WM 2010: Sami Khedira im Interview:"Südländische Leichtigkeit"

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Sami Khedira über Integration, die Nationalhymne, den Rapper Bushido und die Mischung aus deutschen Tugenden und Spaßfußball wie auf dem Bolzplatz.

Christof Kneer

Es ist eines der großen Themen bei dieser Fußball-WM: Nie zuvor gehörten so viele Spieler mit ausländischen Wurzeln zum Kader der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, die sich viele Jahre vor allem über die sogenannten deutschen Tugenden definierte. Fußball für Deutschland spielen nun die Söhne von Aussiedlern (Miroslav Klose, Lukas Podolski, Piotr Trochowski), aus Einwandererfamilien (Mesut Özil, Serdar Tasci) und Ehen mit nur einem deutschen Elternteil (Mario Gomez, Sami Khedira, Dennis Aogo, Jerome Boateng) sowie von Kriegsflüchtlingen (Marko Marin). Dazu kommt Cacau, ein ordnungsgemäß eingedeutschter Brasilianer. Der 23-jährige Stuttgarter Sami Khedira gilt als eine Art Klassensprecher der jüngeren Migrantenkinder-Generation. Ein Gespräch über Wurzeln, Integration und südländisch geprägten Tugendfußball.

"Die deutschen Panzer? Das sagt unserer Generation nichts mehr": Sami Khedira, Sohn eines Tunesiers und einer Deutschen. (Foto: ap)

SZ: Herr Khedira, wie geht's Bushido?

Khedira: Gut. Er hat mir gestern erst eine SMS geschrieben. Er hat gemeint, dass ihn unser Spiel gegen Australien so begeistert hat, dass er immer noch im Deutschland-Trikot im Garten sitzt.

SZ: "Fackeln im Wind" - ein Song, den der Rapper Bushido gemeinsam mit dem Kollegen Kay One gemacht hat - ist das, was Xavier Naidoos "Dieser Weg" bei der WM 2006 war: die persönliche Kabinenhymne der deutschen Nationalelf. Angeblich waren Sie es, der den Rap in die Kabine gebracht hat.

Khedira: Das stimmt. Vor kurzem war ich mit meinen Brüdern und Freunden auf einem Bushido-Konzert in Stuttgart, hinterher hab ich ihn und Kay One dann kennengelernt. Mit ihm bin ich seitdem ganz gut befreundet, wir treffen uns ab und zu mal in Stuttgart, und vor der WM hat er mal angerufen und gesagt: Hey, Bushido und ich würden gerne einen WM-Song für euch machen. Ich hab gesagt: Macht mal. Dann haben sie ihn mir geschickt und ich hab ihn der Mannschaft vorgespielt.

SZ: Wie waren die Reaktionen?

Khedira: Sehr positiv.

SZ: Auch im Trainerstab?

Khedira: Ein Rap ist natürlich ein bisschen was anderes als früher, aber es gefällt den Trainern natürlich, wenn wir uns eine Motivationshymne suchen.

SZ: Haben Sie den Song vor dem 4:0 gegen Australien schon gehört?

Khedira: Klar. Wir haben ihn im Testspiel gegen Bosnien schon mal ausprobiert, und gegen Australien war das jetzt praktisch sein erster Pflichtspieleinsatz.

SZ: Im Grunde ist die neue Hymne ja mehr als nur ein harmloser Song. Die Auswahl des Liedes hat auch eine politische Dimension: Der Rapper Bushido hat wie Sie einen tunesischen Vater und eine deutsche Mutter - er ist demnach genau der Künstler, der zu dieser neuen deutschen Multikulti-Nationalmannschaft passt.

Khedira: Für mich gehört der Song ganz klar zum Thema Integration, ich habe das auch deshalb initiiert. Bushido hat wie viele in unserem Team ausländische Wurzeln und identifiziert sich gleichzeitig zu 100 Prozent mit unserem Land. Er hat mir gestern auch noch geschrieben, dass er jetzt wahrscheinlich eine Weile keine Konzerte mehr geben kann, weil er keine Stimme mehr hat. Er hat uns so laut angefeuert.

SZ: Wundern Sie sich eigentlich über das plötzliche Interesse der Öffentlichkeit an der Herkunft der Spieler?

WM 2010, Einzelkritik: Deutschland
:Stilles Schaffen, scharfe Pässe

Ein Özil-Pass von Lukas Podolski, ein Gerd-Müller-Tor von Müller und ein Miroslav-Klose-Tor von Miroslav Klose - die Spieler des DFB in der Einzelkritik.

Christof Kneer und Philipp Selldorf

Khedira: Wir haben natürlich schon mitbekommen, dass das was Neues ist für Deutschland, dass Nationalspieler plötzlich tunesische, türkische, ghanaische oder nigerianische Wurzeln haben. Aber für unsere Generation ist das völlig normal. Ich habe das nie anders erlebt, im Jugendinternat des VfBStuttgart nicht und auch nicht in den Juniorenteams des DFB. Mit Dennis Aogo oder Jerome Boateng zum Beispiel spiele ich schon seit der U15 zusammen. Wir kennen das gar nicht anders: Es gibt Spieler, die Khedira, Aogo oder Boateng heißen, und es gibt solche, die Müller heißen. Ich finde, davon profitieren wir alle.

SZ: Inwiefern?

