Ehemaliger DFB-Trainer:Was von Klinsmann geblieben ist

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Man darf das Global Playerle Jürgen Klinsmann nicht überstilisieren. Doch dieser Sportlehrer hat dem deutschen Fußball in seiner Eigenschaft als Unternehmensberater mehr hinterlassen, als viele denken. Der US-Coach gehört immer noch irgendwie zu Deutschland.

Von Christof Kneer, Santo André

Mark Verstegen kann überhaupt nicht Fußball spielen. Er sieht trotzdem beeindruckend aus, er sieht aus wie ein etwas grau gewordener Kraftprotz, der sich jede Mühe gibt, in seinem Erscheinungsbild den Kraftprotz zu betonen. Mark Verstegen gehört aber nicht zu jenen Menschen, von denen der Volksmund sagt, sie könnten vor Kraft kaum laufen. Laufen kann er, nur eben: nicht Fußball spielen.

Es sieht etwas unbeholfen aus, wenn Mark Verstegen auf dem Trainingsplatz in Santo André versehentlich mit dem Ball in Berührung kommt. Er stupst ihn dann mit links an und legt ihn rüber auf rechts, aber man kann nicht mit letzter Sicherheit sagen, welcher Fuß nun der bessere ist. Womöglich gehört Verstegen zu jenen Menschen, die gar keinen guten Fuß haben. Mark Verstegen stört das nicht, er ist ein optimistischer Amerikaner, und immerhin erreicht sein, nun ja, Pass dann den Landsmann Shad Forsythe, der ein unwesentlich besserer Fußballer ist.

Was waren das für Bilder damals! Amerikaner in roten Jacken auf dem Trainingsplatz der deutschen Mannschaft; farbige Gummibänder; Übungen, die Fachleute schon kannten, aber nur Fachleute aus dem Bereich Schwangerschafts-Gymnastik; Schlitten, auf denen mal nicht der Hacklschorsch saß, sondern die von Sportlern gezogen wurden, die Robert Huth, Marco Engelhardt oder Andy Görlitz hießen. "Schauen Sie hier in Brasilien mal auf unseren Trainingsplatz: Jürgen Klinsmann hat Dinge angestoßen, die heute selbstverständlich sind", sagt DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, der damals Chef des WM-Organisationskomitees war.

Er meint damit nicht Robert Huth, Marco Engelhardt oder Andy Göritz. Er meint Mark Verstegen, Shad Forsythe, die Gummibänder und die Schlitten, die jüngst alle gemeinsam im Flieger zur WM nach Brasilien waren, die einen in der ersten Klasse, die anderen im Frachtraum.

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Das große Baden-Württemberg-Derby zwischen Joachim Löw und Jürgen Klinsmann erregt zurzeit Badener, Württemberger und noch ein paar Volksstämme mehr, aber es ist auch nicht zu übersehen, dass der US-Coach Juergen Klinsmann immer noch irgendwie zu Deutschland gehört. Als Trainer ist er beim FC Bayern zwar in einigen Unehren entlassen worden, weshalb sich die Zeitzeugen dieser Klub-Ära, die nie eine wurde, vor dem Duell eher dezent äußern. "Wir hatten eine gute Zeit zusammen, er hat viel Schwung reingebracht, aber das ist schon ein paar Jahre her", sagt Philipp Lahm. Mit der "guten Zeit" meint Lahm eher die zwei Klinsmann-Jahre beim Deutschen Fußball-Bund (2004 bis 2006), weniger die wilden Monate beim FC Bayern in München.

Dennoch begegnet Klinsmann beim Spiel in Recife auch ein bisschen sich selbst. Man darf das Global Playerle aus Stuttgart-Botnang resp. Huntington Beach nicht überstilisieren, dennoch hat dieser Sportlehrer in seiner Eigenschaft als Unternehmensberater dem deutschen Fußball mehr hinterlassen als man üblicherweise in zwei Dienstjahren unterbringt. "Jürgen hat viele Spuren hinterlassen", sagt Wolfgang Niersbach: "Mir fällt kaum ein Bundesligaklub ein, der heute keinen Teampsychologen hat, die ganze Professionalisierung des Umfelds geht auf Jürgen zurück, das Scouting ist heute professionell, die Spielanalyse, die Individualisierung im Training."

Man müsse demnächst Gelenkbusse chartern, um das ganze neumodische Personal unterzubringen, spöttelten einst bekennende Branchen-Retros wie Heribert Bruchhagen und später auch der überzeugte Traditionalist Uli Hoeneß. Aber die Realität ist längst ins Klinsmanns Lager übergeschwenkt, es gibt inzwischen Klub-Poster, auf denen Osteopathen, Yogatrainer und demnächst wahrscheinlich noch staatliche geprüfte Fußpfleger herumstehen. Aber es ist vor allem das nicht Mess- und nicht Zählbare im deutschen Fußball, das sich Klinsmann als Verdienst anrechnen darf.

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"Er hat in Deutschland ein Klima geschaffen, in dem es selbstverständlich wurde, dass man junge Spieler einsetzt", sagt Per Mertesacker, der damals selbst zu den jungen Spielern zählte. Und DFB-Torwarttrainer Andreas Köpke weist darauf hin, dass selbst junge Torhüter plötzlich durchsetzbar wurden in einem Land, in dem Keeper bis dahin mindestens 28 zu sein hatten. Manuel Neuer durfte im Jahre 2006 ins Schalker Tor, mit 20, René Adler folgte in Leverkusen, und stets beriefen sich die Verantwortlichen auf Klinsmanns Lehre vom modernen, mitspielenden Torwart.

Dass Marc-André ter Stegen, 22, jetzt nach drei Bundesligajahren zum FC Barcelona wechselt, hat mit Klinsmann zwar vordergründig nichts zu tun. Hintergründig aber vielleicht schon.

Wie selbstverständlich Klinsmanns US-Standards in den Köpfen verwurzelt sind, zeigt eine Geschichte aus dem Jahr 2010. Bei einem deutschen Nationalspieler kam im WM-Quartier in Südafrika drei Tage lang nur kaltes Wasser aus der Dusche, aber er hat sich nicht beschwert. Er hielt das für eine Teambuilding-Maßnahme.

© SZ vom 25.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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