WM-Tagebuch "Blog do Brasil":Heiß, aber Hauptsache eben

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Zwei Eishockeytore, ein paar Barfuß-Spieler: Straßenfußballer in Salvador. (Foto: Thomas Hummel)

Wenn in einer Stadt ein WM-Spiel ansteht, sperrt die Polizei die Straßen ab - und die Brasilianer strömen auf den Asphalt. Um was zu tun? Natürlich um Fußball zu spielen, natürlich barfuß. Was SZ-Reporter bei der WM erleben.

Von Thomas Hummel, Salvador

Lukas Podolski hat während der Presskonferenz am Samstag in Porto André ein paar Mal die Welt zurecht gerückt. Er hatte gute Laune und war durchaus angriffslustig, weshalb er ein paar Fragen in den Whirlpool der Wohlfühloase warf. Zum Beispiel: Herr Podolski, der Rasen auf dem Trainingsplatz soll nicht ganz den höchsten Ansprüchen genügen. Wie sehen Sie das?

Lukas Podolski ist in Bergheim nahe Köln aufgewachsen. Inzwischen gibt es dort den Lukas-Podolski-Sportpark mit einem sattgrünen Kunstrasen. Doch als der Namensgeber selbst beim FC Bergheim mit dem Kicken begann, liefen die Spieler noch über Ascheplätze oder vielleicht auch mal über einen holprigen Rasen.

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"Wir sind alle viel zu verwöhnt aus England oder Deutschland, wo immer alles perfekt ist", antwortete der 29-Jährige auf dem Podium im Presseraum des DFB-Quartiers. Aus dem fröhlichen Lächeln wurde eine düstere Miene. Im Hinblick auf die Mission WM-Sieg dürfe es keine Ausrede sein und keine Rolle spielen, "ob der Rasen ein paar Unebenheiten hat oder das Gras mal etwas höher ist."

Dabei hatte Bundestrainer Joachim Löw selbst moniert, dass der Rasen in Brasilien ein wenig anders wächst als in Europa. "Er wächst nicht nur nach oben, sondern ein bisschen in die Breite", meinte er und offenbarte verblüffendes Botanik-Wissen. Dafür haben die Architekten des Trainingsplatzes immerhin dafür gesorgt, dass die Grashalme genau 22 Millimeter Länge haben, wie alle Grashalme in den WM-Stadien. Und dass der Rasen in Nord-Süd-Richtung ausgelegt ist, wie alle Plätze in den WM-Stadien.

Fußball ist ein Spiel mit einem Ball und ein paar Menschen, die in zwei Mannschaften aufgeteilt versuchen, das Tor zu treffen. In Punkto Untergrund unterscheidet sich das Spiel allerdings erheblich.

Als in Salvador da Bahía am Freitag die Straßen rund um das Stadion Fonte Nova abgesperrt wurden, entstand eine nie dagewesene Stille im Viertel. Die Avenida Vasco da Gama ist eine Hauptverkehrsstraße in der Drei-Millionen-Stadt. Da ist kilometerlanger Stau häufiger als ruhiger Verkehrsfluss. Und jetzt war sie plötzlich leer. Es erinnerte an die Bilder aus Deutschland in den siebziger Jahren, als wegen des hohen Ölpreises am Sonntag kein Auto fahren durfte und die Autobahnen leer blieben.

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Doch was tun nun die Brasilianer, wenn die Straße leer ist? Na? Die Antwort ist nicht fern!

Sie laufen in die Häuser, holen Tore heraus und kicken. Für so einen Straßenkick haben die Anwohner der angrenzenden Favela ein paar Eishockey-Tore parat. Drauf auf die Straße, einen Ball hineingeworfen und schon geht es los. Der Asphalt ist schließlich eben, und so etwas findet mal selten in einer brasilianischen Favela.

Trotz des harten und auch heißen Untergrunds (es war mittags) spielten alle Fußballer barfuß. Und wie sie spielten. Hier über den Ball gestreichelt, dort ein Beinschuss, Doppelpass hier, Lupfer dort. Wunderbar anzuschauen. Von den Spaniern hätten an diesem Nachmittag einige gar nicht mitspielen dürfen auf der Avenida Vasco da Gama, angesichts des wilden Gebolzes in der zweiten Halbzeit.

Die Brasilianer verstehen es dabei auf erstaunliche Art, niemals in den Boden zu treten. Was schon auf Asche nicht schön ist, zöge barfuß auf der Vasco da Gama mit Sicherheit ein paar blutige Zehen nach sich. Denn trotz aller Unterschiede auf den Kontinenten: Der Asphalt in Salvador da Bahía ist genauso hart wie der in Bergheim.

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