Khedira: Es entsteht einfach ein ganz spannender Mix. Jeder lernt die Kultur des anderen kennen und auch, wie man in anderen Ländern über Fußball denkt. Aber auch fußballerisch sieht man unserem Team die gelungene Mischung an: Wir strahlen vorne eine gewisse südländische Leichtigkeit aus und defensiv eine unwahrscheinlich hohe Disziplin. Afrikanischen oder südländischen Mannschaften wird ja gerne mangelnde Disziplin nachgesagt, das ist bei uns definitiv nicht so, da sind wir alle sehr deutsch. Bei uns arbeiten alle unheimlich hart gegen den Ball, aber gleichzeitig ist immer ein gewisser Spaß vorhanden. Alle wollen kicken, wie früher auf dem Bolzplatz.

SZ: Können Sie mal konkret erklären, was zum Beispiel Özil der Mannschaft gibt oder Cacau?

Khedira: Cacau gilt nicht, wir nennen ihn ja Helmut. Er ist ein typischer Deutscher. Aber im Ernst: Natürlich sieht man im Spiel immer wieder Bewegungen, die man auf einem Jugendinternat einfach nicht lernen kann. Mesut kann Dinge, die nicht viele können, aber auch Cacau, also Helmut, ist enorm agil und beweglich. In der Offensive haben wir, auch dank der unterschiedlichen Wurzeln, schon viele Möglichkeiten, den Gegner auszuspielen. Aber das geht nur, wenn wir auch die deutschen Tugenden betonen. Sonst funktioniert es nicht.

SZ: War die U21-Europameisterschaft im vergangenen Sommer eine Art Probelauf für die WM 2010? Da waren sogar noch mehr DFB-Nationalspieler mit Migrationshintergrund dabei.

Khedira: Auf jeden Fall. Ich glaube, dass die Öffentlichkeit da anfangs schon noch etwas kritisch hingeschaut hat, nach dem Motto: Die wollen alle für Deutschland spielen? Aber die Leute haben dann bald gemerkt: Die Jungs hier spielen gerne für Deutschland, die zerreißen sich für Deutschland, und die können auch richtig gut Fußball spielen. Ich glaube, dass es Deutschland jetzt auch leicht fällt, sich mit uns zu identifizieren.

SZ: Vor allem die internationalen Medien schwärmen nach dem 4:0 gegen Australien von der Leichtigkeit der deutschen Multikulti-Mannschaft. Kennt Ihre Generation überhaupt noch die deutschen Panzer?

Khedira: Wen?

SZ: Die deutschen Panzer. Als solche werden deutsche Nationalmannschaften fast seit Jahrzehnten verunglimpft - wegen des kraftvollen, wenig ästhetischen, am Ende aber meist siegreichen Stils.

Khedira: Diese Debatten sagen uns gar nichts mehr. Die erste WM, an die ich mich erinnern kann, war die von 1998. Da war ich elf Jahre alt und hab das natürlich nicht so hintergründig betrachtet. Wie gesagt: Für uns ist das, was da gerade passiert, völlig normal.

SZ: Ihre Biographie ist die eines typischen Migrationskindes. Ihre Eltern haben sich in Tunesien kennengelernt, Ihr Vater kam dann später nach Deutschland nach, wo er inzwischen seit knapp 30 Jahren lebt.

Khedira: Das war damals eine sehr mutige Entscheidung meines Vaters. Das war ja nicht leicht, damals ohne Ausbildung einfach so nach Europa zu kommen, aber er hat eben auf sein Herz gehört. Er hat seinen Job in einer Stahlbaufirma übrigens immer noch, trotz der Wirtschaftskrise, das ist schon eine Leistung. Er hat auch Deutsch nicht in irgendeiner Schule gelernt, er ist einfach raus auf die Straße gegangen. Er hat sich durchgesetzt.

SZ: Sprechen Sie noch Arabisch?

Khedira: Leider kaum, ich bereue das inzwischen ein bisschen. Ich habe ja noch sehr viele Verwandte in Tunesien, mit denen ich mich gerne besser verständigen würde. Aber als Kind hatte ich natürlich deutsche Freunde, da wollte ich nicht arabisch sprechen.

SZ: Zuletzt ist wieder die etwas gefährliche Debatte aufgekommen, warum so viele der aktuellen deutschen Nationalspieler - unter anderem Sie - die Nationalhymne nicht mitsingen.

Khedira: Meine Meinung ist, dass Singen nichts damit zu tun hat, ob ich mich mit einem Land identifiziere. Bei mir kann sich jeder hundertprozentig darauf verlassen, dass ich mich wie ein Deutscher fühle. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, für mich kam nie eine andere Nationalmannschaft in Frage. Ich bin der Meinung, dass ich nicht mit Singen irgendetwas vorspielen oder künstlich demonstrieren muss.

SZ: Wird in der Mannschaft denn über dieses Thema gesprochen? Sagen die Nicht-Sänger: Kommt, lasst uns singen, bevor die Debatte weitergeht?

Khedira: Wir reden manchmal drüber, aber ein großes Thema ist das nicht. Dass ich nicht singe, liegt ja auch daran, dass ich Respekt vor meinem zweiten Heimatland habe und vor dem Teil meiner Familie, der dort noch lebt. Aber auch dieser Teil der Familie weiß: Der Sami ist Deutscher und will mit Deutschland Weltmeister werden.

© SZ vom 16.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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