WM-Qualifikation:Island will mehr sein als nur "Huh!"

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So sah es zumeist aus, als Islands Fußballer in Frankreich bei der EM spielten - und laut war's. (Foto: Abedin Taherkenareh/dpa)

Islands Fußballer haben sich in Europa etabliert, seit der EM kennt jeder die Gunnarssons und Sigþórssons - der Nationaltrainer hat dafür eine eigene Erklärung. Ein Besuch in Reykjavík.

Von Silke Bigalke

Heimir Hallgrímsson lebt auf den Vestmannaeyjar, einer kleinen Inselgruppe im Süden Islands, 4200 Einwohner, vulkanischer Ursprung, Hochseeklima, häufig stürmt es. Einen solchen Ort kann wenig erschüttern. Auch nicht, wenn das kleine Island das ja immer noch ziemlich große England bei einer Fußball-Europameisterschaft rauswirft - mit einem Nationaltrainer an der Seitenlinie, der ein Eingeborener ist. "Man kommt dort an und wird sofort derselbe Mensch, der man schon immer war", sagt Heimir Hallgrímsson über seine Insel. Freunde, Familie, "nichts ändert sich wirklich. Man kann man selbst sein".

Mal davon abgesehen natürlich, dass nun gelegentlich die internationale Presse darüber berichtet, wie Heimir Hallgrímsson ganz er selbst ist. Zum Beispiel im August, als sich eine Fußballerin während eines Spiels auf den Vestmannaeyjar den Zahn ausgeschlagen hat. Der Trainer, der auch Zahnarzt ist, war unter den Zuschauern und hat sie gleich in seine Klinik gebracht. Die Spielerin hat ein Foto von der OP getwittert: "Mal coacht er Island in einem internationalen Turnier, mal bringt er mich in seine Praxis und repariert einen Zahn. Whataman."

Jetzt hat Heimir Hallgrímsson drei Stunden auf der Fähre hinter sich und eine im Auto. So lange braucht er von den Vestmannaeyjar nach Reykjavík. Er sitzt in einem Konferenzraum im sonst leeren Stadion, dort hat der isländische Fußballverband seinen Sitz. Nachdem es die Isländer bei ihrer ersten EM-Teilnahme im Sommer 2016 gleich ins Viertelfinale geschafft haben, sind die Erwartungen hoch. Heimir Hallgrímsson schiebt den Laptop beiseite, er strahlt die Art Ruhe aus, die sich sofort auf andere überträgt. Solange alles gut läuft, ist seine Strategie simpel: weitermachen wie bisher.

Dafür muss er zum Beispiel ins Pub. Seit viereinhalb Jahren treffen er und die Spieler sich dort vor jedem Spiel mit ihrem Fanklub. Am Anfang waren es ein paar Dutzend, jetzt sind es ein paar Hundert, die sich in die Kneipe drängen. "Ich habe gedacht, wenn ich alleiniger Trainer werde, ist es vielleicht Zeit, damit aufzuhören", sagt er. Der Schwede Lars Lagerbäck hat das Team nach der EM als Trainer verlassen. Die beiden hatten bisher gleichberechtigt zusammengearbeitet, Hallgrímsson sagt nun, dass er Lagerbäck sogar mehr vermisse als er es erwartet hatte.

An der Pub-Tradition hält er fest, weil er nicht noch mehr verlieren möchte, was sein Team auszeichnet. Bodenhaftung gehört dazu. "Es wäre ein dummer Zeitpunkt, damit aufzuhören", sagt Heimir Hallgrímsson: "Wenn du denkst, dass du zu groß geworden bist, hast du etwas verloren, das du vorher hattest."

Die isländischen Fans sind in Frankreich mit ihrer "Huh"-Choreografie ja ohnehin fast ebenso gefeiert worden wie die Fußballer. "Weil wir so wenige sind in Island, kennt jeder jemandem aus dem Team persönlich, deswegen ist die Unterstützung so groß und so fantastisch in Island", sagt der Trainer. Berührungsängste gibt es nicht. Die Leute kämen zu ihm, sagt er, und erzählten, wo sie gerade waren, als Island England geschlagen hat.

