James Rodríguez bei der Fußball-WM:"Chames" - Held des neuen Kolumbien

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Will den WM-Titel: Kolumbiens James Rodriguez (Foto: REUTERS)

Schmale Schultern, jungenhaftes Aussehen, brave Antworten: Mit zwei Zaubertoren führt Mittelfeldspieler James Rodríguez Kolumbien erstmals ins Viertelfinale einer WM. Manche Experten stellen ihn schon auf eine Stufe mit Messi und Maradona.

Von Matthias Schmid

Bisher meldete sich Kolumbiens Staatspräsident Juan Manuel Santos stets telefonisch bei Nationaltrainer José Pekerman, um dessen Team nach Erfolgen zu gratulieren. Gestern ließ der Landesvater zusätzlich via Twitter "im Namen von ganz Kolumbien" seine Glückwünsche ausrichten - nach dem größten Fußballerfolg in der Historie der Cafeteros sind solche Elogen sicher angemessen. Doch es wird nicht mehr lange dauern, bis Santos sich einfach direkt an James Rodriguez wendet.

Vielleicht schon nach dem Viertelfinale am Freitag in Fortaleza, wenn die Kolumbianer auf Brasilien treffen. Der kleine Mann mit den schmalen Schultern ist auf bestem Wege einer der bekanntesten Fußballspieler des Planeten zu werden, schon jetzt ist er das Gesicht der laufenden WM-Kampagne. Als Kronzeuge für diese These diente ausgerechnet Óscar Tabárez, jener Trainer, der mit seinen Uruguayern gegen die sagenhaften Kolumbianer im Achtelfinale 0:2 unterlegen war. Er sagte hinterher: "Ich übertreibe nicht, wenn ich feststelle, dass James der beste Spieler der WM ist." Mehr noch: Er hievte den 22-Jährigen kurzerhand auf eine Stufe mit Lionel Messi und Diego Armando Maradona.

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Was ist dieser Überflieger, den sie in seiner Heimat in Anlehnung an Carlos Valderama "El nuevo Pibe" (der neue Bub) nennen, also für ein Typ? Es soll ja noch Menschen geben, die James Rodriguez' Vornamen englisch aussprechen. "Dschäims", so könnte er heißen. Aber nicht in Kolumbien. Spätestens seit seinen Auftritten bei dieser WM ist klar, dass der Spielmacher auf Spanisch "Chames" heißt. Und "Chames" hat es gegen Uruguay mit zwei Toren endgültig allen gezeigt.

"Dieses Tor wird nie vergessen werden. Das war pure Magie", schrieb die kolumbianische Zeitung El tiempo über die erste Wundertat des Mannes, den sie außerdem noch mit "Crack, Phänomen und hochbegabt" umschrieb. Rodriguez' Treffer zum 1:0 war so exquisit, dass er noch in der Nacht bis zum Ermüden auf Bildschirmen im Stadion und im ganzen Land als Dauerschleife wiederholt wurde. Diese 28. Minute des WM-Achtelfinales wird in die Geschichte Kolumbiens eingehen, ein funkelnder Moment, an den sich jedes Kind bis ins Greisenalter erinnern wird.

Und der ging so: Plötzlich flog der Ball auf Rodriguez zu, er stand mit dem Rücken zum Tor, etwa 23 Meter entfernt, er stoppte die Kugel mit der Brust, eher er sich in einer geschmeidigen Bewegung drehte und gleichzeitig schoss. Der Ball touchierte noch die Latte, bevor er hinter die Linie krachte. Bam, was für ein Jahrtausendwerk! Und der Perfektion so gefährlich nahe. Das Blatt El espectador sah einen Treffer von solcher Schönheit, "dass er in eine Kunstausstellung gehört". Für Ramadel Falcao, den verletzte Stürmerhelden, "war es das schönste Tor der WM." Also bitte, mindestens.

