Zum Tod von Robert Enke:"Dann wird er schräg angeguckt"

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Florian Holsboer hat Sebastian Deisler behandelt. Der Psychiater erklärt, wie Fußballer unter Depressionen leiden und was Vereine tun können.

Michael König

Florian Holsboer ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München. Dort hatte sich in den Jahren 2003 und 2004 auch der ehemalige Fußballprofi Sebastian Deisler wegen Depressionen behandeln lassen.

Fans, Funktionäre und Mitspieler gedachten am Mittwochabend bei einer Trauerfeier in Hannover dem toten Robert Enke. Der Nationaltorhüter hatte Selbstmord begangen. (Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Holsboer, der Freitod von Robert Enke hat Fans, Funktionäre und auch Mitspieler tief getroffen - auch deshalb, weil niemand von seiner Depression wusste. Wie ist es möglich, eine so schwere Krankheit so gut zu verstecken?

Florian Holsboer: Viele Patienten errichten eine Fassade, die sie aufrechterhalten, obwohl sie ihre Depression als unerträglich empfinden. Sie wollen sich die Krankheit nicht eingestehen oder fürchten berufliche und private Schwierigkeiten, falls sie damit offener umgehen würden. Genau dies ist aber das Gefährliche.

sueddeutsche.de: Was sind Warnsignale für eine Depression?

Holsboer: Das ist nicht so leicht zu beantworten. Die Angehörigen bemerken, dass sich der Betroffene in seinem Verhalten ändert. Seine alltägliche Gefühlswelt ist eingeschränkt, im positiven wie im negativen Sinne. Er zieht sich zurück. Aber das sind Dinge, die auch in einer akuten Lebenssituation auftreten können, etwa wenn die berufliche Anspannung besonders groß ist. Man kann als Angehöriger aber nie mit Sicherheit sagen: Das sind jetzt Vorboten oder Symptome einer Depression. Man kann allenfalls eine Vermutung haben. Klarheit kann aber nur ein Fachmann schaffen.

sueddeutsche.de: Robert Enke hat einen Experten konsultiert, lehnte eine intensivere Behandlung aber ab. Hätte sein Suizid verhindert werden können?

Holsboer: Ich kenne den Fall nicht en detail und kann deshalb nur generell sagen: Wenn ein Patient depressiv ist und Suizidgedanken hat, was bei Herrn Enke offenbar schon seit längerem der Fall war, dann ist eine konsequente Behandlung vonnöten, die stationär beginnt und dann ambulant weitergeführt wird. Man kann dazu natürlich niemanden zwingen. In der überwiegenden Zahl der Fälle gelingt es aber, den Patienten davon zu überzeugen.

sueddeutsche.de: Was andere Krankheiten angeht, herrscht gerade im Fußball große Offenheit. Muskelfaserrisse und Knieverletzungen werden bereitwillig kommuniziert. Warum sind psychische Erkrankungen ein so großes Tabuthema?

Holsboer: Das hat historische Gründe. In der Antike war man sehr offen im Umgang mit der Depression, ja man war sogar stolz darauf, weil man damit zu einer höheren Sozialschicht gehörte. Man dachte damals, so etwas Differenziertes würden einfache Leute nicht bekommen. Später ist durch die Philosophie die Zweiteilung zwischen Leib und Seele in die Kulturen eingedrungen, davon haben wir uns bis heute nicht befreit. Wir glauben, psychische Erkrankungen finden nicht im Körper statt, sondern irgendwo anders. Deshalb sind sie etwas Besonderes, und wir glauben, dass sie uns lebensunfähiger machen. Das birgt Probleme gerade auch für Profisportler.

sueddeutsche.de: Sie sprechen die Angst an, vor Mannschaft und Fans als Weichei dazustehen.

Holsboer: Richtig. Die Öffentlichkeit reagiert hier in einer sehr irrationalen Weise. Eigentlich hat ein Spitzensportler seine besondere Befähigung ja bereits bewiesen. Dennoch darf es keine Zweifel daran geben, dass er ein harter Kerl ist, der sich durchbeißen kann. Andernfalls wird er schräg angeguckt. Dabei ist das Umgehen mit und das Überwinden einer Depression ja etwas, was einen Menschen eher stärker macht als schwächer.

Auf der nächsten Seite erklärt Florian Holsboer, warum Mentaltrainer keine Lösung sind und warum er Robert Enke nicht zum Karriereende geraten hätte.

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sueddeutsche.de: Der Manager von Hannover 96, Jörg Schmadtke, und auch DFB-Präsident Theo Zwanziger mahnen ein Umdenken an. Was raten Sie dem Verband und den Vereinen?

Florian Holsboer ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München. Sein prominentester Patient war Bayern-Profi Sebastian Deisler, der an Depressionen litt. (Foto: Foto: Andreas Heddergott)

Holsboer: Ich weiß nicht, ob der DFB die richtige Instanz ist, um die öffentliche Meinung zu korrigieren. Tatsache ist, dass es im Berufsfußball solche Fälle gab, gibt und auch weiterhin geben wird. Wenn Spieler zur Depression neigen, egal ob generell oder aufgrund einer besonderen Situation, dann sollte man dies so betrachten wie jede andere Erkrankung. Man wirft ( Bayern-Profi, die Red.) Arjen Robben ja auch nicht vor, dass er verletzungsanfällig ist und deswegen öfter mal ausfällt. Warum muss man das also bei Herrn Enke oder bei Herrn Deisler tun, die ihre Verletzlichkeit nicht im Knie haben, sondern in bestimmten Arealen ihres Gehirns? Ich kann nur raten, was ich damals auch dem FC Bayern geraten habe: Experten aus der klinischen Psychologie oder auch der Psychiatrie konsultieren, sobald ein Spieler Beschwerden hat oder gerne ein Gespräch führen möchte.

sueddeutsche.de: Beinahe jeder Profiklub leistet sich heutzutage einen Mentaltrainer.

Holsboer: Sportpsychologen haben aber nicht die Aufgabe und Kompetenz, herauszufinden, ob eine Erkrankung im Anmarsch ist. Sie können höchstens etwas vermuten. Man würde ja auch nicht auf einen Vereinsarzt verzichten, weil man einen Physiotherapeuten an Bord hat.

sueddeutsche.de: Sebastian Deisler hat seine Karriere 2007 beendet und lebt nun ein Leben ohne Fußball. Hätten Sie Robert Enke dazu geraten, mit dem Sport aufzuhören, der ihn so stark unter Druck setzte?

Holsboer: Bei Sebastian Deisler war es ja nicht die Depression, die ihn zum Aufhören bewogen hat, sondern es waren die ständigen Verletzungen. Er hat sich gesagt: 'Jetzt wieder ein Jahr auf die Rückkehr hinarbeiten, das will ich nicht mehr.' Robert Enke hätte ich den Fußball nicht ausreden wollen, dazu war er ein zu leidenschaftlicher Sportler. Ihm hätte ich zu einer intensiveren psychiatrischen Behandlung geraten, die er aber ablehnte. Dies hätte ihm ausreichend Flankenschutz geboten, um seinem geliebten Sport nachgehen zu können.

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