen werden? Sondern: Was können wir uns langfristig leisten, ohne dass wiederum, wie im Zuge der Agenda 2010, Sozialleistungen massiv gekürzt werden müssen, weil der Wirtschaftsstandort Deutschland in Gefahr gerät?

Eine solche Debatte erfordert eine nüchterne Betrachtung der Tatsachen und der ökonomischen Zusammenhänge. Wer aber die Debattenbeiträge in der jüngsten Zeit verfolgt, der stellt fest, dass selbst diejenigen, die es eigentlich besser wissen müssten, oftmals gravierenden Denkfehlern aufsitzen. Im Folgenden werden fünf der meistverbreiteten Irrtümer in der Rentendebatte benannt und richtiggestellt.

Riester-Rendite oft niedriger als gedacht

Erster Irrtum: Die umlagefinanzierte Rentenversicherung hat dem durchschnittlichen Versicherten eine ordentliche positive Rendite (von etwa drei Prozent im Jahr) beschert, während die Kapitalrendite gegen null tendiert. Damit ist das bestehende Umlagesystem der Kapitaldeckung überlegen, und jegliche Versuche, es zugunsten einer kapitalgedeckten Zusatzversorgung à la Riester einzuschränken, für die Bürger ein Verlustgeschäft.

Bei dieser Rechnung werden die Beiträge, die ein Versicherter im Lauf seines Erwerbslebens an die Rentenversicherung gezahlt hat, mit seinen Rentenansprüchen (bei mittlerer Lebenserwartung) verglichen. Aber das ist in zweifacher Weise eine Milchmädchenrechnung: Weder bestehen alle Einnahmen der Rentenversicherung aus Beiträgen der Versicherten, noch bestehen alle Ausgaben aus Altersrenten. Auf der Einnahmenseite schlagen die diversen Bundeszuschüsse im Jahr 2016 mit gut 85 Milliarden Euro zu Buche; das sind mehr als 30 Prozent aller Einnahmen, die nicht der Beitragszahler, sondern der Steuerzahler aufbringt.

Auf der Ausgabenseite muss man für einen Renditevergleich zwischen der umlagefinanzierten Rentenversicherung und einer kapitalgedeckten Rente wie der Riester-Rente die Kosten der Leistungen herausrechnen, die eine Riester-Rente nicht enthält, nämlich die Ausgaben für die Krankenversicherung der Rentner (etwa 18 Milliarden Euro), für Rehabilitationsleistungen (sechs Milliarden Euro) und für die Erwerbsminderungsrente (13 Milliarden Euro), so dass von den Gesamtausgaben von 272 Milliarden Euro noch 235 Milliarden Euro verbleiben, die die Altersrenten finanzieren. Diesen stehen derzeit Beitragseinnahmen der Versicherten in Höhe von 187 Milliarden Euro gegenüber. Um die Altersrenten (und nur diese) allein aus Beiträgen zu finanzieren, würde der heutige Beitragssatz von 18,7 Prozent also nicht ausreichen, sondern er müsste etwa 23,5 Prozent betragen. Entsprechend höher hätte er auch in den vergangenen Jahrzehnten sein müssen. Damit beträgt die Rendite jedoch nicht mehr drei Prozent, wie oft behauptet wird, sondern liegt deutlich niedriger bei nur knapp über null.

Zweiter Irrtum: Das Rentenniveau sagt nichts über die Kaufkraft der Renten aus

Zweiter Irrtum: Durch den Nachhaltigkeitsfaktor sinkt das Rentenniveau in den nächsten Jahrzehnten so stark, dass die Rente für eine großen Anteil der Rentner unter das Grundsicherungsniveau fällt. Damit verliert sie ihre Akzeptanz in der Bevölkerung.

Völlig missverstanden wird dabei, was das Sinken des Rentenniveaus bedeutet. Das Rentenniveau ist das Verhältnis von Renten zu Löhnen, sagt aber nichts über die Kaufkraft der Renten aus. Der Nachhaltigkeitsfaktor bewirkt, dass die Renten um ungefähr einen halben Prozentpunkt weniger schnell wachsen als die Löhne, aber auch in Zukunft werden die Renten kaufkraftmäßig wachsen. Das wird höchstwahrscheinlich nicht mehr so viel sein wie in diesem Jahr, als die Renten gerade wegen des Nachhaltigkeitsfaktors um volle fünf Prozent gestiegen sind. Aber junge Beitragszahler werden sich mit großer Sicherheit mehr von ihrer Rente leisten können als heutige Rentner, selbst wenn die Geburtenrate so niedrig bleibt wie heute.

Die Babyboomer

Dritter Irrtum: Dadurch, dass die "Babyboomer" der 1960er-Jahre demnächst in den Ruhestand gehen, bricht für die Rentenversicherung eine schwierige Phase an. Von 2040 an wird sich die Situation der Rentenversicherung wieder entspannen.

