Design:Ihr Platz am Herd

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Die ideale Frau der 50er und 60er konnte nicht nur kochen, sondern wartete auch am Abend adrett herausgeputzt auf ihren Ehegatten. Im Bild: Schauspielerin Barbara Roscoe im Jahr 1963 (Foto: Hulton Archive/Getty Images)

Von der Schaltzentrale der Rouladen-Mutti zum Wohlfühlort fürs kulinarische Happening: Was Küchen über die Geschichte der Frauenemanzipation verraten.

Von Max Scharnigg

Manchmal muss es knallen, bis Männer was merken. Eine Explosion bei einem Experiment war es jedenfalls, die den schwedischen Ingenieur Gustaf Dalén im Jahr 1912 mit schweren Augenverletzungen arbeitsunfähig machte und ihn an den heimischen Herd fesselte. Dort fiel ihm auf, wie mühsam seine Frau jeden Tag mit dem alten Ofen hantierte. Er erfand für sie in den Zwanzigerjahren blind einen Herd, der ihr die Arbeit in der Küche erleichtern sollte.

Der neue AGA-Cooker nutzte die Wärme geschickt für zwei Öfen und mehrere unterschiedlich heiße Kochstellen und wurde prompt zum schwedischen Exportschlager. Kein Wunder, die Wohnwelt, in die der AGA-Herd kam, war gerade dabei, sich radikal zu verändern. Infolge der Industrialisierung und des Ersten Weltkriegs waren eine neue Gesellschaftsordnung und ein neuer Mensch entstanden, dessen Entfaltungsdrang sich auch in dem bemerkbar machte, was die Küchentheoretikerin Erna Meyer in den 1920er-Jahren stolz den "kleinsten Betrieb" einer Volkswirtschaft nannte: im Haushalt.

"Als Antrieb für die Mechanisierung des Haushalts dienen soziale Probleme: die Stellung, die die amerikanische Frau für sich beanspruchte, und die Stellung, die man zur Dienstbotenfrage einnahm, Frauenbewegung, Sklavenbefreiung und Dienstbotenfrage haben ihre gemeinsame Wurzel in der Auffassung, dass es in der Demokratie keine bevorzugte Klasse und kein privilegiertes Geschlecht geben dürfte", so schätzte der Architektursoziologe Sigfried Giedion die Stimmung in den USA zur Jahrhundertwende ein.

Es blühten Ideen für eine neue Effizienz in der Küche, zum Beispiel inspiriert 
von Ozeandampfern und modernen Speisewaggons: Wenn es in solch kleinen Küchen möglich war, so viele Menschen zu verköstigen, warum sollten diese technischen Fortschritte nicht 
jedem Haushalt zur Verfügung stehen?

Das progressivste Modell, das daraufhin noch vor dem Ersten Weltkrieg in den USA und Europa diskutiert wurde, war das Einküchenhaus. Wozu, so die Überlegung, sollte in den überall entstehenden Mietskasernen und Siedlungen, jede Wohnung mit eigener Küche, jede Frau mit eigener Küchenlogistik belastet sein? Die Frauenrechtlerin Lily Braun befürchtete in den kleinen Wohnungen und Randlagen früh eine Isolierung der "Haus-Frau" und trat deshalb vehement für das Experiment ein: Großküchen in Mehrparteienhäusern, vielleicht sogar mit Einkaufs- und Wäscheservice.

In ganz Europa entstanden Modelle eines solchen All-inclusive-Wohnens. Aber in der Praxis blieb die Strahlkraft der Einküchenhäuser begrenzt, weil sie ein gütliches Auskommen aller Nachbarn erforderten, Nivellierung der Haushaltsstandards voraussetzten und die Familie eben doch am eigenen Herd hing - und an Mutterns Rouladen.

Hausfrauenarbeit als Berufsarbeit begreifen

Immerhin, man schraubte an der Hausarbeit, und in Deutschland wurde die Weimarer Republik mit ihrem konstruktiven Grundton zu einem Jahrzehnt der neuen Küche. Vordenkerinnen waren zwei Frauen, zum einen die Architektin Margarete Schütte-Lihotzky, erste Architekturstudentin Österreichs und damit geschult in Pionierarbeit. Zum anderen Erna Meyer, die ihre theoretische Wegbereiterin wurde und 1926 das Standardwerk Der neue Haushalt publizierte, das umgehend Bestseller wurde und 1929 schon in der 36. Auflage erschien.

Meyer war es, die der Hausfrau erstmals ein ganz neues Gewicht zusprach, schließlich sei jetzt "die Frau überhaupt erst dazu erwacht, ihre Hausfrauenarbeit als Berufsarbeit zu begreifen, deren Wert und Würde keiner anderen außerhäuslichen irgendwie nachsteht." Ihre Tätigkeit solle nach dem Vorbild der effektiven Abläufe in den Fabriken gestaltet werden. Denn, so 
Erna Meyer: "Ob sie Sklavin ihrer Pflichten oder schöpferische Meisterin ist - das macht einen gewaltigen Unterschied für sie selbst, ihre Familie und damit für das Ganze unseres Volkes."

