Abgasaffäre im Untersuchungsausschuss:Winterkorn spricht endlich, und wie

Automanager vor Abgas-Untersuchungsausschuss

Der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn vor dem Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestages.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
  • Der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn hat sich entgegen der Erwartungen vor dem Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestages geäußert.
  • Detailliert schildert er die Tage nach dem Bekanntwerden des Skandals, auch den Tag seines eigenen Rücktritts.
  • Mehrere Male verweigert Winterkorn jedoch die Aussage. Beispielsweise wenn es darum geht, welche Informationen wann im Konzern kursierten.

Von Markus Balser und Max Hägler, Berlin

Schwarzer Anzug, Pilotenkoffer, rote Krawatte. Martin Winterkorn kommt durch den Seiteneingang in den Vernehmungsraum 3101 im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, direkt gegenüber vom Reichstag. Er geht langsam, es scheint ein schwerer Gang zu sein. Der Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat Winterkorn als Zeugen geladen. Er soll erklären, wie es bei Volkswagen zu der Affäre um manipulierte Schadstoffmessungen gekommen ist. Und wie er sie als Chef zulassen konnte.

Eigentlich hatten die meisten erwartet, dass Winterkorn die Aussage verweigern würde. Auch Leute aus seinem Umfeld waren davon ausgegangen. Doch der ehemalige VW-Chef nimmt im Saal zwischen seinen beiden Anwälten Platz, schlägt eine dicke Mappe auf - und beginnt zu reden. "Die dramatischen Vorgänge rund um illegale Software haben unser Unternehmen in eine schwere Krise gestürzt", räumt Winterkorn erstmals öffentlich ein. "VW kostet das Unmengen Geld." Der Umfang der Krise sei für ihn nicht absehbar gewesen, genau wie das endgültige Ausmaß des Schadens es bis heute nicht ist. Schwerwiegend sei auch der Verlust an Vertrauen, das VW eingebüßt habe. "Sie stellen zu Recht die Frage: Wie konnte das alles passieren? Und: Wer ist dafür verantwortlich?"

Die Chronologie eines folgenreichen Wochenendes

Winterkorn redet zu Beginn lange, doch genau die Antworten, die sich die Politiker des Ausschusses erhoffen, liefert er nicht. Über gewisse Themen wolle er zuerst mit der Staatsanwaltschaft Braunschweig sprechen, sobald er dort Akteneinsicht erhalten habe, sagt Winterkorn.

Stattdessen liefert der Ex-Top-Manager tiefe Einblicke in das Aufkommen der Krise. Mit brüchiger Stimme schildert er das Wochenende, an dem alles publik wurde: Am Freitag, den 18. September 2015, habe man um 18 Uhr Notiz aus den USA erhalten. Es habe Gesetzesverstöße gegeben. Am Tag darauf dann die große Telefonkonferenz, mit dabei Kollegen verschiedener Marken. "Haben wir sonst noch irgendwo ein Problem?", sei die entscheidende Frage gewesen. Am Sonntag habe eine große Runde in Wolfsburg zusammengesessen, etwa 100 Leute. Sie stellten fest: "Verschiedene Fahrzeuge, verschiedene Marken, mehrere Länder sind betroffen." Am Montag schließlich habe Winterkorn Vertreter der Politik getroffen und unter anderem mit Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt in München geredet. Die Botschaft: Die Krise ist weit größer als zunächst gedacht.

Bereits zu dem Zeitpunkt sei klar gewesen: "Wir haben nicht nur ein USA-Problem, wir haben ein Problem im Rest der Welt", sagt Winterkorn. Am Dienstag telefonierte Winterkorn schließlich mit der Kanzlerin, sagte ihr, dass es um viele Millionen Autos gehe. Ein paar Tage später trat er zurück. "Am 25. September habe ich das Haus verlassen. Glauben Sie mir, dieser Schritt war der schwerste meines Lebens. Meine Familie und ich, wir müssen lernen damit umzugehen."

"Vielleicht habe ich Signale übersehen"

Wie das alles unter seiner Führung geschehen konnte? Winterkorns Sätze werden kürzer. Bei sich selbst sieht der Mann, der viele Jahre an der Spitze des VW-Konzerns stand, keine Schuld. "Ich verstehe nicht, dass ich nicht früher informiert wurde. Vielleicht habe ich Signale übersehen." Welche Signale? Dazu möchte er nichts sagen.

Dass es überhaupt so weit kommen konnte und Millionen Kunden enttäuscht wurden, bestürze ihn zutiefst. "Ich möchte mich dafür entschuldigen." Es habe aber nicht daran gelegen, dass die Leute Angst vor ihm gehabt hätten, wie oft zu lesen gewesen sei, sagt Winterkorn. "Es gab mit Sicherheit kein Schreckensregime." Es sei vielmehr immer um Qualität gegangen, beste Materialien, perfekte Verarbeitung. Das sei doch "so etwas wie ein Markenzeichen" von Volkswagen gewesen in seiner Zeit. Und dann "ausgerechnet" beim Diesel mangelnde Perfektion. "Das muss in Ihren Ohren wie Hohn klingen", spricht er die Ausschussmitglieder direkt an. "Ich verstehe das, das geht mir genauso."

Doch jedes Mal, wenn diese klären wollen, was genau im Konzern an Informationen kursierte, wird Winterkorn einsilbig. Unter Verweis auf das Ermittlungsverfahren gegen ihn in Braunschweig verweigert Winterkorn mehrere Antworten. Der Ausschussvorsitzende von den Linken, Herbert Behrens, lobt ihn dennoch als "kooperativ". Offenbar sind die Ausschussmitglieder ebenfalls überrascht, dass der Ex-Manager überhaupt redet.

Kronzeugen belasten Winterkorn-Vetrauten

Doch eine der brisantesten Fragen, die es in der Abgasaffäre gibt, bleibt weiter unbeantwortet: Wusste Winterkorn wirklich nichts? War er wirklich erst im Bilde, kurz bevor die Bombe in Wolfsburg platzte? So beteuert es der ehemalige VW-Chef.

VW-Manager haben kürzlich jedoch gegenüber US-Ermittlern als Kronzeugen ausgesagt, dass sie einen engen Vertrauten Winterkorns, Bernd Gottweis, bereits im Juli 2012 über die Abschalteinrichtung informiert hätten. Einer der Kronzeugen erklärte, er sei davon ausgegangen, dass Gottweis den Vorstandschef informieren werde. "Ich muss mit dem Chef sprechen", soll dieser schließlich im Frühjahr 2014 gesagt haben.

Winterkorn konnte bislang nicht nachgewiesen werden, dass er vor dem Spätsommer 2015 von den Abgastricks gewusst hat. Daran hat auch dieser Tag im Untersuchungsausschuss nichts geändert. Dies zu klären ist allerdings auch nicht seine primäre Aufgabe. Der Ausschuss soll vielmehr die millionenfachen Schadstoff-Manipulationen bei Dieselfahrzeugen von Volkswagen von Grund auf untersuchen und herausfinden, inwieweit die Bundesregierung von den Widersprüchen zwischen offiziellen Abgaswerten und den tatsächlichen Emissionen Kenntnis hatte - nicht nur bei VW, sondern auch bei anderen Herstellern.

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