Getränke mit und ohne Alkohol:Edler Schaumwein von der Streuobstwiese

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Auf der Schwäbischen Alb macht Jörg Geiger aus alten Sorten von Äpfeln und Birnen prickelnde Getränke. Die sind so beliebt, dass er in alle Welt liefern muss.

Von Patricia Bröhm

Alles begann mit dem Birnbaum von Oma Margarethe. Er steht auf einer alten Streuobstwiese oberhalb von Schlat, rund 150 Jahre ist er alt. Der Feuerbrand hat ihn gezeichnet, eine zerstörerische Pflanzenkrankheit, sie kostete ihn mehr als zwei Drittel seiner einstigen Größe. Jörg Geiger aber bedeutet der knorrige Alte viel. Der Obstwinzer rettete ihn vor der Motorsäge, als er schon durch ein weißes Kreuz auf dem Stamm zum Abholzen freigegeben war. Durch eine aufwendige Bodenbehandlung brachte er ihn wieder zum Blühen. Der Baum verdankt Geiger sein Leben, und Geiger verdankt dem Baum, den er von der Großmutter erbte, ein höchst erfolgreiches Geschäftsmodell. Denn der Baum trägt Früchte der alten schwäbischen Sorte Champagner Bratbirne und ist einer von nur noch 500 seiner Art.

Jörg Geiger war gerade mal Anfang 20, als er 1993 das Gasthaus und die Brennerei seiner Eltern in Schlat, einer 1600-Einwohner-Gemeinde am Nordrand der Schwäbischen Alb, übernahm. Die alten Sorten und das Thema Obstwein waren damals völlig aus der Mode gekommen. "Obstwein ist das, was Kopfweh macht", sagten die Leute im Dorf. Doch Geiger, gelernter Koch und Hotelbetriebswirt, war überzeugt: "Die alten Bäume haben Zukunft."

Ein Duft "wie der beste Champagner", hieß es 1797

Schon sein Großvater hatte aus der Champagner Bratbirne, eine der ältesten Sorten in Württemberg, nicht nur Brand, sondern auch Schaumwein für den Hausgebrauch gemacht. In seiner Brennerei, wo es nach Gewürzen und Gärung riecht, zieht Geiger ein altes Buch mit vergilbten Seiten aus dem Regal, das "Handbuch über Obstbaumzucht und Obstlehre" von 1797. Darin beschreibt der Pfarrer und Pomologe J.L. Christ die Sorte als "so streng und rauh, dass sie kein Vieh genießen mag". Tatsächlich eignet sich die pummelige Birne mit der gelbgrünen Schale wegen ihrer intensiven Gerbstoffe nicht zum Essen, umso mehr aber zur Schaumweinbereitung. "Der Duft steigt in die Nase wie der beste Champagner", schwärmte schon Christ.

Vor knapp 20 Jahren kelterte Geiger seinen ersten Schaumwein aus diesen Birnen. Bis heute geht er dabei genauso vor wie die großen Champagnerhäuser in Reims: er lässt den abgefüllten Wein ein zweites Mal in der Flasche gären, dabei entsteht die Kohlensäure. Mindestens neun Monate dürfen die Flaschen dann im Keller ruhen, bevor sie in den Verkauf kommen. Das Ergebnis ist ein fein prickelnder Schaumwein, der nach reifen Birnen und blühenden Wiesen duftet und am Gaumen mit einer gut eingebundenen Säure verklingt.

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"Die alten Sorten haben mehr Aroma, mehr Säure und entwickeln mehr Alkohol als moderne Züchtungen", sagt Geiger. Alles Voraussetzungen für ein herausragendes Produkt. Im Keller seines Gasthauses Zum Lamm in Schlat entstand mit der Zeit ein ganzes Sortiment an hochkarätigen Schaumweinen, die bald ihren Weg in die Regale von Anbietern wie etwa das Münchner Delikatessenhaus Dallmayr fanden. Da ist die füllige Karcherbirne, die leicht nussig schmeckt, der Börtlinger Weinapfel mit frischen Apfelaromen und floralen Noten und schließlich die kleine Mostbirne mit dem klangvollen Namen "Wildling von Einsiedel", deren Wein nach Honig und Mirabellen duftet.

Die uralten Streuobstwiesen sind bedroht

Auch weil Geiger das besondere Potenzial dieser alten Sorten erkannt hat, kämpft er für die Rettung der traditionellen Streuobstwiesen, die am Rand der Schwäbischen Alb bis heute die Landschaft prägen. Auf rund 30 000 Hektar stehen noch die oft mehr als hundert Jahre alten Bäume. Doch sie sind bedroht, weil sie nur geringe Erträge bringen und die wenigsten Bauern sich noch die Arbeit machen, das Obst von Hand zu lesen. "Rund 500 alte Sorten existieren noch", sagt Geiger, "sie sind perfekt an das jeweilige Mikroklima angepasst."