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Der Gepriesene stand hinterher im Bauch des Estádio do Maracanã. Wäre er nicht bedrängt von Hunderten von Journalisten aus aller Welt gewesen, man hätte ihn für einen Balljungen halten können. Jungenhaft wirkt er, schüchterner Blick, gerahmt von einem veritablen Babyface. "Ich bin superglücklich, das ist ein historisches Ereignis. Gegen Brasilien kommt das Härteste. Wir hoffen, dass wir noch weiterkommen", sagte Rodríguez. Er sprach leise und doch selbstbewusst - wie man eben so so daher kommt nach dem Spiel seines Lebens.

Auf dem Fußballplatz fühlt er sich wohler, da kann er sein Talent sprechen lassen. In jedem seiner vier Turnierspiele traf er bisher in Brasilien. Das war zuletzt Brasiliens Rivaldo und Ronaldo 2002 gelungen. Gegen Uruguay war "Chames" sogar doppelt erfolgreich, sein Treffer in der 50. Minute war so lässig wie schön, als er eine feine Kombination direkt abschloss. In der Torjägerliste hat er Messi, Neymar und Thomas Müller mit fünf Toren überholt. Bester Spieler der WM? Gut möglich.

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Dass er sich erst jetzt in den Fokus der Weltöffentlichkeit zaubert, überrascht ein wenig. Rodriguez selbst ist es schon gewohnt, dass sich die Welt um ihn dreht, seine Welt. Mit 15 spielte er bereits in der ersten kolumbianischen Liga. Mit 18 feierte er mit CA Banfield die argentinische Meisterschaft. Danach wechselte er zum FC Porto, gewann drei portugiesische Meisterschaften und die Europa League. In weiten Teilen Europas blieb er trotzdem nur ein kolumbianischer Nachwuchskicker, der bei der U-20-WM seinem Land viel Freude gemacht hatte. Sogar als er 2013 wie Falcao zum AS Monaco ging, nahm kaum jemand Notiz. Falcaos Wechsel löste wilde Debatten aus, weil er 60 Millionen Euro kostete. Für Rodriguez interessierte sich dagegen niemand, obwohl die russischen Monegassen 45 Millionen für ihn ausgaben.

Am Erstaunlichsten ist vielleicht, dass er sich von dem Hype um ihn herum bisher nicht vom Fußballspielen ablenken lässt. Natürlich träumt auch er von einem großen Klub. "Ich würde Real Madrid dem FC Barcelona vorziehen", sagte er keck - was in Spanien prompt zur Aufmachergeschichte beim Blatt Marca wurde. Anders als beispielsweise Valderrama rennt er viel auf dem Platz, vielleicht sogar mehr als der gelockte kolumbianische Held in seiner gesamten Karriere. James kann sich auch an der Defensivarbeit erfreuen. In den Gruppenspielen half er im defensiven Mittelfeld aus, bisweilen sogar mit astreinen Grätschen.

James Rodriguez mag die Vergleiche mit Valderama nicht besonders. Er steht ja auch für das neue Kolumbien - eine mehr oder weniger befriedete Demokratie, die die Jahre von Gewalt, Tod und Tristesse hinter sich lassen will. Es ist irgendwie ein wundersamer Sommer für das lateinamerikanische Land. Es laufen nach mehr als fünf Jahrzehnten bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen erneut Friedensverhandlungen mit der ältesten noch aktiven Guerilla-Organisation Farc. Und dann führt James Rodriguez die "Cafeteros" genau 20 Jahre nach dem Mord an Andrés Escobar erstmals ins Viertelfinale der WM. Escobar wurde nach seinem Eigentor 1994 in den USA nach seiner Rückkehr in Medellin erschossen.

Rodriguez soll ein besseres Kolumbien verkörpern. "Ich habe keine Angst, spüre keinen Druck. Für uns soll das noch nicht das Ende der Reise sein", sagt er, als er sich aufmacht in den Abend von Rio de Janeiro, seinen Abend. Mit einer eindeutigen Botschaft: "Wir wollen den Titel gewinnen." Dem Präsidenten dürfte das neue Selbstbewusstsein seiner Kicker freuen.

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