WM-Stadt Manaus:Abschied aus dem Dschungel

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Indigene Dorfbewohner vom Stamm der Tatuyos schauen die Live-Übertragung des Spiels Brasilien gegen Kroatien in einer Hütte unweit von Manaus an (Foto: imago sportfotodienst)

Das Stadion überteuert, der Flughafen bestenfalls halbfertig, die Hitze unerträglich: Manaus hätte diese WM nicht gebraucht. Und doch erweist sich die Zwei-Millionen-Metropole mitten im Regenwald als erstaunlicher Austragungsort. Nun verabscheidet sich das Turnier aus der Stadt.

Von Boris Herrmann, Manaus

Von oben betrachtet ist Manaus unerheblich. Ein kleiner Fleck im endlosen Grün, so sieht es auf Satellitenfotos der Nasa aus. Wenn man aber kurz vor dem Beginn der WM ein bisschen näher heranzoomte, so lange, bis aus dem kleinen Flecken eine Großstadt wurde, dann konnte man irgendwo mittendrin, umringt von zwei Millionen Menschen und sieben Millionen Quadratkilometern Regenwald einen leicht bräunlichen Flecken entdecken. Der durstige Sportplatz der Arena da Amazônia. Die zwischenzeitlich umstrittenste Wiese im ganzen Dschungel.

Es gab Berichte, wonach der Rasen unmittelbar vor dem ersten WM-Spiel mit grüner Farbe eingesprüht wurde. Es gab sogar Beweisfotos - und weltweite Schlagzeilen. Mit großer Wahrscheinlichkeit waren sowohl die Berichte als auch die Fotos falsch. Interessant ist an der Geschichte vor allem, dass sie weltweit geglaubt wurde. Einer Dschungelgroßstadt mit einer Oper im Stil der italienischen Renaissance und einem Biergarten im Stil der bayrischen Gemütlichkeit trauen die Leute (nicht ganz grundlos) nahezu alles zu.

Dass sie bereit ist, einen kleinen Teil einer großen WM auszurichten, das haben dieser Stadt die wenigsten abgenommen. Am allerwenigsten Roy Hodgson, der WM-Coach der Engländer. "Manaus ist der Ort, den man umgehen muss", hatte er bei der Gruppenauslosung verkündet. Selbstverständlich wurde sein Team kurz darauf nach Manaus gelost - zum Spiel gegen Italien, Rumble in the Jungle. Bürgermeister Artur Vigilio fühlte sich von Hodgsons Aussagen persönlich beleidigt und wollte den Briten zunächst die Einreise in sein Stadtgebiet verweigern. Schließlich kam es auch hier zum Happy-End. Das bewegende Beziehungsdrama zwischen England und Manaus hätte aber alleine genug Stoff für eine Operette im Teatro geboten.

Manaus als Ausrede für nahezu alles

Jeder weiß, wie diese Geschichte für Hodgson und seine Spieler endete: Als sie nach Brasilien kamen hatten sie mehr Angst vor der Luftfeuchtigkeit und den Steckmücken im Amazonas-Becken als vor ihren Gegnern. Als sie wieder nach Hause fuhren, mussten sie sich wohl eingestehen, dass der Abstecher nach Manaus noch der bessere Teil ihres brasilianischen Kurztrips war.

Zwar ging das schweißtreibende Spiel gegen Italien verloren und leuchtete die Birne von Angreifer Wayne Rooney dabei so rot, dass man sie wahrscheinlich auf Satellitenfotos der Nasa erkannt hätte. Aber in Manaus konnten die Engländer noch alles auf den angeblich angemalten Rasen und die real existierende Tropensonne schieben. Und wenn einer ihrer rund 8000 angereisten Fans torkelnd im Straßengraben landete, lag es natürlich auch am Wetter. Manaus war ein so ungewöhnlicher Spielort, dass er auf vielfältige Weise als Ausrede herhalten konnte.

Rein rational betrachtet grenzte es tatsächlich an Wahnsinn, die WM hierher zu bringen. Das teure Stadion und der bestenfalls halbfertige Flughafen trieben diesen Dritte-Welt-Ort in einem Zweite-Welt-Land noch ein Stückchen weiter an den Rand des Ruins. Aber rein emotional betrachtet leben solche Turniere eben auch von ihrer wahnsinnigen Note. Und es kann nicht bestritten werden, dass die WM-Gäste diese Note genossen haben. Die meisten.

Der WM-Reporter einer deutschen Zeitung berichtete darüber, wie ihm in einem Omnibus in Manaus ein Handy gestohlen wurde, angeblich wurde der Mann sogar mit einer Pistole bedroht. Ausgeraubt zu werden, zumal mit Waffengewalt, gehört gewiss zu den unschöneren Dingen, die einem in den Großstädten Südamerikas widerfahren können. Und es mag sein, dass so etwas auch in Manaus vorkommt. Was der Reporter in seinem Bericht aber zu erwähnen vergaß: Den allermeisten Touristen passierte so etwas nicht. Im Gegenteil.

Nahezu alle Bleichgesichter, die zum ersten Mal durch die Straßen dieser unwirklichen Stadt im Regenwald wandelten, staunten nicht schlecht über die fast schon erdrückende Gast-Freundlichkeit, die mit dem Begriff Gast-Euphorie deutlich treffender beschrieben wäre. Die Wahrscheinlichkeit, im öffentlichen Nahverkehr ein fremdes Kleinkind auf den Schoß gesetzt zu bekommen, bloß damit es mal auf dem Schoß eines Gringos saß, war jedenfalls tausend Mal höher, als in die Fänge eines Ganoven zu geraten.

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Die Leute in Manaus verkleideten nicht nur sich selbst, sondern ganze Wohngegenden in Grün und Gelb. Passanten waren fast überall herzlich eingeladen, Spiele auf dem Wohnzimmersofa mitzugucken, wobei die Sofas an Spieltagen selbstverständlich samt Fernseher draußen auf den Straßen standen.

Manaus hat kein professionelles Fußballteam. Das heißt aber nicht, dass es dort keine Fußballkultur gäbe. Hier findet jährlich das Peladão statt, eine Jedermann-Stadtmeisterschaft, die sich über mehrere Wochen erstreckt und an der sich die halbe Bevölkerung beteiligt. Einheimische behaupten felsenfest, es handele sich um das größte Amateur-Fußballturnier der Welt. In jedem Fall ist es eines der exotischsten Brasiliens. Das Peladão passt deshalb so gut zu seiner Host-City, weil es schönsten Straßenfußball mit einem parallel stattfindenden Schönheitswettbewerb kombiniert: Bolzplatz-Stimmung mit Samba, Make-Up und Mandelöl.

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© SZ vom 25.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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