In seiner Manufaktur verarbeitet er 40 davon, nicht nur zu Schaumwein im Champagnerstil, sondern auch zu Secco oder schwäbischem Cidre, zu Süßwein oder sortenreinen Bränden aus Birnen wie Stuttgarter Gaishirtle oder Nägelesbirne. 600 Landwirte und "Gütlesbesitzer" (die manchmal nur ein oder zwei Bäume ihr eigen nennen), sammeln nun für ihn ihr Obst auf, für das er ein Vielfaches des üblichen Marktpreises bezahlt: "Nur wenn die Streuobstwiesen auch wirtschaftlich rentabel sind, ist ihr Überleben gesichert", sagt Geiger.

Oberhalb von Schlat, am sogenannten Wasserberg, hat Geiger das Natur- und Vogelschutzprojekt "Life Plus" gestartet. Der Blick reicht von hier weit übers Land, am Horizont zeichnet sich die Burg Hohenstaufen ab. Eine Idylle wie gemalt, alte Obstgärten, Wäldchen, die Wiesen sind gelb von Löwenzahn, dazwischen blüht in zartrosa Tupfern das Wiesenschaumkraut. Zwischen den alten Bäumen hat Geiger mit Unterstützung der Gemeinde viele junge Bäume gepflanzt, insgesamt 20 alte Birnensorten, die sich für die Schaumweinbereitung eignen. In die Bäume ließ er Nistkästen für Vögel hängen. "Natürliche Schädlingsbekämpfung", sagt der 47-Jährige und grinst.

Das Gras wächst hier oben fast kniehoch. Geiger bückt sich und pflückt Sauerampfer, Vogelmiere und Mädesüß, dessen feine weiße Blüten manche mit "gesponnenem Feenhaar" vergleichen und das einen intensiv grünen Duft verströmt. In der Spitzenküche erleben solche fast vergessenen Kräuter derzeit eine Renaissance, auch Geiger ließ sich von ihnen zu einem neuen Projekt inspirieren: prickelnde Wiesenobstsäfte, die er mit den Kräutern aromatisiert und "Prisecco" nennt, weil sie im Geschmack so vielfältig und komplex wie Schaumweine sind, nur ohne Alkohol.

Der Winzer pflückt nun ein weiß blühendes Kraut: Giersch, der in Geruch und Geschmack an Petersilie erinnert. In der Manufaktur wird er mit Apfel, Birne und geröstetem Emmer zum Prisecco "Bio Cuvée No. 28", der mit seiner Kräuterfrische gut zu asiatischen Gerichten passt. Wenn er die Wiesen durchstreift, findet Geiger Ideen: Weil an den Obstwiesen in Hanglagen oft Wildrosen blühen, die als Hagebutten bis in den Winter hängen bleiben, kombinierte er Birne, Apfel und Hagebutte zu einer Cuvée, die sich mit ihren floralen Aromen bestens als Dessertbegleiter eignet.

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Edellokale aus aller Welt bestellen die Produkte

Bald 30 verschiedene Cuvées hat Geiger inzwischen im Programm, oft nur in geringer Auflage je nach Erntemenge. Auch in der gehobenen Gastronomie, wo die Nachfrage nach alkoholfreien Speisebegleitern stetig wächst, sind seine Produkte gefragt. Er liefert in die USA, die Schweiz, nach England; im Münchner Königshof steht sein Prisecco ebenso auf der Weinkarte wie im renommierten Taubenkobel am Neusiedler See, erst kürzlich orderte das Drei-Sterne-Lokal La Vague d'Or in St. Tropez.

Am liebsten aber kombiniert Jörg Geiger seine schwäbischen Obstschaumweine am Ort ihres Entstehens. Den großen Gastraum hinter der Fachwerkfassade des Gasthauses Zum Lamm hat er behutsam modernisieren lassen. Hier steht auch das gesamte Repertoire seiner Manufaktur auf der Karte. Zum gegrillten Bauch vom Schlater Lamm gibt es geräucherte Paprika, Mais und Nacho-Dip und dazu natürlich im Barrique gereiften "Holzapfel" aus einer alten Sorte: Bittenfelder Sämling.

Und so, als wollte Jörg Geiger noch einmal beweisen, dass ihm die Ideen zum Erhalt der alten Streuobstwiesen noch lange nicht ausgehen, entkorkt er zum Dessert - Halbgefrorenes und Ragout von Kirschen und Mädesüß - noch eine Flasche seiner neuesten Errungenschaft: ein teilvergorener Kirschwein, den er wie einen Port in südfranzösischen Banyuls-Fässern ausbaut und der mit seinem Duft von schwarzen Kirschen, Schokolade und Bittermandel perfekt zur Nachspeise passt. "Das schmeckt nach hier", sagt Geiger. Da mag er recht haben. Doch dass die regionalen Tropfen hier erst durch ihn internationale Aufmerksamkeit erfahren, würde er natürlich niemals sagen.

© SZ vom 13.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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