Überraschung bei Rugby-WM:Erinnerungen an die Apartheid

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Harumichi Tatekawa (Mitte) setzt sich gegen zwei Spieler von Südafrika durch. (Foto: Getty Images)
  • Südafrikas Rugby-Nationalmannschaft verliert sensationell gegen Außenseiter Japan.
  • Die Niederlage ist die Krönung einer andauernden Diskussion um die Nationalmannschaft.
  • Der Vorwurf: Trainer Heyneke Meyer benachteilige schwarze Spieler.

Von Tobias Schächter

Eigentlich, so scherzte Eddie Jones an diesem denkwürdigen Samstagabend in Brighton, "müsste ich mit meinen 55 Jahren in Barbados leben und Cricket schauen". Jones kann auf große Erfolge als Rugby-Trainer zurückblicken, 2003 führte der Tasmanier sein Heimatland Australien bis ins WM- Finale, das England gewann. Aber hätte sich der Sohn einer japanischen Mutter und eines australischen Vaters tatsächlich aufs Altenteil zurückgezogen, hätte er am Samstag die "größte Sensation in der Geschichte der Rugby-Weltmeisterschaften" ( The Guardian) verpasst.

Eddie Jones ist Trainer der Rugby-Nationalmannschaft Japans. Von 22 Spielen, die die Japaner bis Samstag bei der seit 1987 ausgetragenen WM bestritten, hatten sie nur eines gewonnen, 1991 gegen Simbabwe. Nun aber schlug die Auswahl von Jones 14 Jahre später als 1:1000-Außenseiter Südafrika mit einer Energieleistung durch den letzten Versuch von Karne Hesketh in der vierten Minute der Nachspielzeit mit 34:32. "Das", sagte Eddie Jones, "war eines der besten Spiele in der Geschichte der Rugby-WM." Die Japaner erhoffen sich durch den Erfolg nun Rückenwind für den Rugby- Sport, der hinter Fußball und Baseball nur eine Nebenrolle im Land spielt, 2019 ist Japan nächster WM-Gastgeber.

Spott ist nur eine kleines Problem des Titelfavoriten

Südafrika hat verloren. Gegen Japan. Die Sunday Times, die größte Wochen- zeitung Südafrikas, schrieb, das Nationalteam sei von einem japanischen Tsunami getroffen worden, der den Sport in seinen Grundfesten erschüttere. In Südafrika ist Rugby viel mehr als nur ein Sport. Und vielleicht hat das auch dazu geführt, dass sich einer der Titelfavoriten nun dem Spott der eigenen Fans und harter Kritik ausgesetzt sieht. Trainer Heyneke Meyer entschuldigte sich sofort für die Niederlage "bei der südafrikanischen Nation".

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Die WM-Kampagne der "Springboks", wie das Nationalteam genannt wird, startete ohnehin nicht unter den besten Voraussetzungen. Vor rund zwei Wochen hatte die kleine Oppositionspartei "Agency for new Agenda" vor dem High Court in Pretoria vergeblich den Entzug der Pässe der Rugby-Nationalspieler gefordert, damit deren Reise zur WM verhindert wird. Grund des Anstoßes: Trainer Meyer habe mehr als zwei Drittel Weiße in den Kader berufen, das torpediere bei einem Bevölkerungsanteil von zehn Prozent die Transformationsbemühungen der Regierung. Eine Gewerkschaft hatte den Rücktritt des Trainers gefordert, weil sich angeblich mehrere schwarze Spieler über eine Nichtnominierung beklagt hatten.

Viele schwarze Jugendliche spielen inzwischen Rugby, aber vor allem der Nachwuchs von den überwiegend von Weißen besuchten Privatschulen und Akademien schafft es nach ganz oben. Es entbrannte eine Debatte, manche Politiker forderten die Wiedereinführung des Quotensystems, das eine bestimmte Anzahl von schwarzen Spielern im Kader vorschrieb und 2004 abgeschafft wurde. Meyers Vorgänger Peter de Villiers, der erste schwarze Trainer der Nationalmannschaft, fühlte sich nun gar an die Zeit der Apartheid erinnert. Meyer wehrte sich, er suche die besten Spieler und stelle nicht nach Hautfarbe auf, auch die schwarzen Spieler im Team stimmten ihm zu.

Während der Apartheid galt Rugby als Sport der Weißen, das Springbok-Trikot symbolisierte deren Herrschaft. Als aber Nelson Mandela 1995 im Springbok-Shirt Francois Piennar, dem Kapitän der südafrikanischen Nationalmannschaft, den WM-Siegerpokal im Stadion in Johannesburg übergab, stand dieser Sport auch für Versöhnung und eine mögliche Überwindung der Kluft zwischen Schwarz und Weiß.

Ein frühes Aus ist möglich

Francois Piennar war am Samstag einer der ersten, die den Japanern für ihre "mutige Leistung" gratulierten. Die Presse aber geht hart mit den Verlierern ins Gericht, Meyers Entlassung wird gefordert. Er habe sein Versprechen nicht eingelöst, 30 Prozent schwarze Spieler zu nominieren und stattdessen verletzungsanfälligen Altvorderen wie Kapitän Jean de Villiers vertraut. Selbst ein frühes Aus wird nach der peinlichen Schlappe gegen Japan für möglich gehalten, nur die ersten Zwei aus den vier Fünfer-Gruppen ziehen ins Viertelfinale ein. Nächster Gegner ist am kommenden Samstag Samoa.

Eddie Jones wird übrigens auch nach der WM nicht in Barbados Cricket schauen. Er tritt eine neue Stelle als Trainer bei den Stormers in Kapstadt an - und wird angeblich der bestbezahlte Rugby-Trainer in Südafrika.

© SZ vom 21.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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