Abgas-Skandal:Affären-Chronik bringt gesamten Audi-Vorstand in Bedrängnis

Rupert STADLER Vorstandsvorsitzender Einzelbild angeschnittenes Einzelmotiv posiert an einem AUDI

Unter Verdacht: Audi-Chef Rupert Stadler - hier bei der Jahrespressekonferenz in Ingolstadt - soll in der Abgasaffäre früh informiert gewesen sein.

(Foto: Sven Simon/imago)
  • Ein 28-seitiges Papier des in Untersuchungshaft sitzenden früheren Audi-Technikers Giovanni P. belastet den gesamten Audi-Vorstand schwer.
  • Demnach soll selbst Rupert Stadler detailliert über das Abgas-Problem informiert gewesen sein.
  • Der behauptet, nichts von den Vorgängen gewusst zu haben - genau wie Martin Winterkorn, der längst seinen Posten bei VW räumen musste.

Von Klaus Ott

Das Papier, das vielen Audi-Managern bis hin zu Vorstandschef Rupert Stadler zum Verhängnis werden könnte, ist 28 Seiten lang und enthält 44 Vorgänge. Es geht um Mails, Sitzungen und Vorträge, die bei dem Ingolstädter Autohersteller zwischen dem 8. März 2006 und dem 10. Juli 2014 verschickt worden sein beziehungsweise stattgefunden haben sollen. Und in denen viel von dem erwähnt oder besprochen worden sei, was jetzt bedeutsam ist für die Aufklärung der Abgasaffäre. Sollten die in der Zeittafel geschilderten Ereignisse tatsächlich so stattgefunden haben, dann wussten viele Beschäftigte bis hin zu Spitzenmanagern von den manipulierten Schadstoffmessungen. Und der von Stadler geleitete Vorstand kannte das Problem, dass die Abgasreinigung mit dem Harnstoff Adblue nicht richtig funktionierte und die strengen Grenzwerte in den USA nicht eingehalten werden konnten.

Das Papier liegt der Süddeutschen Zeitung, NDR und WDR vor. Der frühere Audi-Techniker Giovanni P., der in München-Stadelheim in Untersuchungshaft sitzt, und seine Verteidiger Walter Lechner und Klaus Schroth haben die Zeittafel der Staatsanwaltschaft München II übergeben. Die Strafverfolger ermitteln im Fall Audi wegen des Verdachts, 80 000 Käufer von Dieselfahrzeugen in den USA seien systematisch betrogen worden. Mit dem falschen Versprechen, saubere Autos geliefert zu bekommen. Der Titel des Papiers lautet: "Dokumente über Kenntnisse der Vorgesetzten von Herrn P."

Die 44 Vorgänge sollen belegen, dass der Ingenieur nur ein Rädchen im System gewesen sei. Bereits am 9. Oktober 2006 soll ein leitender Motorenentwickler bei Audi mehrere Führungskräfte über das Grundproblem bei Adblue informiert haben. Darunter auch den damaligen Audi-Chef Martin Winterkorn, der wenig später von dem Ingolstädter Unternehmen mit den vier Ringen als Markenzeichen zum Mutterkonzern Volkswagen nach Wolfsburg wechselte und dort den Vorstandsvorsitz übernahm. Aufgrund des Vortrags sei Winterkorn, einem weiteren langjährigen Spitzenmanager im VW-Konzern und anderen Führungskräften bereits damals klar gewesen, dass die geplanten Adblue-Tanks zu klein ausgefallen seien für eine gründliche Abgasreinigung.

Die Tanks hätten in Europa generell nicht und in den USA nicht in allen Fällen ausgereicht. So steht es in dem Dokument gleich auf Blatt zwei. Adblue, das war das Zauberwort für die Strategie, den Ausstoß von Stickoxiden zu senken. Und mit "Clean Diesel" die Automärkte zu erobern, insbesondere in den USA. Adblue ist ein Gemisch aus künstlichem Harnstoff und Wasser, das die Stickoxide neutralisiert. Den Kunden sollte es aber erspart werden, den klebrigen Harnstoff selbst nachtanken zu müssen. Das sollte bei den regelmäßigen Inspektionen der Fahrzeuge das Werkstattpersonal übernehmen. Die Tanks waren aber zu klein, um genügend Harnstoff mitzunehmen.

