Wimbledon-Start:Müll und Wäsche helfen Djokovic

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Nur Training auf Rasen: Novak Djokovic (rechts) und sein Coach Boris Becker. (Foto: dpa)
  • Federer spielte in Halle, Murray in Queens: Nur Novak Djokovic startet in Wimbledon ohne Matchpraxis auf Rasen.
  • Da rechnet sich sogar sein erster Gegner, Philipp Kohlschreiber, Chancen aus.
  • Hier geht es zu den Erstrunden-Spielen in Wimbledon.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Seltsame Wolken sorgten für ein schrecklich diffuses Licht über den Hügeln im Südwesten Londons, das Tragen einer Sonnenbrille war ratsam in dieser Gegend, die ungefähr wie Blankenese aussieht, nur ohne Wasser. Dass sich die meisten jener Menschen, die am oberen Ende der Church Road in einer endlosen Schlange campierten, indes ohne Augenschutz vor ihren Zelten aufhielten, lag daran, dass sie die Sichtbedingungen gewohnt sind. Hier harren ja all jene geduldig aus, die auf Restkarten hoffen, notfalls eben die ganze Nacht. Abzubringen sind viele nicht mal von Regen, der dann auch noch am Nachmittag einsetzte; in dieser Woche immerhin droht diesbezüglich keine weitere Gefahr. Es soll trocken bleiben, ein Segen.

Denn an diesem Montag beginnt es ja wieder, das berühmteste Tennisturnier - The Championships, Wimbledon.

Drei Worte, die allein dafür sorgen, dass auch im Juni 2015, ehe der erste Ball fliegt, Hunderte von Fans ihr Warten auf Einlass mal wieder in ein Ereignis verwandeln. Die zig Arbeiter, Security-Leute und Reporter, die schon innerhalb des All England Lawn Tennis and Croquet Club in Stellung gehen, wirkten im Vergleich dazu regelrecht hektisch, vor allem zur Mittagszeit, als ein letztlich blinder Feueralarm eine Räumung des Centre Courts nötig machte.

Wie ein Zeichen wirkte dieses Störmanöver, nach dem Motto: genug gewartet. Und auch: genug gefeiert. Was gab es nicht für bestens besuchte VIP-Abende, die herrlich sperrige Namen trugen wie "The Ralph Lauren and Vogue Wimbledon Summer Cocktail Party". Oder die "WTA Pre-Wimbledon Party presented by Dubai Duty Free". Dort zeigte sich Ana Ivanovic erstmals mit Bastian Schweinsteiger auf dem roten Teppich. Aber um zu verstehen, worum es im Stadtteil SW 19 geht, reichte ein Blick - ins Gesicht von Novak Djokovic. Da war am Sonntag wenig von jener Ausgelassenheit zu sehen, die der Titelverteidiger jüngst beim Spaßturnier im Stoke Park namens "The Boodles" demonstriert hatte.

Die großen sportlichen Themen sind also endlich angerichtet, zum Beispiel nahmen fast alle männlichen Top-Profis Stellung zu Serena Williams' Chance, den Saison-Grand-Slam gewinnen zu können; in Melbourne und Paris hat die Amerikanerin schon gesiegt. Rafael Nadal lobte ihre "Power", Andy Murray zollte der "phänomenalen Athletin" seinen "Respekt"; den teilte auch Roger Federer. Der Schweizer wiederum ist selbst Teil einer Debatte, er strebt seinen achten Titel an. "Ich hatte die beste Vorbereitung auf Wimbledon, die ich je hatte", verkündete er.

Dem 33-Jährigen, der seit 2012 kein Grand-Slam-Turnier mehr gewann, wird am leichtesten auf Rasen sein lange ersehnter 18. Slam-Triumph zugetraut. Normalerweise würde man seine Favoritenrolle relativieren, Djokovic hatte sich in den vergangenen Monaten meist als zu stark für die Konkurrenz erwiesen. Aber Djokovic hat unlängst das Finale in Paris verloren, gegen den Schweizer Stan Wawrinka, und er hat außer Showmatches keinen Ernstfall auf Gras erlebt, obwohl die Grassaison ja zur Freude aller um eine Woche ausgedehnt wurde. Murray hat, zum Vergleich, im Queen's Club reüssiert, Nadal in Stuttgart, Federer in Halle.

Eine pikante Ausgangslage, doch man kann es auch so sehen: "Ich würde dem keine Rolle zukommen lassen, dass Novak ohne echtes Match ins Turnier geht", sagt Stephan Fehske. Der ist zwar Trainer von Philipp Kohlschreiber, aber er kennt auch Djokovic bestens, Kohlschreiber und der Serbe trainieren oft zusammen. Und, welch Pointe, nun sind sie Erstrundengegner. "Gar nicht so negativ", habe Kohlschreiber diese Nachricht aufgenommen, dass er, da nicht mehr gesetzt, gleich den Weltranglisten-Ersten vorgesetzt bekommt.

Das Skurrile ist, dass ihm bei diesem Denken Niederlagen helfen, es waren aber verdammt knappe. Der beste deutsche Profi in der Weltrangliste (33.) hat gegen Murray und Federer in dieser Saison je nur 6:7 im dritten Satz verloren, "es bringt nichts, zu lamentieren", sagt Fehske, der neben seinen vielen Aufgaben - Manager von Kohlschreiber ist er auch - den Daniel Düsentrieb gibt: Als Dauertüftler sucht er Schwächen bei Gegnern, auch bei Djokovic, der kaum Schwächen hat. Oder?

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Wie der in Form ist, konnte ihnen nun Alexander Zverev, 18, berichten, das Talent hatte Djokovic beim "Boodles"-Event klar besiegt. Muss man nicht hochhängen, "aber Sascha", so wird Zverev gerufen, "konnte doch sagen, wie zwingend sein Spiel ist". Zverevs Eindruck war: Djokovic ist noch nicht der alte. Er selbst hatte ja gesagt, er musste nach den French Open "mental" eine Pause nehmen. Hausarbeit habe ihm geholfen, er habe auch Wäsche gewaschen und sich um den Müll gekümmert.

So, wie Fehske das schildert, scheinen sie an den Scoop zu glauben; Kohlschreiber, versichert der Coach, sei bereit. Seinen tiefen Rückhand-Slice hat er nochmal ein bisschen tiefer und ekliger getrimmt, seine Angriffe, wenn er eine Chance im Ballwechsel erkennt, seien kompromissloser. Das Duell der beiden beginnt an diesem Montag um 14 Uhr; dem Vorjahressieger gebührt traditionell das Privileg, das Turnier zu eröffnen. Erst zwei Mal in der Geschichte ist der Titelverteidiger gescheitert. Djokovic kennt diese Gefahr. "Wenn du Kohlschreiber in der ersten Runde hast, denkst du nur an diese Runde", sprach er - und lächelte doch einmal.

© SZ vom 29.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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