Michelin-Guide:Junge, wilde Sterne-Köche

Lesezeit: 4 min

Sie haben beide einen Stern dazu gewonnen: Der Österreicher Sebastian Frank, 33, vom Berliner Restaurant 'Horvath' und Micha Schäfer, 28, vom Restaurant 'Nobelhart und Schmutzig'. (Foto: dpa)

Lange galt die deutsche Spitzengastronomie als steif und süddeutsch. Nun ist sie plötzlich entspannt und erobert den Norden.

Von Verena Mayer und Marten Rolff

Wer etwas über deutsche Gourmetgeschichte lernen will, der sollte sich am besten in zwei Restaurants begeben: Das erste ist das "Adler" in Häusern im Südschwarzwald, das als einziges Restaurant der Republik seit 50 Jahren einen Michelin-Stern hält.

Das zweite ist das "Horváth" in Berlin, das am Donnerstag - nach bemerkenswert kurzer Zeit und als sechstes Lokal der Hauptstadt - mit einem zweiten Stern ausgezeichnet wurde.

Badische Haute Cuisine und Kreuzberger In-Restaurant

Einerseits also das badische, französisch inspirierte Gourmethotel, wo bis heute Hummer und bretonisches Lamm auf der Karte stehen. Eine klassische Haute Cuisine, mit der Feinschmeckerdeutschland erwachsen wurde. Serviert in einer Region, die bis heute die kulinarische Hochburg des Landes geblieben ist.

Und in Berlin dann ein erst 33-jähriger Küchenchef, der an der Schnittstelle zwischen Neukölln und dem früheren Autonomen-Kiez Kreuzberg 36 Weißkohl vom Holzkohlegrill im dunklen Sud aus Holunder und Schinkenkaramell wälzt. Das ist so das Kräftefeld.

Und in der Tat: Wer hätte 1966 im Südschwarzwald geahnt, dass irgendwann einmal die New York Times anreisen würde, um über die köstlichen Neuerungen an der Currywurststraße im Zentrum der brandenburgischen Steppe zu berichten? Es hat sich also viel getan in Gourmetdeutschland. Und Anlass für die kulinarische Rückschau (und Bestandsaufnahme) ist, wie so oft, ein Geburtstag: 50 Jahre alt wird die deutsche Ausgabe des Guide Michelin in diesem Jahr.

"Michelin"-Guide 2016
:Das sind Deutschlands beste Restaurants

Die Spitzengastronomie in Berlin boomt: Die Hauptstadt hat fünf Sterne-Restaurants hinzugewonnen. In Deutschland gibt es so viele Sterneköche wie nie zuvor - das zeigt der "Michelin"-Guide 2016.

Von Jana Stegemann

Beim Gastroführer war man am Donnerstag in Sektlaune. Da mag der große Bruder aus Frankreich gut doppelt so alt sein, bei der Berliner Feier der mit den Jahren erstaunlich locker gewordenen Karlsruher Restaurant-Inspektoren gab man sich wie 30.

Dazu passte die - soll man sagen Party-Location? -, eine Teppichfabrik in einem Stück Hauptstadt-Niemandsland, wo am Donnerstag die besten Restaurants für 2016 bekannt gegeben wurden. Der Ort, der selbst für Berliner Verhältnisse extrem heruntergerockt ist, sieht aus wie eine Mischung aus illegalem Club und besetztem Abbruchhaus, und der erste Gedanke, den man hat, während man das halb verfallene Treppenhaus hoch stiefelt, ist, dass die Hipsterisierung der Spitzengastronomie selbst vor Orten nicht halt macht, an denen qua Klischee nur Plattenpräsentationen der Indie-Szene stattfinden dürften.

Andererseits ist es die Aufgabe guter Küche, dem Gast neue Welten zu eröffnen. Das Neue ist derzeit nun mal jung und wild, und weil wir in Berlin sind, ist es natürlich noch viel wilder.

Gleich sechs neue Sterne für Berliner Restaurants

Gute Laune soll man nicht schlechtreden, schließlich ist die Spitzenküche so breit aufgestellt wie nie: Gleich vier neue Zweisterne-Restaurants gibt es (bei drei gestrichenen Zweisterne-Häusern) sowie 26 neue Lokale mit einem Stern (bei 15 Streichungen). Damit hat Deutschland nun insgesamt 290 Sterne-Adressen, Rekord, einmal wieder. Nur Frankreich hat mehr.

Und so sind es auch die Worte "kreativ" und "Energie", die man an diesem Novembertag ständig von Michael Ellis hört, dem internationalen Direktor des Guide Michelin. Deutschland sei derzeit kulinarisch eines der aufregendsten Länder, "die ganze Welt will wissen, was eure Geheimnisse sind".

Das Urteil mag angesichts der Klage vieler Spitzenköche, mit der internationalen Positionierung klappe es leider noch nicht optimal, ein wenig zu euphorisch geraten sein. Aber wie gesagt, bei Geburtstagen darf man euphorisch werden.

Gleich sechs neue Sterne gab es für Berlin, das - und hier wäre die zweite wichtige Botschaft des Tages - seinen Anspruch auf den Titel Gourmethauptstadt des Landes noch einmal ausgebaut hat, mit nun 20 vom Michelin ausgezeichneten Restaurants.

Unter den Geehrten ist auch Micha Schäfer, 28, der im "Nobelhart & Schmutzig" in der Küche steht, ein Restaurant, um das im vergangenen Jahr ein riesiger Wirbel veranstaltet wurde.

