Wie Victoria Beckham Karriere macht:Von der Trash-Königin in die erste Liga der Mode-Designer

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Es gab eine Zeit, da trug niemand die Mode von Victoria Beckham. Schlimmer noch: Der Ruf des früheren Spice Girls war so schlecht, dass viele Designer um den Ruf ihrer Marke fürchteten, wenn sie von Victoria Beckham getragen wurde. Das hat sich nun grundlegend geändert - auf dem roten Teppich bei den Oscars werden am Sonntag etliche Roben der Marke Victoria Beckham zu sehen sein.

Lena Jakat

Ein Kleid, dazu geeignet die Ehre jedes Zebras zu beschmutzen: Seltsam schimmernd wie eine Wachstuchtischdecke, zieren es schwarzweiße Streifen. Das Dekolleté wird nur notdürftig von einem neonpinken Büstenhalter zusammengehalten. Getragen wurde dieses Kleid von Victoria Beckham, bei den MTV Movie Awards 2007. Es löste reichlich Kopfschütteln aus, Cameron Diaz soll regelrecht empört gewesen sein.

Victoria Beckham im Februar 2012 mit Hamish Bowles (li. von ihr) und Anna Wintour (re. von ihr) von der renommierten Modezeitschrift Vogue: Noch vor Jahren wäre ein solches Bild undenkbar gewesen. (Foto: REUTERS)

Doch das hat sich grundlegend geändert, heute wird der Modesinn der 37-Jährigen mit zustimmendem Nicken bedacht. Bei der Oscar-Verleihung am kommenden Sonntag wird sie gleich mehrfach auf dem Teppich des Kodak Theatre in L.A. präsent sein - mit ihren eigenen Entwürfen. Charlize Theron, Gwyneth Paltrow und Cameron Diaz haben angekündigt, in Beckham-Roben zu erscheinen. "Victorias Kleidung ist erstaunlich", sagt Diaz heute, knapp fünf Jahre später, über die Designerin. "Ich hatte nie zuvor ein Kleidungsstück an, das so gut passt."

Die Gattin von Fußballstar David Beckham hat geschafft, woran viele vor ihr scheiterten: Als Ex-Popsternchen und Spielerfrau in der Modewelt nicht nur Erfolg zu haben, sondern auch ernst genommen zu werden. Ihre exklusiven Kreationen verkaufen sich bestens und werden von Kritikern hochgelobt: Auf den großen internationalen Modewochen posiert die gefürchtete Vogue-Chefin Anna Wintour mit Victoria Beckham für die Fotografen. Sie sagt: "Es war ein Fehler, diese Frau zu unterschätzen." Jim Golf, Chef des New Yorker Edelkaufhauses Bergdorf-Goodman hält sie für eine "äußerst talentierte Designerin" und Roberto Cavalli meint gar, sie habe "Modesinn in ihrer DNS".

Im November wurde Beckhams Label, das den Namen seiner Inhaberin trägt, mit dem British Fashion Award ausgezeichnet. Wenn es noch eines Beweis bedurfte, dass Victoria Beckham inzwischen fest in die erste Liga der Designer gehört, dann war er damit erbracht.

Vor wenigen Jahren noch hätten das viele für undenkbar gehalten. Das Zebra-Minikleid war es unter anderem wohl auch, das Victoria 2007 den Titel der am schlechtesten gekleideten Frau einbrachte. Modekritiker Richard Blackwell, der die gefürchtete Ehrung bis zu seinem Tod im darauffolgenden Jahr verteilte, begründete seine Wahl gewohnt bissig: Victoria falle vor allem durch "one skinny-mini monstrosity after another" auf, ob Hotpants, kurzes Glitzerkleidchen - oder eben Mini im Animal-Print.

Es gab eine Zeit, da nicht nur niemand Beckham trug, viele namhafte Designer hofften gar, nie von ihr getragen zu werden. Der britische Independent kommentierte ihr literarisches Debüt Hair, Heels and Everything in Between, ein Buch voller Stylingtipps, mit den Worten: "Ausgerechnet sie! Wenn eine Frau einen Look untragbar machen kann, dann Victoria Beckham."

Und Tom Ford, damals Designer im hohen Hause Gucci, soll entsetzt bei seiner Londoner Agentur angerufen haben, nachdem das Ehepaar Beckham ungefragt im Lack-und-Leder-Outfit der Nobelmarke posiert hatte. Überliefert ist auch Fords verzweifelte Aufforderung: "Haltet sie auf!"