Der erste Teil der Aussage ist vordergründig richtig; er verschleiert dennoch die wahren Zusammenhänge, und der zweite Satz ist leider völlig falsch. Wenn zahlenmäßig große Jahrgänge ins Rentenalter eintreten, so steigt in der Tat die Zahl der Rentner stark an. Das wäre aber für die Finanzen der Rentenversicherung leicht verkraftbar, wenn gleichzeitig die Zahl der Erwerbstätigen durch den Eintritt eines großen Jahrgangs ins Erwerbsalter konstant gehalten würde. Letztere (also die Geburtsjahrgänge aus den 1990er- und 2000er-Jahren) sind aber die Kinder oder Enkel der Babyboomer, und diese Jahrgänge sind zahlenmäßig wesentlich kleiner. Ursächlich für die Finanzprobleme der Rentenversicherung ist also weniger, dass die Babyboomer altern, sondern dass sie nicht für ausreichenden Nachwuchs gesorgt haben und dazu auch noch früher in Rente gehen als ihre Eltern, jedenfalls, wenn man das Rentenalter in Beziehung zur Lebenserwartung setzt. Seit 1970 hat sich wegen der steigenden Lebenserwartung die Rentenbezugszeit von 9,6 auf mehr als 17 Jahre fast verdoppelt, ohne dass sich das Renteneintrittsalter dementsprechend angepasst hat.

Daher verschlimmert sich die Situation der Rentenversicherung zwischen 2030 und 2040 dramatisch. Danach stirbt die Babyboom-Generation allmählich. Wenn man glaubt, dann käme es zu einer Entspannung, irrt man wieder. Die "Entspannung" in den 2040er-Jahren besteht lediglich darin, dass der Altenquotient - die Zahl der über 65-Jährigen, dividiert durch die Zahl der 20- bis 64-Jährigen - nicht weiter steigt, aber er wird auch nicht sinken. Je nach den Annahmen zur künftigen Lebenserwartung wird für die 2050er-Jahre sogar ein weiterer Anstieg dieses Quotienten erwartet. Bildlich gesprochen, erwartet uns kein "Rentnerberg", den man durch temporäre Maßnahmen "untertunneln" könnte, sondern ein Plateau, für dessen Bewältigung dauerhafte Lösungen wie ein niedrigeres Rentenniveau oder eine weitere Verlängerung der Lebensarbeitszeit gefunden werden müssen.

Die Geburtenrate ist in den vergangenen Jahren gestiegen - das hilft

Vierter Irrtum: Junge Beitragszahler sind zu Recht skeptisch gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung, weil sie selbst nicht mehr mit ausreichenden Renten rechnen können.

Wir haben ja schon klargestellt, dass auch in Zukunft die Kaufkraft der Renten steigen wird. Zudem gilt ganz grundsätzlich in einem Umlagesystem, dass das Verhältnis von Einzahlungen und Leistungen jeder Generation davon abhängt, wie viele Kinder sie hat. Die heute 25- bis 35-Jährigen sollten also nicht klagen, sondern darüber nachdenken, ob es nicht besser ist, mehr Kinder zu haben als ihre Eltern. Die Voraussetzungen, die der (ältere) Steuerzahler dafür in Form von staatlich subventionierter Kinderbetreuung schafft, sind weit besser, als sie es für die Generation der Eltern waren. Und in der Tat ist die Geburtenrate in den vergangenen Jahren auf fast 1,5 Kinder im Leben einer Frau gestiegen. Wenn dieser Trend anhält, wird sich die Situation der Rentenversicherung noch deutlich verbessern.

Politik der offenen Grenzen löst keine Finanzierungsprobleme

Fünfter Irrtum: Da die deutsche Bevölkerung altert, sollten wir für die Flüchtlingswelle dankbar sein, denn nur Zuwanderung kann einen massiven Anstieg des Beitragssatzes zur Rentenversicherung verhindern.

Natürlich helfen hochqualifizierte Einwanderer der Rentenversicherung. Will man eine Lücke in der Zahl der hier Geborenen durch Zuwanderung auffüllen, so muss man also dafür sorgen, dass das Qualifikationsniveau der Zuwanderer im Vergleich zu den Einheimischen hoch ist. Da nach zahlreichen Untersuchungen das Bildungsniveau vieler Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern jedoch deutlich geringer zu sein scheint als das früherer Zuwanderer, geschweige denn das gleichaltriger Deutscher, wird sich Deutschland sehr anstrengen müssen, die Flüchtlinge auszubilden und für den deutschen Arbeitsmarkt zu qualifizieren, wenn für die Rentenversicherung eine positive Bilanz herauskommen soll.

Ganz generell steht die Migrationspolitik vor einer schwierigen Abwägung: Soll sie eher humanitären Zielen dienen und sollen daher vornehmlich die Bedürftigsten aufgenommen werden oder soll sie dem heimischen Arbeitsmarkt dienen, so dass man gezielt die Hochqualifizierten aus den Entwicklungsländern anwerben müsste, wie es Staaten wie Australien oder Kanada vormachen? Dies ist eine Wertentscheidung, die der Bürger treffen muss. Jedenfalls ist es ein Irrtum, mit einer Politik der offenen Grenzen würden sich die Finanzierungsprobleme der deutschen Rentenversicherung automatisch erledigen.

Axel Börsch-Supan ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik München, Friedrich Breyer ist Professor am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialpolitik der Uni Konstanz.

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