Wintersport:Was der alpine Ski-Sport aus Verletzungen lernen kann

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Kontrollverlust: Aksel Lund Svindal stürzt in Kitzbühel und erleidet einen Kreuzbandriss. (Foto: Joe Klamar/AFP)
  • Auffallend viele prominente Fahrer hat es in diesem alpinen Winter schon erwischt.
  • Man sollte die Athleten nicht aufwendiger schützen, sondern intelligenter.
  • Aber auch das cleverste System wird nie umfassende Sicherheit bieten können.

Von Johannes Knuth, München

Die Hubschrauber-Crew war dann mal weg. Gerade hatte die Luftrettung in Garmisch-Partenkirchen noch den Super-G der Frauen am Sonntag verfolgt, ganz entspannt im Zielraum. Dann rauschte die Schweizerin Corinne Suter in ein Tor und überschlug sich. Wenn ein Skifahrer- körper sich derart biegt, reißen fast immer diverse Bänder, am Abend setzten die Schweizer dann aber doch eine milde Diagnose ab: Oberschenkelprellung und Gehirnerschütterung. Alles halb so wild.

Die alpinen Skirennfahrer erleben derzeit einen, vorsichtig formuliert, schwierigen Winter. Vor der Ouvertüre in Sölden hatte sich unter anderem Anna Fenninger, Gesamtweltcupsiegern aus Österreich, für die gesamte Saison in den Krankenstand verabschiedet. Auch während der Saison häuften sich die Krankmeldungen, Mikaela Shiffrin, Josef Ferstl, der deutsche Abfahrer, dazu zehn (!) Abfahrer aus Österreich. Die berüchtigte Streif in Kitzbühel nahm sich gleich fünf Piloten, darunter Hannes Reichelt/Österreich und Norwegens Aksel Lund Svindal, die Besten ihres Fachs. Am Wochenende erwischte es auch den Franzosen Maxence Muzaton, Kreuzbandriss.

So kann es nicht weitergehen, diese Wortmeldungen waren in den vergangenen Wochen immer wieder zu vernehmen. Aber ist die Lage tatsächlich besorgniserregend? Oder sieht vieles schlimmer aus, als es ist?

Mehr Verletzungen im DSV

Wenn es nach Atle Skaardal geht, Renndirektor des Welt-Skiverbandes Fis bei den Frauen, verzeichnen sie in diesen Tagen nicht unbedingt mehr Verletzungen. Sondern mehr Aufmerksamkeit. "Es hat einige prominente Athleten getroffen. Die Öffentlichkeit bekommt das mehr mit, als wenn sich einer mit Startnummer 50 verletzt", sagt Skaardal. Er wolle sich nicht rausreden, "wir müssen weiterarbeiten", beteuert er. "Aber die Leute sehen die Verletzungen und glauben, man brauche nur eine Lösung. Die gibt es nicht."

Die Fis führt über alle Verletzungen ihrer Athleten Buch, zumindest im Weltcup. Zwischen 2006 und 2015 hat sie 808 Verletzungen registriert. Bis vor zwei Jahren nahmen die Ausfälle ab, in den vergangenen zwei Wintern leicht zu, 2014/15 waren es etwas mehr als 30 in Wettkampf und Training. Die interessanteste Ziffer fehlt freilich, die für die aktuelle Saison. Die zuständigen Forscher befragen die Athleten erst beim Weltcup-Finale im März. Karlheinz Waibel, Bundestrainer im Deutschen Skiverband für Wissenschaft und Technologie, ist jedenfalls skeptisch, was Skaardals These bezüglich der Krankmeldungen betrifft. "Wir haben im DSV schon jetzt mehr Verletzungen als die Jahre zuvor", sagt er.

Zum Beispiel wegen des launischen, warmen Winters. Die Pistenarchitekten müssen die Strecken derzeit mit aggressivem Kunstschnee füllen, die Skier reagieren auf dieser Unterlage abrupter auf Kommandos oder Fahrfehler; auch deshalb hatten sie den Anteil an Kunstschnee in den vergangenen Jahren gesenkt. Die aufflammenden Debatten überraschen Waibel aus einem anderen Grund. "Die Mechanismen, die zu den Verletzungen führen, sind ja seit einer Weile bekannt", sagt er.

Zwei Konstanten lassen sich aus der Fis-Datenbank seit 2006 heben: Fast die Hälfte aller Verletzungen (47 Prozent) betrafen Gelenke und Bänder, 40 Prozent die Knie. Auch, weil die Bindungen bei einem Sturz nicht sofort die Schuhe freigeben. "Diese alten mechanischen Bindungssysteme sind weit von intelligenten Schutzsystemen entfernt", sagt Waibel. Man müsse nicht unbedingt neue Maßnahmen beschaffen, noch mehr Sicherheitszäune zum Beispiel, sondern die bestehenden Systeme modernisieren. Sie haben im DSV vor ein paar Jahren eine Präventhese entwickelt, eine Schiene fürs Knie, sie soll vor Bänderverletzungen schützen.

Heute setzen die Fahrer sie seltener ein, sie störe beim Fahren, sagen sie. Der Athlet, sagt Waibel, dürfe halt nur beeinträchtigt werden, wenn er in Not gerate. Wie beim Airbag. Die neue Schutzweste bläst sich erst auf, wenn der Fahrer die Kontrolle verliert; die derzeitigen Modelle bringen nur noch Nachteile bei der Aerodynamik mit sich. Die Hersteller tüfteln weiter, auch an einer Art Airbag fürs Knie. Aber wer tüftelt, braucht Zeit und vor allem: Geld. "Da kann man nur alle auffordern", sagt Waibel, Hersteller, Verbände, die Fis.

Letztlich, glaubt Waibel, wird selbst das cleverste System nie umfassende Sicherheit gewähren, auch das sei keine Neuigkeit. "Wir bewegen uns im Skisport immer am Limit, das ist das Wesen des Sports", sagt Waibel, "da wird es immer zu Stürzen und Verletzungen kommen." Und überhaupt: "Wir kontrollieren mehr, und mehr, und mehr", hat Fis-Pistenbauer Bernhard Russi einmal gesagt: "In der Abfahrt versuchen wir sogar, die Gefahr zu kontrollieren. Aber wenn die Gefahr nicht mehr sichtbar ist", durch begradigte Strecken und fehlende Wellen im Terrain zum Beispiel - "dann wird es erst richtig gefährlich."

© SZ vom 09.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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