U-21-Torwarttrainer Thomforde:"Wenn du alles beherrschst, brauchst du keine Faxen"

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Starke Konkurrenten: Marc-André ter Stegen, r., und Bernd Leno im Training. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Einst ein Keeper mit ausufernden Emotionen, heute DFB-Torwarttrainer der U 21: Klaus Thomforde spricht über verrückte Torhüter und verrät, wann selbst der ruhige Marc-André ter Stegen laut wird.

Von Matthias Schmid, Prag

Klaus Thomforde war einer der aufregendsten Torhüter der Bundesliga. Der ausgebildete Finanzbeamte spielte mit sehr vielen Emotionen, er schrie, er rempelte und bejubelte gehaltene Bälle mit einer "Säge". Obwohl der heute 52-Jährige nicht mit der größten Begabung gesegnet war, kam er so beim FC St. Pauli auf 334 Spiele in Meisterschaft und Pokal. Heute arbeitet er als Torwarttrainer der U-21-Nationalmannschaft, die zurzeit die EM in Tschechen spielt.

SZ: Herr Thomforde, als einst impulsiver und lauter Torhüter sehen Sie nun Marc-André ter Stegen, der völlig ruhig und unaufgeregt die Bälle hält. Er schreit nicht und geht auch niemandem an den Kragen.

Klaus Thomforde: Jeder Torhüter hat seine Eigenarten, seinen eigenen Stil. Ich würde meinen als verbales Mitspielen bezeichnen. Es gibt natürlich Leitlinien, nach denen wir arbeiten. Aber wir wollen keine Schablonen als Torhüter haben, sondern die Stärken der einzelnen fördern. Und bei Marc ist es eben seine Ruhe.

Würden Sie sich manchmal wünschen, dass er seine Vorderleute lautstärker dirigiert?

Ich sehe nicht, dass er zu ruhig ist. Wir arbeiten seit eineinhalb Jahren zusammen. Und es sind nicht nur die Länderspiele, bei denen wir das tun. Ich war auch in Gladbach und in Barcelona, habe mir die Trainingseinheiten und die Spiele von ihm angeschaut. Da gab es Situationen, in denen er nicht so ruhig war. Er kann durchaus laut sein.

Sein großer Kontrahent bei der U 21, Bernd Leno, ist auch eher ein eher zurückhaltender Vertreter. Gibt es heute die verrückten, die extrovertierten Torhüter, wie Sie es oder auch Oliver Kahn waren, nicht mehr?

Die gibt es schon noch. Die Verrücktheiten lebst du aber nur aus, wenn du die Basistechniken nicht so gut kannst. Du willst dann einzelne Defizite mit anderen Komponenten ausgleichen. Wenn du alles beherrschst, brauchst du keine Faxen. Wenn ich mein Spiel mit dem meiner Jungs vergleiche, die ich hier trainiere, hatte ich überhaupt keine Basistechniken.

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Von Matthias Schmid

Sie hatten ja nicht mal einen Torwarttrainer.

Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt, weil ich keinen kennen gelernt habe. Da hat es eine enorme Entwicklung gegeben, von der heutige Torhüter extrem profitieren. Ohne anständiges Torwarttraining geht es heutzutage nicht mehr.

Die gute alte Gerry-Ehrmann-Schule mit viel Bodybuilding ist ausgestorben?

Nein, das denke ich nicht. Noch haben wir die Torwarttrainerausbildung in Deutschland nicht da, wo wir sie haben wollen. Jeder lehrt das, was er kennen gelernt hat. Solange wir uns nicht austauschen und Leitlinien vorgeben, glaubt jeder, dass sein Weg der beste ist. Das kann zwar eine Qualität sein, denn wir wollen die Kreativität der Torwarttrainer nicht einschränken. Ziel ist es aber, in der Torhüter-Ausbildung ein Leitbild zu schaffen. Wir beim DFB haben uns schon mal auf die drei Begrifflichkeiten Raum- und Zielverteidigung sowie Offensivspiel geeinigt.

Ab welcher Altersklasse halten Sie spezifisches Torwarttraining für sinnvoll?

Genau das wollen wir herausfinden, daran forschen wir gerade beim DFB. Wir wollen so früh wie möglich mit dem torwartspezifischen Training beginnen. Aber was heißt so früh wie möglich? Im Moment sind wir der Meinung, in der D-Jugend damit zu starten. In dem Alter schafft man die Voraussetzungen für das spätere gruppentaktische Torwarttraining, welches man wie eine Spielform der Feldspieler verstehen muss, in dem es dann zum Beispiel um die Raumverteidigung geht. Vorher sollen lieber alle noch im Feld spielen und ihre Erfahrungen mit dem Ball am Fuß machen.

Stört Sie es ein wenig, dass die meisten Torwarttrainer noch belächelt und auf das reine Bälle zuwerfen und zukicken reduziert werden?

Man muss in der Tat davon wegkommen zu glauben, dass ein Torwarttrainer nur für das individuelle Torwarttraining verantwortlich ist. Wir bereiten jedes Training, jedes Spiel genauso gewissenhaft, akribisch und mit Videosequenzen vor und nach wie der Cheftrainer die Übungseinheiten der Feldspieler. Das Training eines Torhüters besteht schon lange nicht mehr nur aus Bällefangen. Wir üben intensiv am Offensivspiel, also alles was mit den Füßen passiert: das Passen, die langen Bälle in den Lauf der Mitspieler, die Passschärfe und die Folgehandlungen, die daraus entstehen.

