Vierschanzentournee:Tande wird immer besser - auch ohne Training

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Daniel-André Tande bei der Qualifikation in Innsbruck (Foto: Adam Pretty)

Der Norweger kann nach dem Sieg in Garmisch die Vierschanzentournee gewinnen. Dabei verblüfft der 22-Jährige die Konkurrenz mit seinem Erfolgsrezept.

Von Volker Kreisl, Innsbruck

Die Jacke ist zugezippt bis zum Kinn. Auf dem Kopf sitzt eine Mütze, noch mal überstülpt von einer Kapuze. Daniel-André Tandes Gesicht ist selbst hier im Warmen, im Inneren eines Gebäudes, eingerahmt von Funktionsstoff, das ist sein Stil. Die Tournee ist voll im Gange, aber Tande wirkt ungerührt. "Ich war schon immer eine ruhige Person", sagt er. "Sie wissen schon: cool. Relaxed."

Momentan findet aber gerade sehr viel statt, unter ihm, über ihm und um ihn herum. Unter ihm fliegt viel Luft hindurch, wenn der Skispringer Tande weit fliegt, wie zuletzt in Garmisch-Partenkirchen, wo er mit seinem Sieg die Chancen auf den Sieg bei der 65. Vierschanzentournee wahrte. Als Dritter der Gesamtwertung liegt er etwa sechs Meter hinter dem Führenden Kamil Stoch aus Polen. Über ihm befindet sich gewissermaßen eine Skisprungabteilung, die dringend einen Gewinner präsentieren möchte, damit sie mal wieder herauskommt aus dem Schatten, den Alpine und Langläufer werfen. Und um ihn herum nimmt die Vierschanzentournee Fahrt auf, schon an diesem Mittwoch in Innsbruck kann sich einer der Führenden - Stoch, der Österreicher Stefan Kraft oder eben Tande - entscheidend absetzen.

Um bereits mit 22 Jahren so eine Situation zu beherrschen, braucht man mehr als nur Coolness; cool tun kann jeder. Man benötigt echtes Selbstbewusstsein, nicht schaden kann auch ein Schuss Selbstironie, und vielleicht muss man auch ein bisschen verrückt sein. Daniel-André Tande zum Beispiel verlässt sich auch mal auf seinen Aberglauben. Weshalb er seit Saisonbeginn nicht mehr trainiert.

In Kuusamo im November ist ihm nach einem intensiven und neu angelegten Sommer-Aufbau ein erstklassiger Sprung geglückt. Tande arbeitet nun zwar weiter an seiner Athletik und an seiner mentalen Stärke, aber Trainingssprünge lässt er seitdem weg, an den Wettkampf-Orten und zu Hause in Kongsberg. Er befürchtet, sein Flugsystem könne dabei durcheinander geraten, denn vielleicht findet er ja nach einem missglückten Sprung nicht wieder zurück in die Vollkommenheit von Anlauf, Absprung, Flug und Landung. Seit Saisonbeginn also nur Wettkämpfe: Qualifikation, erster Sprung, zweiter Sprung, sonst nichts. Und Tande wurde immer besser.

Dreimal wurde er Zweiter, dreimal Vierter, und nun Erster. "Er ist ein Sonnenschein fürs Team, er hat eine gewisse Unverdorbenheit, er kann sich noch an den kleinen Dingen freuen", sagt der Österreicher Alexander Stöckl, der die Norweger seit sechs Jahren trainiert. Sein Team hatte schon in der vergangenen Saison Aufsehen erregt, weil es in halber Fußballmannschaftsstärke im Weltcup bestach, und unter anderem den Skiflugweltmeister stellte, wobei die Gruppe derart überlegen war, dass der letzte Norweger auch oben auf dem Vorbau aufsetzen hätte können. Trotzdem hat das in Norwegen kaum jemanden bewegt. Mit Tande ist das jetzt anders, Stöckl sagt: "Es ist immer gut, einen ausgesprochenen Favoriten zu haben."

Nur zu relaxen reicht aber nicht aus, um die Tournee zu gewinnen. Tande hatte als Kind zwar verhältnismäßig bewegliche Fußgelenke, weshalb er einen geringen Schienbein-Ski-Abstand zustande brachte und sich flach auf die Luft legen konnte. Und weil er diese Technik früh bei Noriaki Kasai abschaute, dem 44 Jahre alten Skiflug-Weltmeister von 1992 und weiterhin springenden Zeitzeugen, hatte er auch bald Erfolge. Doch wehe, es klappte mal nicht. Dann, sagt Tande, habe er alles andere als cool reagiert, "denn ich war schon immer ein schlechter Verlierer".

Er sei immer einer von diesen Typen gewesen, die nach Niederlagen alles gleich pessimistisch sehen, er beschreibt es so: "Ich habe eine Schaufel genommen und ein großes Loch ausgegraben. Dann habe ich mich auf dem Rücken hineingelegt und die ganze Erde und den ganzen Dreck auf mich drauf geworfen." Das ist zwar nur eine Metapher, aber so ging das regelmäßig bei ihm, immer wieder. Zu seinem 16. Geburtstag schenkten ihm seine Eltern ein Mental-Training.

Ohne Mentaltrainer funktioniert es nicht

Tande blieb dabei. "Das ist wesentlich", sagt er, "ohne Mental-Training funktioniert es nicht auf Top-Niveau." Doch innere Ruhe reicht auf Dauer auch nicht aus, um nicht nur ein guter Verlierer, sondern ein verlässlicher Sieger zu werden. Im vergangenen Sommer stellte Tande deshalb vieles auf den Prüfstand, vor allem seinen Anlauf. Er probierte, testete und verglich. Die Umfänge hat er nicht erweitert, aber das Training stark verändert: "Ich habe auf die Feinheiten geachtet und ein Gefühl für Fehler entwickelt." Das war dringend nötig, Trainer Stöckl sagt: "Er hatte lange von seinem Talent gelebt, aber jetzt hat er erkannt, dass er auch hart arbeiten muss."

Für Gegner ist so etwas grundsätzlich bedenklich. Wenn ein Typ wie Daniel-André Tande mit großem Talent, sonnigem Gemüt und Kapuze auch noch ein Gefühl für die Feinheiten kriegt, dann ist er so gut wie am Ziel.

© SZ vom 04.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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