Vincenzo Nibali bei der Tour de France:Probleme nur beim Wangenbusserl

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Nahezu durchgehend im Gelben Trikot: Vincenzo Nibali (Foto: Getty Images)

Als Kind radelte Vincenzo Nibali seinen Hausberg Ätna hinauf, nun gilt er als großer Tourfavorit. Nahezu unangreifbar fährt der Italiener vorneweg. Seine bisherigen Teams haben allerdings einen zweifelhaften Ruf.

Von Johannes Aumüller, Saint-Etienne

Der Mann, der da auf den Anstiegen der Dolomiten voraus fuhr, sollte also Christopher Froome sein. Er sah zwar nicht aus wie Christopher Froome, sondern ein paar Jahrzehnte älter, er war auch kein Brite, sondern ein Italiener, und er saß noch nicht einmal auf einem Fahrrad, sondern auf einem Motorroller. Aber ansonsten war es ein voll und ganz vollwertiger Christopher Froome. Am Ende einer mehrstündigen Trainingsphase fuhr er also noch einmal einen Anstieg hoch, zunächst in Normal-Tempo, dann beschleunigte er für 20 bis 30 Sekunden, dann ließ er es wieder ruhiger angehen.

Und immer ein paar Meter hinter dem Moped-Mann fuhr: Vincenzo Nibali.

Mit dieser Froome-Simulation hatte sich der 29-jährige Italiener auf die Tour de France vorbereitet. Sein Trainer Paolo Slongo hatte die Leistungsdaten des großen Favoriten Froome genau studiert, jetzt sollte sein Schützling lernen, wie er dessen Attacken parieren kann. Doch wenn es ab diesem Freitag mit den ersten Alpen-Etappen in die entscheidende Phase der Frankreich-Rundfahrt geht, kann Nibali gar nicht richtig zeigen, ob er das auch gelernt hat.

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Es soll nicht klappen mit dem Tour-Tageserfolg für John Degenkolb. Auf der zwölften Etappe hat er im Zielsprint Pech - der Sieg geht an den Norweger Alexander Kristoff. Der Italiener Vincenzo Nibali verteidigt das Gelbe Trikot souverän.

Froome ist in der ersten Woche verletzt ausgestiegen. Ebenso diverse andere Klassementfahrer: der Spanier Alberto Contador, der Luxemburger Andy Schleck, der Amerikaner Andrew Talansky. Andere verloren durch Stürze viel Zeit.

Nur Vincenzo Nibali, 2010 Vuelta- und 2013 Giro-Sieger, fährt nahezu unangreifbar vorneweg. Schon zwei Etappen hat er gewonnen, selbst die schwierigen Regen- und Kopfsteinpflastertage in Frankreichs Norden überstand er makellos; das Einzige, was bisher danebenging, war sein Versuch, bei einer Siegerehrung der jungen Dame neben sich das obligatorische Wangenbusserl zu geben - die Dame hatte das nämlich nicht bemerkt und sich schon weggedreht, Nibali stand etwas bedröppelt da.

Aber das macht ihm auch nichts, seit der zweiten Etappe trägt er nahezu durchgehend das Gelbe Trikot, einmal hat er es für einen Tag generös dem Franzosen Tony Gallopin überlassen - und vieles deutet darauf hin, dass er es bis zum Ende der Tour in Paris behalten kann.

Dazu erscheint Nibalis Gesamtpaket einfach zu komplett: In den Bergen ist er top, nicht nur in den Anstiegen, sondern vor allem auch in den Abfahrten, wo er sich mit seiner rasanten Fahrweise früher den Spitznamen "Hai von Messina" erwarb. Auch seine Zeitfahrqualitäten sind für einen Bergfahrer gut, als Junior gewann er in dieser Kategorie sogar mal WM-Bronze.

Nur eines könnte ihm, neben den üblichen Unwägbarkeiten wie einem Sturz, wohl in die Quere kommen: sein Stil. Nibali fährt nicht wie ein Patron, der das Geschehen kontrolliert, sondern geht oftmals auf Angriff. Bei seinem Giro-Sieg attackierte er trotz Führungsposition permanent, was Eddy Merckx zu höchstem Lob ("Er macht das wie ich früher") verleitete und die Gazzetta dello Sport zum Wortspiel "CanNibali" - in Anlehnung an Merckx' alten Spitznamen "der Kannibale".

Manchmal hat ihn eine strategisch unkluge Attacke allerdings auch schon um den Lohn gebracht. Den Italienern gilt er in einem etwas irritierenden Vergleich trotzdem als neuer Marco Pantani: Der 2004 wegen Kokainkonsums verstorbene Fahrer war der letzte Italiener, der die Tour gewann (1998).

Es ist ein Stil, den Nibali gerne mit seiner Biographie erklärt. Er kommt aus eher bescheidenen Verhältnissen in Sizilien, wo er schon als Kind seinen Hausberg Ätna hinaufradelte - und sich zur Not mit den Eltern vom Auto hochziehen ließ, wenn die Kraft ausging. Schon früh habe er erkannt, dass er nur gewinnen könne, wenn er angreife, sagte er einmal. Bereits in Jugendjahren ging er nach Norditalien, dann folgten Anstellungen bei Fassa Bortolo und Liquigas, seit 2013 steht er für angeblich drei Millionen Euro jährlich bei Astana unter Vertrag - Teams mit zweifelhaftem Ruf.

Zahlreiche Dopingaffären gab es bei Liquigas, bei den Ermittlungen der amerikanischen Anti-Doping-Agentur zum Betrugssystem von Lance Armstrong berichtete ein früherer Fahrer, dass er gemeinsam mit diversen anderen Profis aus dem Team mit dem einschlägig bekannten italienischen Sportmediziner Michele Ferrari, genannt "Dottore Epo", zusammengearbeitet habe (Nibali nannte er nicht).

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In der Vita von Nibalis aktuellem Sportlichen Leiter bei Astana, Giuseppe Martinelli, steht unter anderem eine Zusammenarbeit mit Marco Pantani bei Mercatone Uno und eine Tätigkeit bei Saeco im Jahr 2002 - dem Jahr, als die italienische Mannschaft wegen der Positivtests ihres Frontmannes Gilberto Simeoni von der Tour ausgeschlossen wurde. Astanas Teammanager wiederum, der Kasache Alexander Winokurow, war in seinen aktiven Jahren des Fremdblutdopings überführt worden.

Kurz vor der Frankreich-Rundfahrt debattierte die Szene zudem den Fall des Tschechen Roman Kreuziger, den sein aktueller Arbeitgeber Saxo-Tinkoff wegen unregelmäßiger Blutwerte abzog - die Werte gehen zurück auf seine Zeit bei Astana 2011/2012. Nibalis Landsmann Michele Scarponi, einer seiner wichtigsten Helfer bei der Tour, war sowohl Kunde des spanischen Blutpanschers Eufemanio Fuentes als auch von Ferrari. Vor ein paar Jahren erhob ein Funktionär eines rivalisierenden italienischen Teams den konkreten Vorwurf, Nibali habe ebenfalls mit "Dottore Epo" zusammengearbeitet. Nibali wies das zurück: Er habe niemals Kontakt zu Ferrari gehabt.

© SZ vom 18.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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