Zorniger beim VfB Stuttgart:Zeit für ein schwäbisches Revolutiönle

Lesezeit: 3 min

Denkerpose: Stuttgarts neuer Trainer Alexander Zorniger. (Foto: imago)
  • Mit eigenwilligen Ideen und einem klaren Spielsystem tritt Alexander Zorniger beim VfB an.
  • Der Trainer soll die Spieler wachrütteln - und den betulichen Traditionsverein umkrempeln.
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Von Matthias Schmid, Stuttgart

Alexander Zorniger sieht manchmal aus wie sein eigenes Denkmal. Er kniet dann mit dem rechten Bein auf dem Rasen, das linke ist angewinkelt, der Oberkörper leicht nach vorne gebeugt. Mit dem rechten Ellbogen lehnt er sich auf den linken Unterarm, die Hand stützt das Kinn ab, die Finger bedecken locker den Mund. Zorniger, der Denker. Diese formvollendete Pose macht er gern, wenn er seinen Spielern im Training zuschaut.

Der 47-Jährige ist beim VfB angetreten, um in Stuttgart eine Zeitenwende einzuleiten. Er soll den betulichen Traditionsverein mit seiner unverbrauchten Art revolutionieren, mit eigenwilligen Ideen und einem klaren Spielsystem. Diesmal soll es nicht beim schwäbischen Revolutiönle bleiben.

"Für jeden Gegner eine Bedrohung sein" - kleiner geht es nicht

Dafür begibt sich der neue Fußballlehrer auch hin und wieder in Gefahr und klettert auf ein Gerüst am Trainingsplatz, der Perspektivwechsel ist ihm wichtig, er will seine Spieler neue Sichtweisen auf den Fußball lehren. Sie wachrütteln. Der deutsche Meister von 2007 war schon lange keine Mannschaft mehr, die die Konkurrenten in der Bundesliga aufgeschreckt hat. "Aber das muss unser Anspruch sein, dass wir wieder für jeden Gegner eine Bedrohung sind", sagt Zorniger. Kleiner geht es nicht für den selbstbewussten Mann aus dem württembergischen Mutlangen, der noch nie eine Erstligamannschaft betreut hat.

An diesem Sonntag (17.30 Uhr) wird er im Heimspiel gegen den 1. FC Köln bei seiner Premiere in der Beletage des deutschen Klubfußalls das erste Mal erfahren, ob er sich diesem Ziel während der Vorbereitung schon hat annähern können. Die Kölner sind so etwas wie der Angstgegner, kein gern gesehener Gast. Der letzte Stuttgarter Sieg liegt 19 Jahre zurück, der VfB-Trainer damals beim 4:0-Sieg hieß Joachim Löw.

Wie Zornigers Fußball aussehen könnte, haben die Zuschauer in und um Stuttgart zuletzt gegen Manchester City schon mal erahnen können, mehr noch, die ersten 45 Minuten des Testspiels waren ein perfekter Lehrfilm: Schnell und durch die Mitte sollen seine Profis spielen, dem Gegner keine Verschnaufpause gönnen, ihn stressen, am besten 90 Minuten lang. 4:0 führte der VfB gegen den englischen Champions-League-Teilnehmer nach der ersten Hälfte. Bei dem aufwendigen Eroberungsfußball sollen sich seine Spieler bis zur Erschöpfung verausgaben, sie sollen wie Bienenvölker ausschwärmen und den Ball und die Gegenspieler jagen. "Bis der Akku leer ist", wie Zorniger vor dem Spiel gegen Köln sagt. "Dann werden wir sehen, wie lange noch zu spielen ist."

Von Ballbesitzfußball und Tiki-Taka hält er so wenig wie Bayern-Trainer Pep Guardiola vom Konterfußball. Schnörkellos und auf dem kürzesten Weg sollen die Spieler den Ball ins gegnerische Tor schießen - so sieht sein idealer Fußball aus. "Manchester ist jetzt die Messlatte", sagt Zorniger selbst. Am Ende siegte der VfB 4:2.

Es gibt trotzdem genügend VfB-Sympathisanten, die bei solch großspurigen Aussagen stutzig werden. Sie haben in Stuttgart schon zu viele Trainer mit schönen Visionen kommen und wieder gehen sehen. Alles Unbekannte wird erst mal kritisch beäugt, die Schwaben lassen sich nur schwer von etwas Neuem überzeugen. Sie begegnen deshalb Zornigers Radikalität mit Misstrauen und fragen sich, warum er denn den VfB schon wieder neu erfinden müsse, nachdem der Verein im Abstiegskampf der vergangenen Saison unter Huub Stevens das doch mit sehenswerten Kombinationsfußball erst getan hat, sich neu zu erfinden mit Filip Kostic auf der linken Außenbahn, Martin Harnik auf der rechten, Daniel Ginczek als echter Stoßstürmer, Daniel Didavi dahinter. Sie begeisterten die Fans und schafften nach Wochen und Monaten der Tristesse so einen Klimawandel, eine neue Begeisterung, die bis heute anhält. Nie zuvor hat der VfB mehr Dauerkarten verkauft, fast 30 000 Stück. Fast tausend neue Mitglieder sind dazugekommen, die Mitarbeiter schieben Überstunden, um den Ansturm bewältigen zu können.

Zorniger kennt die Skepsis gegen seine Person

Zorniger kennt als Schwabe, der auch schwäbisch schwätzt, die Skepsis gegen seine Person, gegen alles Fremde. Er will das Umfeld und die Spieler für sich und seinen Spielstil einnehmen, mit Erfolgen und kleinen Veränderungen, die große Wirkung entfalten sollen. Personell hat sich nichts groß geändert, gegen Köln werden sieben Spieler beginnen, die auch schon am letzten Spieltag gegen Paderborn in der Startelf standen - wäre Serey Die nicht verletzt, wären es sogar acht.

Seine Revolution soll aber auf dem Rasen zu sehen sein, die Gier der Spieler nach dem Ball, den sie gerade noch erobert schon wieder ruckzuck nach vorne spielen. In Höchstgeschwindigkeit. Dass die Veränderungen in den Köpfen und Beinen eine Weile dauern wird, ist Zorniger bewusst. Er hat es selbst erlebt beim knappen 2:1 in der ersten Pokalrunde gegen den Drittligisten Holstein Kiel, der VfB tut sich schwer gegen Mannschaften, die sich hinten reinstellen, es fehlt dann das Tempo, das Überraschungsmoment, gegnerische Konter sind die Folge. Zorniger ist selbst gespannt, wie viel Zeit vergehen wird, bis seine Mannschaft so spielt, wie er sich das vorstellt. Dass sie es irgendwann tut, daran zweifelt er nicht. Auf welchen Platz sein Weg die Mannschaft führen wird, mag er und will er auch nicht voraussagen. Eines kann er aber schon mal versprechen: "Langweilig sollte es auf jeden Fall nicht werden", sagt Alexander Zorniger. "Das wäre eine Enttäuschung." Und ein eigenes Denkmal aus Stahl vor dem Stadion unerreichbar.

© SZ vom 16.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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