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Überhaupt sind die Isländer einander durch den Fußball wieder näher gerückt, nach dem ganzen Mist der vergangenen Jahre: Bankencrash, Finanzkrise, Panama Papers. Der Sommer 2016 werde dafür in Erinnerung bleiben, "dass er die Isländer geeint hat", sagt Hallgrímsson: "Das war, was wir wirklich gebraucht haben, denn es gab eine Menge negatives Gerede." Zweitens hat der Fußball noch mehr Touristen ins Land gebracht: "Island wurde etwas, über das alle geredet haben. So eine Werbung kann man gar nicht kaufen."

Wird es anhalten? Niemand wird die Isländer nach der Europameisterschaft im Sommer in Frankreich mehr unterschätzen, diesen Vorteil haben sie verloren. "Die Leute respektieren uns mehr, werden wahrscheinlich anders gegen uns spielen. Das ist zum Beispiel kürzlich gegen Finnland passiert", sagt Hallgrímsson. Gewonnen haben die Isländer trotzdem, genauso wie gegen die Türkei. Gegen die Ukraine ging es unentschieden aus, soweit die Bilanz der ersten Spiele in der Qualifikation zur WM 2018. "Jeder will jetzt Island besiegen", sagt der Trainer.

Seine Strategie ändern möchte er trotzdem nicht, "zumindest nicht öffentlich", sagt er und grinst. Ein Bluff also? Ja und nein. "Wir haben eine Formel gefunden, mit der wir Erfolg haben. Wenn etwas funktioniert, wäre es dumm, es zu ändern." Flexibler möchte er trotzdem werden mit seinem Team. Außerdem muss er sich überlegen, wie er die Spieler nach der großen Euphorie motivieren kann, "es noch ein bisschen besser zu machen".

Er bleibt dabei bescheiden, auch wenn es um die Spiele in der WM-Qualifikation geht. "Selbst wenn wir das beste Spiel unseres Lebens spielen, kann Kroatien uns schlagen", sagt er. Weil Kroatien so gute Spieler habe, und wegen der "kroatischen Mentalität". Am Samstagabend siegte Kroatien mit 2:0 (1:0).

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Und was ist mit der isländischen Mentalität? Heimir Hallgrímsson lässt sich Zeit mit seiner Antwort, er möchte jetzt nichts Falsches sagen. Die Isländer beschreibt er dann vor allem als zupackend: "Wenn etwas getan werden muss, tun wir es einfach." Isländer, sagt er, machten sich lieber ans Werk anstatt lange darüber zu reden, und sie hörten nicht auf, bis sie eine Sache zu Ende gebracht haben. "So sind wir aufgewachsen. Ich denke, ein Grund dafür ist, dass wir hier nicht so viele Leute haben. Wir müssen es selber machen."

Wie funktioniert eine Fußball-Mannschaft, in der jeder alles selbst in die Hand nimmt? Auf den Sport übertragen bedeute es, dass es viele Anführer in der Mannschaft gebe, erklärt er. "Wenn man die dazu bekommt, zusammenzuarbeiten und trotzdem selber Verantwortung zu übernehmen, hat man ein richtig gutes Team."

Mit dieser Einstellung hat Heimir Hallgrímsson wohl auch den Zahn der unglücklichen Fußballspielerin wieder eingesetzt. "Ich habe sie gerettet", sagt er und lächelt, ein zahnarztweißes Lächeln. In Island ist es normal, mehr als einen Beruf zu haben, auch für einen Fußballnationaltrainer. Inzwischen arbeiten in seiner Klinik auf den Vestmannaeyjar zwar andere Zahnärzte für ihn. Heimir Hallgrímsson versucht dennoch, ab und zu Hand anzulegen. "Es ist jetzt wie ein Hobby für mich", sagt er: "Andere Trainer spielen Golf, für mich ist die Zahnmedizin eine gute Sache, um mich auf andere Gedanken zu bringen."

Eine kleine Spur hat die Europameisterschaft auf den Vestmannaeyjar dann aber doch hinterlassen: Ein Freund von Heimir Hallgrímsson, Brauereibesitzer und Koch der Nationalmannschaft, hat dort ein Bier nach ihm benannt. Wie schmeckt ihm Heimir Pale Ale? "Ich mag Bier nicht so sehr, deswegen weiß ich nicht, was ein gutes Bier ist." Vielleicht hätten die Franzosen lieber einen Rotwein nach ihm benennen sollen? "Oder einen Cognac", sagt er: "Ich hätte liebend gerne einen Cognac mit meinem Namen."

© SZ vom 12.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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