Also installierten Audi-Techniker eine verbotene Software, ein sogenanntes Defeat Device, mit der die Abgasreinigung im Straßenverkehr weitgehend ausgeschaltet wurde. Die Grenzwerte wurden nur bei den Messungen der Behörden auf dem Prüfstand eingehalten. Das sparte Adblue, kleine Tanks reichten.

Der im Gefängnis sitzende P. will schon am 16. Oktober 2007 mehreren Audi-Führungskräften mitgeteilt haben, dass der Touareg von VW in den USA nicht in Ordnung sei. Und am 14. April 2008 sollen zwei langjährige Spitzenmanager des VW-Konzerns, die auch bei Audi zugange waren, verfängliche Mails bekommen haben. In keinem Fall dürfe beim Touareg jene Warnlampe aufleuchten, die den Fahrer zum Nachtanken von Adblue auffordere. Dies wäre eine Katastrophe für die Clean-Diesel-Strategie in den USA.

Ermittlungen gegen den Audi-Vorstand? Bislang noch nicht

Es sei festgelegt worden, dass die Warnlampe erst nach 11 500 und nicht schon nach 10 000 Meilen blinke. Mit der Folge, dass weniger Adblue verbraucht werden durfte. Ganz egal, ob die Abgasreinigung noch funktionierte oder nicht. So geht das aus dem Papier hervor, in dem die beiden langjährigen Spitzenmanager von Audi und VW schwer belastet werden. Die SZ kennt ihre Namen, nennt sie aber einstweilen nicht, um eventuelle Ermittlungen nicht zu gefährden.

Die Staatsanwaltschaft München II teilte auf Anfrage mit, die Vernehmungen von P. seien noch nicht abgeschlossen. "Wir prüfen die Angaben." Bisher werde nicht gegen heutige oder frühere Vorstandsmitglieder von Audi ermittelt. Also auch nicht gegen den ehemaligen Entwicklungsvorstand Stefan Knirsch, der in der Zeittafel ebenfalls vorkommt. Er soll am 11. Oktober 2013 mit einer schriftlichen "Risikoeinschätzung" über die Gesetzesverstöße mit dem "Defeat Device" in den USA informiert worden sein; er soll es aber unterlassen haben, die Behörden zu informieren. Knirsch saß damals noch nicht im Audi-Vorstand, in den er später aufrückte, bevor er wegen seiner offenkundigen Verwicklung in die Abgasaffäre gehen musste.

Dem Papier zufolge soll nicht nur Knirsch, sondern der gesamte Audi-Vorstand in die Affäre verwickelt sein. In mehreren Arbeitskreisen sei der Vorstand einschließlich Audi-Chef Stadler wiederholt über das Adblue-Problem informiert worden. So am 1. April 2010 und am 11. Juni 2012. Bei letzterem Termin sei dem Audi-Vorstand gesagt worden, dass ein regelmäßiges Nachtanken von Adblue notwendig wäre. Dass Autobesitzer den klebrigen Harnstoff selbst nachfüllen konnten, sei aber erst am 25. Juli 2014 vom Vorstand genehmigt worden, und dann auch nur für neue Fahrzeuge.

Ob diese Vorwürfe Anlass geben, gegen den Vorstand zu ermitteln, bleibt abzuwarten. Es könnte aber für ein Bußgeld gegen Stadler & Co. reichen, sofern die Vorstandsmitglieder sich nicht ausreichend gekümmert und somit ihre Amtspflichten verletzt hätten. Das wiederum könnte zu Schadenersatzforderungen von Audi führen. Ein Bußgeldverfahren gegen den Vorstand läuft bereits; die Staatsanwaltschaft hat aber noch keinen Manager namentlich eingetragen. Stadler hat wiederholt erklärt, er habe von den manipulierten Schadstoffmessungen nichts gewusst. Das sagt auch Winterkorn, der wegen der Abgasaffäre als Vorstandschef bei VW gehen musste.

SZ, NDR und WDR haben Audi und Volkswagen die Kerninhalte des 28-Seiten-Papiers geschildert. Volkswagen erklärte dazu: "Mit Verweis auf laufende Ermittlungen kommentieren wir die von Ihnen genannten Informationen nicht."

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