Königin des Massengeschmacks

Zwar hatte Mrs. Beckham damals schon angefangen, unter ihrem Namen Sonnenbrillen, Taschen und Jeans zu vermarkten. Letztere brachte die umtriebige Geschäftsfrau zu Preisen ab 300 Dollar 2004 zunächst in Kooperation mit dem Label Rock&Republic heraus, dann unter dem Dach ihrer eigenen Marke, die damals noch als dVb firmierte - David Victoria Beckham.

Doch damit war sie nur eine unter vielen Berühmtheiten mit vor sich hin dümpelnden Karrieren, die versuchten, aus ihrem Namen Kapital zu schlagen: Ob J.Lo, Justin Timberlake, Gwen Stefani, der Kardashian-Clan und ungezählte andere: In den seltensten Fällen ist der kommerzielle Erfolg langfristiger Natur, so gut wie nie allerdings vom Wohlwollen der Modekritiker begleitet.

Das Logo des Beckham-Konzerns war damals ebenso wie die Gesäßtaschen der teuren Hosen mit einer dicken Krone verziert, vielleicht auch eine Reminiszenz an die prunkvolle Trauung des britischen Promipaares: Auf einem irischen Schloss, samt Krone, Krönchen und Thron hatten der Fußballer und das Castingband-Mitglied 1999 geheiratet.

So war es nur konsequent, dass die Zeit das Paar 2006 zur "neuen Königsfamilie der britischen working class" ausrief, und Victoria zur Regentin über den "Modegeschmack der Massen" deklarierte - beziehungsweise degradierte. Das Anwesen der Trash-Königin und ihres Gatten (nicht nur die Boulevardpresse schrieb damals über die beiden, ihr Reichtum werde nur noch durch den Mangel an Geschmack übertroffen) wurde folgerichtig in Beckingham Palace umbenannt.

Zwar warf das Familien-Imperium schon damals Unsummen ab - doch während das Glamourpaar in den Illustrierten gefeiert wurde, straften Modekritiker die Spielerfrau aus der Londoner Vorstadt mit Nichtbeachtung.

"Free Becks - keep Posh"

Mit dem Umzug nach Los Angeles 2007 sollte alles anders werden - doch danach sah es zunächst nicht aus: "Zieht euch was Anständiges an", gab der Guardian den Beckhams noch mit auf den Weg, während die US-Designerin Sheila Cameron den Slogan "Free Becks - keep Posh" auf T-Shirts drucken ließ, nicht eben ein herzlicher Empfang.

Der Fernsehsender NBC machte aus der Übersiedlung der Familie in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten eine Reality-Show. Und dann war da noch das legendäre Zebrakleid bei den MTV Movie Awards. Der Ausgang aus dem selbstverschuldeten Trash-Status sieht anders aus.

Doch Mrs. Beckham ließ nicht locker: Sie freundete sich mit Tom Cruise und Katie Holmes an, beschränkte ihre Haarpracht auf eine minimalistische Kurzhaarfrisur und arbeitete weiter an ihrer Akzeptanz durch die Modewelt. Anfang 2009 war das Eis endlich gebrochen: Im New Yorker Traditionshotel "Waldorf Astoria" stellte sie ihre zweite Damen-Kollektion vor, 23 ausgewählte Stücke in unkonventionellen, strengen Schnitten und klaren Farben. "Sie hat es wirklich geschafft", lautete ein fast ungläubiges Urteil unter vielen positiven Reaktionen. "In dieser Kollektion gibt es viele Highlights für den roten Teppich", schrieb AP-Modechefin Lisa Hayes.

Längst musste der Gatte aus dem Namen des Konzerns weichen, der nun schlicht Victoria Beckham heißt. Die Krone ist verschwunden - auch von den Jeans, die die vierfache Mutter inzwischen auch wieder unter eigenem Namen vertreibt. Insgesamt verkauft der frühere Popstar 5000 Kleidungsstücke jeder Kollektion über das Internet und in 300 Läden weltweit, 70 Millionen Euro soll sie damit 2011 umgesetzt haben.

Und der Erfolg ist nicht nur materieller Natur: Victoria Beckham wird endlich ernst genommen. "Menschen, die ich respektiere, machen mir Komplimente zu meiner Mode. Das ist aufregender als alles, was ich als Spice Girl je erlebt habe", sagte Beckham in einem Interview mit der Zeitschrift Marie Claire. "Ich bin selbstbewusst in dem, was ich jetzt mache, anders als früher. Ich wäre sowieso nie zur Konkurrenz für Mariah Carey geworden."

In der Modewelt dagegen ist sie inzwischen zur durchaus ernstzunehmenden Konkurrentin für die ganz großen Namen geworden. Das Defilee vor der Verleihung der Academy Awards am kommenden Sonntag wird das einmal mehr belegen.

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