Phänomen Steuersünder:Ende der Schonzeit

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FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß: Es gibt keine Kavaliere mehr und also auch kein Kavaliersdelikt. (Foto: dpa)

Lange wurde die Steuerhinterziehung als Kavaliersdelikt schöngeredet. Doch die soziale Akzeptanz für diese Form von Betrug schwindet. Damit verlieren auch die Argumente zur Rechtfertigung der Steuerhinterziehung ihre Kraft. Und das ist gut so.

Ein Kommentar von Marc Beise

Eigentlich schade, dass das Unwort des Jahres erst wieder 2014 bestimmt wird. Aktuell würde sich anbieten: der Steuersünder. Ein allgegenwärtiger Typ, der aber soeben eine Metamorphose erlebt. Bis vor Kurzem war er ein kleiner Sünder. Einer, der sich etwas Lässliches hat zuschulden kommen lassen. Etwas, über das man mit einem Augenzwinkern hinweggehen konnte, jedenfalls unter seinesgleichen.

Wenn der Büromensch in der Steuererklärung einen Fahrweg in die Firma geltend macht, obwohl er regelmäßig vom Kollegen mitgenommen wird, konnte er das beim Mittagstisch ruhig bekennen. Wissend nickten die Kollegen: "Das machen doch alle." Alle - auch so ein Wort aus der guten alten Zeit des Steuersünders. Wenn der Selbständige das Abendessen mit seiner Frau dem Fiskus als Geschäftsessen mit Dritten deklarierte, konnte er darüber in der Rotary-Runde reden. Klar, wir doch auch.

"Das war sein Ausgleich"

Wenn der Unternehmer Geld in der Schweiz parkte, musste er sich unter Kollegen dafür nicht schämen: kommt vor. Und das Ganze unabhängig von der Frage, ob die anderen es ebenso wild trieben oder nicht. Das war das eigentlich Spannende am Steuersünder: Er wurde nicht nur von anderen Sündern exkulpiert, sondern auch von den Ehrlichen. Ein "Kavaliersdelikt" eben - noch so ein Wort aus der guten alten Zeit.

Im Fall des Uli Hoeneß versuchen seine Fußballfreunde, den Schein auf rührende Art und Weise aufrechtzuerhalten. "Er hat mit Aktien gehandelt, das war sein Ausgleich. Er ist ein Arbeitstier, das war sein Spielzeug. Jetzt hat er es ein bisschen übertrieben und vergessen, Steuern abzuführen", sagt Kaiser Franz. "Der Uli ist kein schlechter Kerl. Er ist wirklich ein wunderbarer Mensch. Er ist kein Betrüger." Seltsam abgestanden wirken diese Sätze, wie aus einer anderen Zeit.

Bloß keine Stigmatisierung

Es hat sich nämlich etwas geändert im Umfeld des Steuersünders, und was das ist, das kann man ziemlich genau benennen: Die soziale Akzeptanz schwindet. Es gibt keine Kavaliere mehr und also auch kein Kavaliersdelikt. Das machen doch alle? Zählt nicht mehr. Und der Steuersünder ist eben auch kein verniedlichter Sünder mehr wie der Knöllchenparker, der Vielesser und vielleicht der Fremdgeher. Mit dieser Verschiebung der Wertigkeit verlieren auch die alten Argumente zur Rechtfertigung der kleinen und großen Steuerhinterziehung ihre zwar nicht rechtliche, aber für viele doch moralisch legitimierende Kraft. Steuersündern wurde bisher ja vor allem dreierlei Rechtfertigungen zugebilligt, die aber jedenfalls bei den Vermögenden zunehmend an Strahlkraft verlieren:

Zum Ersten der Steuerspartrieb: Er soll nach einem gerne zitierten Bonmot bei manchen Deutschen stärker ausgeprägt sein als der Sexualtrieb. Dahinter steckte die Annahme, dass Steuerbetrug eine zutiefst private Angelegenheit ist. Heute wird zunehmend anders und in einer gemeinschaftlichen Dimension gedacht. Nicht zuletzt die Euro-Krise hat den Deutschen gezeigt, was sie an ihrem Gemeinwesen haben. Wen man schätzt, den bescheißt man nicht.

Zum Zweiten war da das Notwehrargument: Wir zahlen doch schon genug Steuern, da werden wir uns doch wohl ein bisschen was zurückholen können. Obwohl die Steuer- und Abgabenlast so hoch ist wie nie, hat rätselhafterweise diese Sichtweise an Bedeutung verloren, bezeichnenderweise setzt sich ja nicht mal mehr die FDP für Steuersenkungen ein.

Und zum Dritten schwindet die Sozialadäquanz, das schon erwähnte Es-machen-doch-alle-Argument. Es machen eben nicht mehr alle - aus den genannten Gründen und auch weil das Risiko gewachsen ist aufzufliegen. Neue Kommunikationsmittel, Steuer-CDs, Offshore-Leaks verängstigen Vermögende, ihre Banken und selbst die Heimatländer dieser Banken. Plötzlich geht etwas im Kampf gegen Steuerhinterzieher, und die Staaten nutzen die neuen Möglichkeiten, unterstützt von den Medien.

Das alles ist gut so - solange es nicht dazu führt, dass Geld und Reichtum insgesamt stigmatisiert werden. Einkommensunterschiede, Auf- und Abstieg, Arm und Reich, Unsicherheit und auch Ungerechtigkeit, all das ist einer freien Gesellschaft immanent. Es ist tolerierbar, solange es Chancengerechtigkeit gibt und der soziale Ausgleich funktioniert. Diesem marktwirtschaftlichen Modell die Legitimität zu erhalten, wird jedoch nur gelingen, wenn die Gewinner des Systems nicht allein um ihre Privilegien besorgt sind, sondern wenn sie auch ihre Verantwortung kennen. Wenn sie sich nicht nur als Funktionseliten begreifen, sondern auch als Verantwortungseliten. Die Steuersünder-Debatte trägt dazu bei.

© SZ vom 27.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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