Schäfer ist - genau wie sein Geschäftspartner Billy Wagner - schon optisch ein Symbol für die jungen Wilden, die derzeit überall am Werk sind. Er trägt Vollbart und Glatze, die Michelin-Kochjacke, in die jeder Preisträger schlüpfen darf, lässt er offen.

Auch sein Lokal sieht er eher als Laden denn als Gourmetheimstatt. "Brutal lokal" lautet das Motto, und Schäfer sind die Gäste am liebsten, die "mein Essen verstehen". Das kommt ausschließlich aus Berlin und Umgebung, weshalb man im "Nobelhart & Schmutzig" weder Olivenöl, Zitrone noch Pfeffer findet.

Wenn es scharf sein soll, nimmt Schäfer Sprossen, Rettich oder Bohnenkraut. Früher ist er noch selbst durch Parks und Gärten gezogen und hat Kräuter gesucht. Heute hat er dafür Lieferanten.

Das kann man nun politisch verstehen, wie es oft getan wird. Dass es auch in der Spitzenküche gerade darum geht, sich auf das Wesentliche zu beschränken, Mittel nicht zu vergeuden, sondern neue zu schaffen. Schäfer selbst sagt, ihn treibe "keine ethische Mission, sondern eher der sportliche Ehrgeiz, mit dem Wenigen etwas Gutes hinzubekommen".

Er wirkt nicht wie ein Koch, eher wie ein Clubgänger, den so schnell nichts vom Hocker reißen kann, und das ist wahrscheinlich auch die interessanteste Entwicklung: Die meisten der neuen Spitzenköche sind nicht nur erstaunlich jung, sondern auch bemerkenswert unbefangen. Vor allem, wenn es um Berlin geht.

Der eigentliche Star des Geburtstages allerdings kommt aus Hamburg, das gleich vier neue Sterne hat, womit ein bereits älterer Trend sich weiter verstärkt: Es ist vor allem die Spitzengastronomie in den großen Städten, die punktet.

Kevin Fehling

1 / 3
(Foto: dpa)

Deutschlands jüngster Drei-Sterne-Koch Kevin Fehling, 38, zog im Sommer vom Travemünder Hotelrestaurant "La Belle Epoque" in die Hamburger Hafencity, wo er das Restaurant "The Table" eröffnete. Seine Sterne hat er gehalten. Hamburg hat nun als erste Großstadt ein Top-Lokal.

Juan Amador

2 / 3
(Foto: dpa)

Der "spanische Schwabe" Juan Amador, 46, gehörte sieben Jahre lang zur Riege der deutschen Drei-Sterne-Köche. Im Mai schloss er sein "Amador" in Mannheim, verlor die Sterne, und zog nach Wien. Den Plan, dort ein neues Lokal zu eröffnen, gab er "aus privaten Gründen" auf.

Sebastian Frank

3 / 3
(Foto: AFP)

Der Österreicher Sebastian Frank, 33, erkochte sich im Kreuzberger "Horváth" den zweiten Stern. Als sechster Koch mit dieser Wertung unterstrich er das neue Image Berlins als junge Gourmethauptstadt. Spitzenküche nahe des Kottbusser Tor? Noch vor zehn Jahren undenkbar.

Kevin Fehling ist in diesem Jahr von Travemünde in die Hafencity gezogen und hat dort das Restaurant "The Table" eröffnet. Seine drei Sterne hat der erst 38-Jährige gehalten, "so etwas erleben nur wenige", sagt Fehling auf dem Festakt in Berlin beglückt.

Der Name des in der Szene ebenfalls schon viel beraunten Lokals ist auch das Konzept: Alle Gäste sitzen an einem langen Tisch. Die neue Lockerheit, sie ist das große neue Ziel der lange etwas strengen deutschen Spitzengastronomie, die laut Michelin-Rückschau vor 50 Jahren bei Schinkenröllchen am Spieß und Ente in der Melone startete.

Deutschland hat zehn Drei-Sterne-Häuser

Viele der gestrichenen Sterne sind in diesem Jahr Schließungen geschuldet. Drei-Sterne-Koch Juan Amador zog von Mannheim nach Wien und möchte wohl erst einmal Privatier sein. Damit hat Deutschland nur noch zehn Drei-Sterne-Häuser.

Schließen mussten auch die Zweisterne-Lokale "La Mer" auf Sylt sowie das "Lerbach" in Bergisch-Gladbach. Sebastian Zier kocht nun in St. Gallen. Und auch Nils Henkel dürfte bald wieder da sein, er nimmt eine kreative Auszeit.

Gleich vier neue Sterne hat auch Frankfurt am Main, wo Andreas Krolik nun im "Lafleur" am Herd steht und einen zweiten Stern erkocht hat. Mit der gleichen Bewertung wird nun auch das "Schanz" in Piesport geführt.

Wie das jedes Jahr wachsende Pensum bewältigt und bezahlt wird, all diese aufregenden, jungen Küchen regelmäßig und gewissenhaft zu testen, bleibt das Partygeheimnis des Michelin.

Die Inspektoren, so heißt es, hätten internationale Unterstützung und testeten im Gegenzug im Ausland. Dabei sein ist alles. Es gibt viel zu essen. Die neue App spuckt auf Wunsch Tipps aus einem Pool von 13 000 Lokalen aus. Auch das dürfte ein neuer Rekord sein.

© SZ vom 13.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Interviewbuch
:Wenn Spitzenköche sich von ihren Frauen bekochen lassen

Liebe geht durch den Magen: Stephanie Bräuer hat Küchenchefs und ihre Partnerinnen interviewt. Sie stößt auf männliche Eigenheiten und erfährt, wie die Privatküchen der Spitzenköche aussehen.

Von Franz Kotteder

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: