Abgas-Skandal:Unverfroren

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Von der Ressource Boden wird immer mehr für Wohnraum, Industrie, Handel und Infrastruktur weggefressen. Das rächt sich. VW-Neuwagen im niedersächsischen Emden. (Foto: Ingo Wagner/dpa)

Während der künftige VW-Aufsichtsratschef von einer "existenzbedrohenden Krise" spricht, wird bekannt: Warnungen wurden ignoriert, Ingenieure gaben sich arrogant.

Von T. Fromm, M. Hägler und V. Kabisch, München/Stuttgart

Ziemlich genau zehn Jahre ist es her, da dachten sie bei Volkswagen, zu einem vernünftigen Preis einen "Clean Diesel" bauen zu können. Einen Motor, der nicht mehr dreckig ist und der so auch in den strengen USA zum Erfolg fährt. Deutsche Ingenieurskunst kann das, so die Vorgabe. Die VW-Techniker versuchten es über viele Monate. Aber sie mussten erkennen: Mit einfachen, mit herkömmlichen Mitteln war das nicht möglich.

Zwar hätte es Möglichkeiten gegeben. Doch die Kosten für eine saubere Lösung, einen Harnstoff-Katalysator, waren den Managern offenbar zu hoch. Diskutieren sei zwecklos gewesen, das Eingestehen des Scheiterns ebenso, erzählen Leute aus dem Konzern: "Wer aufgemuckt hat, ist niedergebrüllt worden." Das sei die Kultur von Ex-Chef Martin Winterkorn gewesen - und die der Techniker.

Solche Aussagen sind eine erste Spur bei der Suche nach einer Antwort auf die Frage, wie er überhaupt zustande kommen konnte, dieser Skandal, der relativ klein begann und nun von Tag zu Tag größer wird. So groß ist er inzwischen, dass Hans Dieter Pötsch, noch Finanzvorstand und für den Job des Aufsichtsratsvorsitzenden vorgesehen, am vergangenen Wochenende von einer "existenzbedrohenden Krise für den Konzern" sprach. Eine erste Antwort auf diese Frage könnte lauten: Es war eine Mischung aus Angst und Arroganz, die VW zum Verhängnis wurde.

Über Jahre saßen die für Clean Diesel verantwortlichen Manager zusammen, ein Ziel vor Augen. Manche Ingenieure hätten sich dabei eine eigene Welt erschaffen, sagt einer, der seit langem im Konzern arbeitet. "Niemand hatte den Schneid, darauf hinzuweisen, dass auch Ingenieure fehlbar sind und dass auch dort Recht und Gesetz gelten." Da kam also zur Arroganz die Angst.

Und so haben sie, irgendwann zwischen 2005 und 2008, angefangen, die Software im Motor umzuprogrammieren. Ziel: Die Testgeräte der besonders strengen US-Behörden sollten nicht erkennen, wie schwach die Abgasreinigung im regulären, dauerhaften Fahrbetrieb eigentlich ist. Dokumente, die der Süddeutschen Zeitung, NDR und WDR vorliegen, zeigen, dass US-Behörden mindestens seit 2008 an der Leistungsfähigkeit gezweifelt haben. In einer "Executive Order" fordert im Juni 2008 die kalifornische Umweltschutzbehörde CARB eine Erklärung, dass kein "Defeat Device", also Spezialsoftware, in die Motorsteuerung eingebaut sei. Andernfalls, so steht es in dem Schreiben, drohe der Entzug der Zulassung und eine Strafzahlung von 5000 Dollar pro Auto. Es bedarf wohl schon großer Unverfrorenheit, solch eine Warnung zu ignorieren.

Unverfroren waren die VW-Leute auch noch, als der Betrug den Behörden immer deutlicher auffiel. Die VW-Ingenieure taten die Ergebnisse stets als fehlerhaft ab, als die Umweltschutzbehörde CARB begann nachzufragen. "Sehr abweisend" seien die VW-Ingenieure gewesen, erinnert sich Stanley Young, Abgasspezialist der CARB. Ein ums andere Mal hätten die Leute von Volkswagen gesagt: "Ihr wisst nicht, wie man richtig misst!"

Diese Kommunikation fand dabei nicht, wie eigentlich üblich, per Brief oder Mail statt. Vielmehr trafen sich die Beamten und die Industrievertreter meist persönlich in einem Besprechungsraum neben dem Behörden-Testgelände nahe Los Angeles. Die Kalifornier haben sich dabei lange Zeit beschwichtigen lassen, ihre Messgeräte immer wieder neu justiert, die Einwände der Deutschen berücksichtigt - ja sie zweifelten an sich, wegen des harschen Auftretens der Ingenieure. Doch an den Messwerten änderte sich nichts. Erst am 3. September, bei einer, wie es heißt, "heftigen" Sitzung, gestanden die Ingenieure ein, die Software manipuliert zu haben, um die Ergebnisse der Abgas-Messungen zu fälschen.

Doch wer wusste zu welchem Zeitpunkt davon und wer verantwortete es? Fragen, die sich auch die Kontrolleure im VW-Aufsichtsrat stellen und die wohl dennoch frühestens in Monaten geklärt sein dürften. Denn schon bevor die internen Prüfer bei Volkswagen an die Arbeit gingen, war im Aufsichtsrat klar: Das allein wird nicht genügen, um diesen Skandal aufzuklären. Also holte man externe Spezialisten an Bord. In den USA arbeitet die Kanzlei Kirkland & Ellis für VW, in Deutschland durchforsten Experten der US-Kanzlei Jones Day die Büros, um nach Hinweisen auf die Hintergründe des Skandals zu suchen. Aus Konzernkreisen heißt es am Wochenende, das alles dürfte nicht reichen, man werde noch weitere externe Hilfe benötigen.

Die Anzeichen verdichten sich, dass auch hochrangige Menschen im Konzern von der Praxis gewusst haben. Der VW-Topmanager Heinz-Jakob Neußer etwa soll 2011 den Hinweis eines Motorentechnikers auf möglicherweise illegale Praktiken nicht weiter verfolgt haben. Das berichteten Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR vor einigen Tagen.

"Ihr wisst nicht, wie man richtig misst!"

Laut Bild am Sonntag sollen mehrere Ingenieure nun bei Befragungen zugegeben haben, die Manipulationssoftware 2008 installiert zu haben. Nur: auf wessen Anweisung? Dem Bericht nach sollen einige Ingenieure einen hochrangigen Manager belastet haben. Allerdings, so erfuhr die SZ aus Aufsichtsratskreisen, sei es noch zu früh, um einzelne Manager als Auftraggeber auszumachen. Dafür müssten zunächst die Berichte weiterer Prüfer ausgewertet werden, heißt es dort. "Vieles ist derzeit noch Kaffeesatzleserei."

© SZ vom 05.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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