Das Offensivspiel macht ter Stegen so außergewöhnlich. Haben Sie schon mal einen besseren fußballspielenden Torhüter gesehen als ihn?

Nein, das ist schon eine außergewöhnliche Qualität, die Marc hat, das ist absolute Weltklasse mit welcher Präzision er mit links und mit rechts die Bälle auf seine Mitspieler schlagen kann. Er war schon vor seinem Wechsel zum FC Barcelona auf einem sehr hohen Level und ich glaube, dass auch seine Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Bei Mitspielern wie Messi, Iniesta oder Neymar steht er täglich vor neuen Herausforderungen. Und was ich in Barcelona gesehen habe, behauptet er sich da im 8:2-Spielchen sehr gut.

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Sie haben nicht nur ter Stegen, auch Leno und Timo Horn sind außergewöhnliche Torhüter, die in vielen A-Nationalmannschaften Stammspieler wären. Hatten Sie überlegt, was etwa Rudi Völler vorgeschlagen hatte: entweder ter Stegen oder Leno zu Hause zu lassen, um den Betriebsfrieden nicht zu belasten?

Uns ging es darum, die besten Torhüter dabei zu haben. Das haben wir hier geschafft. Leno und Horn sind für uns genauso wichtig wie ter Stegen, aber wir mussten eben eine Entscheidung treffen, weil nur einer von ihnen spielen kann. Wir hätten jeden von ihnen ins Tor stellen können und wären erfolgreich gewesen. Das haben sie schon in der Qualifikation gezeigt, wo jeder zum Einsatz kam.

Was hat letztlich den Ausschlag für ter Stegen gegeben?

Wir haben alle drei über einen längeren Zeitraum sehr genau beobachtet, haben sie im Training besucht und sind zu Spielen gefahren. Sie sollten merken, dass wir wissen, wovon wir sprechen und warum wir zu welcher Entscheidung kommen. Ich habe von jedem mindestens 30 Spiele gesehen. So kann ich mit ihnen über ihre Stärken und Schwächen auf Augenhöhe sprechen. Wir haben uns viele Gedanken gemacht, uns im Trainerteam ausgetauscht, auch unterschiedliche Meinungen eingebracht, wer zu unserer Spielphilosophie besser passt, wer vielleicht Nachteile hat.

Stand schon vor dem Turnier fest, dass ter Stegen spielen wird oder hat sich die Entscheidung tatsächlich erst kurz vor dem ersten Spiel gegen Serbien herauskristallisiert?

Die letzte Entscheidung, warum jetzt ter Stegen im Tor steht, möchte ich nicht öffentlich diskutieren.

Auch Sie hatten sich in Ihrer Karriere harte Duelle um die Nummer eins mit Volker Ippig geliefert. Sie können bestimmt sehr gut nachfühlen wie sich Leno und Horn fühlen müssen. Haben Sie mit ihnen über ihre Situation gesprochen?

Ich kann mich natürlich in sie reinversetzen, aber im Moment ist das kein Thema, weil jeder von ihnen gefordert ist, es geht nicht nur darum zu spielen, sondern auch darum, dass wir hier alle gut trainieren und konkurrenzfähig sein wollen. Sie sind alt und erfahren genug, dass sie wissen, dass wir hier nicht mit einem Torwart spielen können, um erfolgreich zu sein.

Sie profitieren von der extremen Konkurrenzsituation.

Die Konstellation mit diesen drei Torhütern ist für eine U 21 einzigartig, ich kann mir nichts Besseres vorstellen, sie sind trotz ihres jungen Alters alle Reif für die A-Nationalmannschaft. Viele Länder würden sich freuen, wenn sie einen von ihnen zwischen den Pfosten stehen hätten.

In den Übungseinheiten ist auffällig, dass alle drei viel Freude haben. Sie haben Übungen entwickelt, die die Torhüter vorher nicht kannten und die sogar die Feldspieler so begeistern, dass sie jubelnd beim Torwarttraining zuschauen. Die Torhüter schießen dabei auf eine Vorrichtung, die aussieht wie ein Fahrrandständer, von da prallen die Bälle wild in alle Richtungen. Wer hat diese spektakuläre Reaktionsübung erfunden?

Die haben wir uns alle gemeinsam ausgedacht. Wir haben die Spieler gefragt, wie wir den Baustein Reaktion im Training am besten üben können. Sie haben dann Vorschläge gemacht, diese Kreativität fordern wir auch von ihnen ein. Wir wollen dass sie alle aktiv das Training mitgestalten, das ist auch für ihre Persönlichkeitsentwicklung entscheidend. Die Übung mit dem Fahrradständer ist dann daraus hervorgegangen

Ter Stegen und Leno helfen mit, den Konkurrenten besser zu machen?

Natürlich, da haben sie überhaupt kein Problem mit. Alle helfen auch vor dem Spiel mit, Marc aufzuwärmen, damit der spielende Torhüter in der besten Verfassung ist.

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