Die Zeit war reif für die berühmte Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky, dem Urtyp der praktischen Einbauküche. Beflügelt vom modernen Geist des Bauhauses, sollte sie funktionales und ökonomisches Arbeiten ermöglichen. Dazu wurde die Hausfrau regelrecht vermessen, ihre Arbeitsabläufe und Wege optimiert. In den Musterwohnungen sollte die Distanz vom Herd zum Esstisch maximal 3,2 Meter betragen, ein Drehhocker diente als Kommandosessel, es gab platzsparende Fächer, Schüttensysteme und Schiebetüren, eine Kochkiste zum Warmhalten, blaue Farbe, um Fliegen abzuwehren.

Die Praxistauglichkeit der etwa 12 000 angefertigten Küchen wurde von der "Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen" geprüft, teils mit niederschmetternden Ergebnissen: Die eine Familie kochte weiter auf dem Stubenofen, andere möblierten die akribisch konzipierte Einbauküche. Die Idee der Frankfurter Küche war gut, aber die Familie noch nicht bereit. Statt jedoch das Konzept zu ändern, sollte die Frau angepasst werden.

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Erna Meyer verfasste sogar zehn Gebote für die Hausfrau, gehalten in schwesterlichem Du: Halte dein Handwerkszeug leicht erreichbar, aber auch immer sauber, arbeite mit richtiger Körperhaltung, vermeide alle Muskelanspannung, lege fünfminütige Pausen ein, entwickle deinen Körper durch planvolle Leibesübungen etc. So progressiv die 1920er-Jahre das Hauswesen hinterfragten, es endete doch in einer Optimierung der Frau hin zur perfekten Haushälterin.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war der moderne Mensch pulverisiert und mit ihm der Wagemut des Bauhauses. In den Wirtschaftswunderjahren wurde die Küche zum Testgelände des technischen Aufschwungs. Die darin werkelnde Frau sollte aber bitte die alte bleiben. Werbespots drehten sich einmütig um neue Haus- und Küchengeräte und wie fein es war, dass Mutti damit noch schneller dem Gatten zur Verfügung stand. Die Frau wurde nur als Dienstleisterin für Mann, Kind und Hund gedacht. In einem Werbespot von 1958 etwa hat die letzten Worte der ins Büro eilende Gatte: "Wenn du mich so reizend fragst, koch doch, was du selbst gern magst."

Es brauchte schon wieder einen neuen Menschen und eine neue feministische Bewegung, um dieses Hausfrauenideal aufzubrechen. Der neue Mensch war Single. Er war hungrig und allein, und ihm spendierte die Industrie lauter praktische Erfindungen: Tiefkühlgerichte, Mikrowellen, Fast Food. 1956 nahm jeder Deutsche 150 Gramm aus dem Tiefkühler zu sich, im Jahr 1990 waren es 15 Kilogramm.

Küchen heute: Erlebnisorte für die ganze Familie. (Foto: joanna maclennan; Sabine Fajana/Vividgrey)

Für dieses neue Essen war auch kein eigener Tisch mehr notwendig. Die Küchendesigner propagierten stattdessen Küchentresen und Barhocker, auf denen man halb stehend halb künstliche Gerichte zu sich nahm. Die Küche war plötzlich ein dynamischer Durchgangsort, aus den festen Einbauküchen wurden Modulmöbel, die sich bei Umzug leicht mitnehmen und beim Zusammenzug zweier Ex-Singles vielleicht sogar kombinieren ließen. Light-Küchen eben. Mit dem Bild der klassischen Familie beim Abendessen verschwand auch das der einsamen Hausfrau in der Küche. Es wurde ersetzt durch ein Ideal, das man in Millionen Ikea-Katalogen sehen konnte: Kochen wurde auf einmal ein Happening für die ganze Familie und Freunde.

Am Ende des Jahrhunderts wurde dann das ehemalige Reich der Frau von den Männern erobert, wenn auch eher halbherzig. Sie wurden "Trendsetter aus Inkompetenz", wie es der Historiker Uwe Spiekermann nennt. Die neuen Küchenbullen interpretierten die Arbeitsfläche als Werkbank und die Küche als Arena, mit ihnen zogen blanker Edelstahl, offenes Feuer und wuchtige Hackblöcke ein. Die Küchen selbst gingen so nahtlos frei in den Wohnraum über, wie in der allgegenwärtigen Phrase Familie und Beruf ineinander übergingen. Klar, Papa kocht. Vorzugsweise am Wochenende und dann mit jener körperlichen Hingabe, wie es die Blogs oder ein neues Magazin wie Beef! vorschreiben: produktversessen, lustbetont, blutig. Und der Küchenalltag unter der Woche? Nun, alle 30 Sekunden wird ein "Thermomix" verkauft, meldet das Unternehmen Vorwerk im Jahr 2015. Ein Gerät, das angeblich alles kann, wofür früher eine ganze Hausfrau notwendig war.

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